| # taz.de -- Ein Gespräch von Täter zu Opfer: "Da macht der 80jährige auf bl�… | |
| > Die Fummeleien begannen, da war der Junge sieben und der Pastor 40 Jahre | |
| > alt. Nach Jahrzehnten haben sich die beiden wiedergetroffen. Protokoll | |
| > eines Täter-Opfer-Gesprächs | |
| Bild: Drei Zinnen, Dolomiten, wolkenverhangen. | |
| Der Pastor war ziemlich cool. Um die 40 Jahre alt, ein katholischer | |
| Priester, der sogar mit ein paar Jungs eine Band gegründet hatte, die ab | |
| und zu auch im Gottesdienst spielte. Ende der Sechzigerjahre kam Daniel* | |
| zur katholischen Jugendgruppe in einer mittelgroßen Stadt dazu. Der Pastor | |
| mochte Daniel, der damals etwa sieben Jahre alt war. Nach zwei Jahren hat | |
| der Pastor Daniel eingeladen, an einer Jugendfreizeit mit älteren | |
| Jugendlichen in den Dolomiten teilzunehmen. Da war Daniel vom Pastor schon | |
| mehrfach sexuell missbraucht worden. Der Geistliche fummelte an seinem | |
| Penis herum, vergewaltigte ihn. Vor zehn Tagen hat Daniel den Pastor | |
| wiedergetroffen. Bei der Missbrauchsbeauftragten des Bistums. | |
| Erst heute kann Daniel darüber reden. Er ist inzwischen Mitte 40, hat eine | |
| kaufmännische Ausbildung genossen und wohnt mit zwei Kindern und seiner | |
| Lebensgefährtin in Berlin. Der mittlerweile hochbetagte Pastor lebt noch | |
| immer im Bistum. Er wurde in eine andere Gemeinde versetzt, nachdem Daniel | |
| es nach zwei, drei Jahren endlich geschafft hatte, seinen Eltern zu | |
| erzählen, was der Geistliche ihm regelmäßig angetan hatte, und sie dagegen | |
| protestierten. Trotzdem wurde der Pastor wieder in der Jugendarbeit | |
| eingesetzt, erfährt Daniel später. | |
| Daniel entschloss sich vor etwa zwei Wochen, die alte Geschichte wieder | |
| anzupacken. Vor einiger Zeit hatte er eine Therapie gemacht, auf eigene | |
| Kosten. In den vergangenen Jahren hatte er immer wieder dem Täter | |
| nachrecherchiert. "Ich wusste in all den Jahren meist ziemlich genau, wo er | |
| war. Und ich empfand es immer als eine Verhöhnung der Opfer, dass der | |
| Pastor immer noch tätig war", erzählt er. Ihn ärgerte es, dass der Pastor | |
| einfach ungeschoren aus der Sache zu kommen schien. Ebenso, dass es keine | |
| Prävention gab, um weitere Fälle zu verhindern. Vor allem aber: "Ich hatte | |
| ein schlechtes Gewissen, dass ich die Geschichte nicht früher erzählt | |
| habe." Das Opfer hat ein schlechtes Gewissen, der Täter auch? | |
| Als Daniel vor ein paar Wochen von einem ähnlichen Fall im gleichen Bistum | |
| hört, ruft er die Bistumsbeauftragte für die Fälle sexuellen Missbrauchs | |
| an. Sie will ihn treffen. Innerhalb von drei Tagen steht ein Termin, der | |
| Arbeitsstab der Diözese scheint "sehr bemüht", sagt Daniel. Seine Bedingung | |
| für das Treffen im bischöflichen Ordinariat, nicht an einem neutralen Ort: | |
| Der Pastor, der Täter, müsse dabei sein. An einem Freitagabend findet es | |
| statt. | |
| Daniel hat sich vorbereitet, er hat eine Liste von Fragen notiert. Er kommt | |
| mit einem Freund, allein will er nicht sein. Schon im Flur sieht er den | |
| Pastor, mittlerweile um die 80 Jahre alt. Der Geistliche aber erkennt ihn | |
| nicht, fragt: "Ist der Herr … schon da?" Daniel gibt sich zu erkennen. Der | |
| Pastor sagt: "So trifft man sich wegen einer Jugendsünde wieder." Sie geben | |
| sich zur Begrüßung die Hand. | |
