# taz.de -- Staatspräsidenten-Wahl in Polen: Zwei Dörfer, zwei Haltungen | |
> Am Sonntag wählt Polen einen neuen Präsidenten als Nachfolger des tödlich | |
> verunglückten Lech Kaczynski. Die konservative Partei PiS und die | |
> liberale PO spalten zwei Dörfer. | |
Bild: Bronislaw Komorowski von der PO, links, und Jaroslaw Kaczynski von der Pi… | |
POLEN taz | An der Einfahrt zu Chrzanow steht ein hässliches unverputztes | |
Gebäude. "Sklep" verkündet ein verblasstes Schild – Laden. Die Bauernhöfe, | |
rechts und links der Straße gelegen, sind groß und gepflegt, ebenso die | |
Ställe und Scheunen. Chrzanow, nahe der ukrainischen Grenze, ist ein | |
reiches Dorf. Auch das große und gerade renovierte Bürgermeisteramt mit | |
kleiner Bank, Post und Apotheke kündet vom Wohlstand. | |
Doch Gemeindevorsteher Czeslaw Jaworski (55) legt die Stirn in | |
Sorgenfalten: "Es wird immer schwieriger. Jetzt fahren unsere Jungbauern | |
schon als Saisonarbeiter nach Deutschland und pflücken Erdbeeren oder | |
Kirschen." Der Schweiß rinnt ihm die Schläfen herab. Nicht nur die Hitze, | |
auch das Wahlergebnis seiner Gemeinde vor fünf Jahren macht ihm zu | |
schaffen: "94 Prozent PiS!" Er ringt nach Worten: "Die Leute hören zu viel | |
Radio Maryja. Und das sind dann die Folgen." Der Pfarrer sei auch für die | |
PiS und der Schuldirektor sogar in der Partei. Das seien die wichtigsten | |
Leute im Dorf. "Ich fühle mich auch mitschuld. Denn ich habe das damals | |
einfach laufen lassen. Im Dorf waren fast alle gegen den EU-Beitritt, und | |
Lech Kaczynski war auch immer gegen die EU." | |
Fast eine Stunde dauert die Rundfahrt durchs 3.300 Einwohner zählende Dorf. | |
Insgesamt sind es fünf Weiler, die der Einfachheit halber durchnumeriert | |
sind. Die Schulen wurden mit EU-Mitteln gebaut oder renoviert, die Straßen | |
und Bürgersteige, die Feuerwehrremise und das Bürgermeisteramt. "Ich bin ja | |
ein EU-Enthusiast", sagt der Bürgermeister. "Vielleicht fällt das | |
Wahlergebnis in diesem Jahr ein bisschen anders aus." | |
Er steuert Chrzanow IV an. Nach einigen Kilometern taucht ein Berg auf, | |
eine Berghütte und ein Skilift. Jaworski hält an, geht vor bis ans Geländer | |
und weist mit ausholender Geste auf die sommerlich-unansehnliche Skipiste. | |
"Im Winter ist hier die Hölle los. Touristen werden nach Chrzanow kommen. | |
Da entsteht ein modernes Sportzentrum mit Restaurant." Er strahlt. Auf der | |
Rückfahrt nach Chrzanow I verdüstert sich wieder sein Gesicht: "Ich tue, | |
was ich kann, aber gegen den Priester komme ich nicht an." | |
Die neue katholische Kirche auf dem Hügel strahlt in Gelb und Ocker. | |
Dahinter steht ein neues Landhaus mit Säulen vor der Eingangstür. Der | |
katholische Priester öffnet die Tür: "Grüß Gott! Sie sind aus Deutschland. | |
Ich gebe kein Interview." Der eigentliche Gemeindepriester sei auch nicht | |
da. "Grüß Gott!" Dann ist die Tür wieder zu. Unterhalb der Kirche erstreckt | |
sich ein großer Gebäudekomplex – die renovierte Mittelschule. Doch auch der | |
Direktor ist nicht zu sprechen. Vor der Schule hängt ein einsames | |
PiS-Wahlplakat. | |
Jan Taradys, ein Bauer, hat gerade ein paar Einkäufe erledigt. Ob am | |
Sonntag wieder alle für den PiS-Kandidaten stimmen würden? "Hier hören fast | |
alle Radio Maryja. Die Gebildeten wählen natürlich Bronislaw Komorowski von | |
der PO. Aber hier im Dorf haben alle nur acht Jahre Grundschule besucht." | |
Er selbst sei auch nicht klüger als die andern. Dennoch werde er diesmal | |
für die PO stimmen. "Das wird billiger. Wozu unsere Steuergelder für zwei | |
Wahlgänge verschwenden, wenn sowieso klar ist, dass Komorowski die | |
Stichwahl am Ende gewinnen wird?" | |
Anderthalb Kilometer weiter steht das Haus von Maria Zolynia. Sie ist der | |
