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# taz.de -- Nach dem Unglück von Smolensk: Polen steht vor einem Neuanfang
> Spätestens Ende Juni muss ein neuer Präsident gewählt werden. Doch zwei
> der Kandidaten waren unter den Opfern. Größte Chancen hat jetzt
> Parlamentspräsident Komorowski.
Bild: Ankunft des Sargs von Präsident Lech Kaczynski auf dem Flughafen Warscha…
Der Absturz der polnischen Präsidentenmaschine löste in Polen zwar
Entsetzen und Trauer aus, aber kein Chaos. Premier Donald Tusk ließ seinen
Tränen im ersten Schock freien Lauf. Immerhin kannte er nicht nur den
Präsidenten und seine Ehefrau Maria, sondern auch die meisten der Politiker
und hohen Beamten in der Maschine. Mit etlichen war er befreundet. Doch
dann ordnete er besonnen die nächsten Schritte an: Krisensitzung der
Regierung in Warschau und Rückruf aller Minister aus dem Wochenende.
Da die gesamte Militärführung einschließlich des Generalstabschef
Franciszek Gagor in der Maschine saß, musste die Sicherheit Polens
überprüft werden. Die jeweiligen Stellvertreter der Generale mussten
informiert werden und sofort ihre neuen Posten einnehmen. Schon wenige
Stunden nach dem Absturz erklärte Premier Tusk: "Wir haben alles unter
Kontrolle. Polen droht keine Gefahr. Das Land ist in Sicherheit."
Auch Parlamentspräsident Bronislaw Komorowski, der laut polnischer
Verfassung das zweithöchste Amt im Staate ausübt und nach dem Tod
Kaczynskis die Pflichten des Staatspräsidenten übernahm, beruhigte
zunächst. Sichtlich bewegt, aber gefasst verkündete er eine Woche
Staatstrauer. In dieser Zeit sollten die Polen solidarisch zusammenstehen
und auch die Politiker ihren Parteienstreit ruhen lassen. Innerhalb von
zwei Wochen muss er den Termin für die vorgezogene Präsidentenwahl
verkünden. Ab diesem Tag muss die Wahl in den darauf folgenden sechzig
Tagen stattfinden, also bis Ende Juni.
Zwei der Präsidentschaftskandidaten saßen in der Unglücksmaschine, außerdem
fast alle namhaften Politiker der national-konservativen Recht und
Gerechtigkeit (PiS). Lech Kaczynski, der amtierende Präsident, wollte im
Herbst noch einmal für die PiS antreten. Ob die Oppositionspartei nun
überhaupt einen Kandidaten aufstellen wird, ist noch nicht klar. Bei der
Katastrophe ist fast die gesamte Politprominenz der PiS ums Leben gekommen.
Wie es mit der Partei nun weitergehen soll, ist völlig offen. Es ist aber
klar, dass sie sich schnell reorganiseren muss, wenn sie weiterhin ein
Rolle im politischen Leben Polens spielen will.
Jaroslaw Kaczynski, der Zwillingsbruder des Präsidenten und
Parteivorsitzender der PiS, flog noch am Samstag nach Smolensk. Er wollte
sich noch nicht öffentlich äußern. Doch in Warschau geht bereits das
Gerücht um, dass möglicherweise er selbst bei den Präsidentschaftswahlen
antreten könnte. Stellvertretend für den Bruder gewissermaßen.
Doch ob die Polen ihm ihre Stimme gehen werden, ist eher zweifelhaft. Zwar
dürfte ihm ihr Mitgefühl sicher sein, doch Jaroslaw Kaczynski hat sich in
seiner Zeit als Premier extrem unbeliebt gemacht. Dass er 2005 eine
Koalition mit radikalen Parteien eingegangen ist und Polens Ansehen dadurch
im Ausland beschädigt hat, verzeihen ihm viele bis heute nicht. Auch seine
nationalistisch vorgetragene EU-Skepsis kommt nur bei rund 20 Prozent der
Wähler gut an. Das aber wird zu wenig sein für einen Erfolg bei der Wahl.
Die besten Chancen werden Bronislaw Komorowski von der
konservativ-liberalen Regierungspartei Bürgerplattform eingeräumt. Der
58-Jährige ist in den letzten Jahren von rechts außen mehr und mehr in die
Mitte und sogar leicht nach links gerückt. Umfragen zeigen, dass den
meisten Wählern Komorowskis Ansichten ebenso zusagen wie seine
Persönlichkeit. Als Parlamentspräsident erwarb er sich großes Ansehen.
Zudem ist er in der Lage, Konflikte so auszutragen, dass sie nicht
polarisieren. Eine in Polen eher selten verbreitete Kunst, die umso höher
geschätzt wird. Dass er nun kommissarisch bereits das Amt des Präsidenten
übernahm, ist Chance und Risiko zugleich. Macht er in den nächsten zwei
Monaten seine Arbeit gut, dürfte ihm die Wahl sicher sein. Sollte
allerdings der Eindruck entstehen, dass Komorowski der Erfolg ohne jede
eigene Anstrengung in den Schoß fallen würde, werden ich die Polen nicht
wählen - schon aus Prinzip.
Mit Jerzy Szmajdzinski starb auch der Präsidentschaftskandidat der Linken.
Die Postkommunisten haben sich von der skandalträchtigen Regierungszeit
Leszek Millers noch immer nicht erholt, aber immerhin sind sie im Sejm, dem
polnischen Abgeordnetenhaus, vertreten. Allein schon aus reinem
Selbsterhaltungstrieb müssen sie nun einen neuen Kandidaten finden. Er wird
zwar keine Chance haben, tatsächlich Präsident zu werden, aber ohne ihn
landet die Partei bei den nächsten Wahlen möglicherweise unter 5 Prozent
und damit im Aus.
Da in den Trümmern der Tupolew nicht nur zahlreiche Abgeordnete der PiS ums
Leben kamen, sondern auch zentrale Figuren der polnischen Rechten in
wichtigen Positionen, wird sich Polens politisch-gesellschaftliche
Landschaft nach dem Unfall dramatisch verändern. Zu den Anhängern der PiS
gehörten beispielsweise auch der Notenbankchef Slawomir Skrzypek, der wie
die Kaczynski-Brüder der Einführung des Euros skeptisch gegenüberstand. Die
Regierung Tusk wollte den Euro schnell einführen. Ein neuer Chef an der
Spitze der Notenbank könnte eine Wende bringen.
12 Apr 2010
## AUTOREN
Gabriele Lesser
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