| Das Gespräch beginnt in einem schmucklosen Besprechungsraum. Neben Daniel, | |
| dem Freund und dem Täter ist die Bistumsbeauftragte zugegen, weiter ein | |
| Rechtsanwalt der Kirche und ein Kinder- und Jugendpsychologe. Der übernimmt | |
| zunächst die Gesprächsführung. Der Geistliche fängt an, sich zu | |
| rechtfertigen. Er tut so, als ob er manches nicht höre, obwohl er nur in | |
| einem Ohr ein Hörgerät hat. Irgendwann wird es Daniel zu bunt. Er reißt das | |
| Gespräch an sich. Er erzählt, dass die Übergriffe "dauerhaft" passiert | |
| sind, an unterschiedlichen Orten und Zeiten. Und über einen langen | |
| Zeitraum. Daniel berichtet, wie das Fotolabor aussah, wo er des Öfteren | |
| misshandelt wurde. Wie das war, als ihm der Pfarrer das Schwimmen | |
| beibrachte - und dabei in der Umkleidekabine übergriffig wurde. | |
| Will sich nicht erinnern | |
| Der Geistliche kann sich an fast nichts mehr erinnern, betont er. "Da | |
| machte der 80-Jährige auf blöd", empört sich Daniel, "dabei war der noch | |
| gut dabei." Den Jugendraum der Gemeinde kann der Geistliche noch | |
| detailliert schildern. Immerhin, die Sache im Schwimmbad räumt er ein, | |
| wenigstens so ungefähr. Der Pastor sagt, er gebe zu, dass er Daniel damals | |
| "zärtlich am Gesäß gestreichelt" habe. Das sei nur ein "jugendliches | |
| Liebhaben" gewesen - er habe sich dadurch nicht erregen, sondern habe nur | |
| zärtlich sein wollen, sagt der alte Mann. Außerdem sei das Ganze nur ein | |
| einziges Mal passiert. | |
| Nur ein Fall? Daniel weiß: "Jetzt wird es hart." Ihm platzt der Kragen. | |
| Wenn er sich nicht erinnern wolle, sagt er zum Priester, dann könne man ja | |
| einen Aufruf in die Zeitung setzen: Wer wurde noch vom Pastor misshandelt, | |
| wer hat noch gelitten? Meldet euch! Der Geistliche ist entsetzt: Das könne | |
| man doch nicht machen! Dann wäre er ja sozial völlig isoliert. Und seine | |
| Gemeinde würde vor die Hunde gehen. Daniel sagt: "Wenn die Sache hier | |
| vorbei ist, sind Sie sowieso kein Priester mehr." Der Geistliche, sagt | |
| Daniel später, habe während des Gesprächs im Ordinariat "mit geradezu | |
| krimineller Energie" alles abgestritten, ja sogar versucht, allen | |
| Beteiligten das Gefühl zu vermitteln, dass das Opfer fantasiere. | |
| Nach zwei Stunden ist das Gespräch beendet. Daniel hat das Gefühl: "Ich | |
| habe mich gut geschlagen." Die Bistumsleute scheinen betreten zu sein. "Die | |
| waren geradezu beeindruckt." Der Geistliche fragt Daniel, ob er seine | |
| Entschuldigung annehme. "Nein", sagt der. Ob er ihm wenigstens die Hand | |
| geben dürfe. "Nein, auch das nicht", entgegnet Daniel. "Die Woche davor war | |
| schwer", sagt Daniel, "nun aber fühle ich mich besser. Zumindest den einen | |
| Fall hat der Pastor ja zugegeben." | |
| Daniel hat nach dem Gespräch noch mehrmals mit den Leuten vom Bistum | |
| Kontakt gehabt, übers Telefon, per E-Mail. Sie bieten ihm eine "fiskalische | |
| Lösung" an. Daniel versteht das so, dass sie ihm eine Entschädigung zahlen | |
| wollen. Eine Summe wird nicht genannt. In Österreich werde pro Opfer etwa | |
| 80.000 Euro gezahlt, sagt Daniel. Aber man will wohl noch auf eine | |
| bundeseinheitliche Regelung warten. "Der Missbrauch", meint Daniel, "hat | |
| mein Leben determiniert - etwa was das Vertrauen zu Menschen angeht." Auch | |
| in Bezug auf seine Sexualität? Daniel kommen die Tränen. Als er sich | |
| gefangen hat, sagt er: "Es war nicht so leicht, meine sexuelle Orientierung | |
| zu finden." | |
| Wenige Tage später bekommt er einen Brief von der Bistumsbeauftragten. "Es | |
| war sowohl für mich als auch für die beiden anderen Mitglieder des | |
| Arbeitsstabes, Herrn … und Herrn …, deutlich wahrnehmbar, welchen Schmerz | |
| Sie noch einmal durchlitten haben und wie sehr dieses Gespräch Sie | |
| emotional berührt hat. Aus diesem Grunde möchte ich Ihnen auch noch einmal | |
| ausdrücklich mein Mitgefühl ausdrücken." | |
| Man habe, so die Beauftragte, den Bischof informiert, "dass wir der | |
| Auffassung sind, dass der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs, den Sie gegen | |
| Herrn Pastor … erheben, in den Gesprächen, die wir geführt haben, von Herrn | |
| Pastor … nicht ausgeräumt werden konnte". Der Bischof habe deshalb | |
| entschieden, "dass eine kirchenrechtliche Voruntersuchung eingeleitet | |
| werden soll". Ein Geistlicher werde eine Prüfung durchführen und sich | |
| gegebenenfalls noch mal bei ihm melden. "Das Ergebnis dieser Untersuchung | |
| wird dann der Glaubenskongregation in Rom zugeleitet werden, die in | |
| Abstimmung mit dem Papst entscheiden wird, wie weiter zu verfahren ist." | |
| Immerhin: Im Auftrag des Bischofs wurde dem Pastor nun untersagt, | |
| irgendeinen priesterlichen Dienst auszuüben, vor allem die Eucharistie zu | |
| feiern. Bis die Sache geklärt ist. | |
| Anzeige beim Staatsanwalt | |
| Die Bistumsbeauftragte schreibt weiter: "Auch wenn strafrechtlich gesehen | |
| dieser Fall nach allem, was wir wissen, verjährt ist, möchten wir ihn | |
| dennoch der Staatsanwaltschaft … zur Anzeige bringen." Bisher habe man dies | |
| immer nur nach Rücksprache mit dem Opfer getan. "Ich möchte Sie deshalb | |
| bitten, mir mitzuteilen, ob Sie mit der Weiterführung Ihrer Anzeige an die | |
| Staatsanwaltschaft einverstanden sind." | |
| "Das hat mich nicht zufrieden gestellt", sagt Daniel. Er hat in den | |
| vergangenen Tagen mit der Kripo seiner Heimatstadt gesprochen. Auch da war | |
| die Auskunft: Die Sache ist wohl verjährt. Daniel empört, dass in den | |
| Kirchenakten zum Fall offenbar keinerlei Vermerk zum Vergehen des Pastors | |
| gemacht wurde. "Das ist ein absoluter Skandal." Er will, dass sich | |
| unabhängige Kommissionen mit den Fällen wie seinem beschäftigen, keine | |
| Katholiken, keine Kirchenangestellte. Daniel fordert, dass sich der Bischof | |
| offiziell entschuldigt. Sollte er eine Entschädigung erhalten, will Daniel | |
| allein darüber bestimmen und das Geld an Opferverbände spenden - "die | |
| Kirche soll sich nicht als Wohltäter darstellen können", sagt er. | |
| Vielleicht könne man ja eine Konzertreise mit prominenten Musikern durch | |
| Deutschland organisieren und die Einnahmen dann auch diesen Verbänden | |
| zukommen lassen. | |
| Daniel meint, das Problem sexuellen Missbrauchs sei sicherlich kein rein | |
| kirchliches Problem. Und er sei sich auch nicht sicher, ob es so viel mit | |
| Zölibat zu tun habe. Aber mit der "unreifen Sexualmoral in der Kirche" | |
| hänge es sicherlich zusammen. "Und mit dem höheren moralischen Anspruch, | |
| den die Kirche erhebt - dem sie aber nicht gerecht wird." | |
| 30 Mar 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Philipp Gessler | |
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