Bürgerplattform (PO) beigetreten. Im Dorf würden manche hinter ihrem Rücken | |
tuscheln, so als wären sie Verräter oder Abtrünnige. Barbara, ihre | |
Schwiegertochter, sagt: "Für Kultur im Dorf gibt es sogar Geld von der EU. | |
Aber da müsste der Gemeindevorsteher mitziehen. "Außerhalb der Schule gebe | |
es für die Jugend in Chrzanow keinen Treffpunkt." Am Dorfausgang stehen ein | |
paar 16-Jährige vor dem "sklep". Sie tragen Unterhemden und trinken Bier | |
aus der Dose. Eine Bäuerin zuckt die Schultern: "Wir haben gute Kinder. | |
Kultur brauchen wir hier nicht! Alle sind fleißig und arbeiten." | |
Szenenwechsel: Czyze ist ein Dorf wie aus dem Bilderbuch. Eine breite | |
Straße, an der rechts und links Holzhäuser stehen – jeweils mit kleinem und | |
gepflegten Vorgärten. Holzbänke laden zum Verweilen ein. Noch ist die | |
Straße aufgerissen. Bagger fahren auf und ab. Das ganze Dorf wird an die | |
Kanalisation angeschlossen. Schon von weiten zu sehen ist die große | |
russisch-orthodoxe Kirche mit den blau- und türkisfarbenen Kuppeln. | |
Jerzy Wasiluk (40), der Gemeindevorsteher von Czyze und seinen 2.500 | |
Einwohnern, ist gar nicht glücklich über den Rekord von 2005. "Das ist | |
damals schon groß durch die Presse gegangen", klagt er. "Hier wohnen fast | |
nur Weißrussen. Wir sind zwar treue Staatsbürger Polens, aber im ganzen | |
Dorf gibt es nur ein oder zwei Katholiken." Die Wahl damals sei die | |
zwischen einem rückwärts gewandten Katholizismus und einem | |
zukunftsorientiertem Staat in der Europäischen Union gewesen. "Damals hat | |
Lech Kaczynski die Wahlen gewonnen, und wir standen plötzlich als | |
diejenigen da, die fast geschlossen für den Gegenkandidaten gestimmt | |
hatten." | |
Aber die EU-Mittel seien ja für alle da. Er habe dann zusammen mit dem | |
Gemeinderat ein Projekt nach dem anderen realisiert. "Ziel ist, den | |
Lebensstandard zu heben" – Straßenbau, Bürgersteige, Kanalisation und viel | |
Kultur. "Wir wollen möglichst bald in den Tourismus einsteigen. Dazu | |
brauchen wir ein schönes Dorf und eben unsere Kultur." Tatsächlich steht | |
das gesamte Dorf mit seinen Holzhäusern bereits unter Denkmalschutz. | |
Mehrere thematische "Pfade" führen schon heute durch Czyyze, so der "Holz | |
und Sacrum"-Wanderpfad sowie die Straßen "Russisch-orthodoxe Kirchen" und | |
"Auf den Spuren des Zaren". | |
Noch gebe es für die Touristen keine Hotels und Restaurants in Czyze, auch | |
das Programm "Ferien auf dem Bauernhof" stecke noch in den Kinderschuhen. | |
Aber das sei nur mehr eine Frage der Zeit. Das Werbematerial werde ständig | |
weiterentwickelt. Wenn die Touristen dann nach Unterkünften und Restaurants | |
fragten, würden den Leuten im Dorf klar werden, dass das eine gute neue | |
Einkommensquelle sei. "Aber hier leben ja alle seit Jahrhunderten von der | |
Landwirtschaft. So schnell stellt man sich auf dem Land nicht um." | |
In der russisch-orthodoxen Kirche findet eine Trauermesse statt. Doch Marek | |
Jakimiuk (38), der zweite Priester in Czyze, lädt herzlich in sein Haus | |
ein. Seine Frau bringt Kaffee, die Tochter spielt am Computer, Jakimiuk | |
erzählt. Er habe die Jugendarbeit im Dorf übernommen. 150 Kinder seien in | |
seiner Pfadfindergruppe, es gebe ein Jugendfeuerwehr und eine Kunstgruppe. | |
"Wir sind eine Minderheit in Polen. Wenn wir unsere Kultur nicht pflegen, | |
gehen wir unter. Auch die Religion gehört dazu." | |
Vielleicht hätten 2005 fast alle in Czyze für Donald Tusk gestimmt, weil | |
dieser auch einer Minderheit angehöre. Vielleicht deshalb, weil er sich | |
weniger ostentativ katholisch zeigte. Aber das sei schwer zu sagen. Im Dorf | |
spreche man nicht über Politik. Viel wichtiger sei es, den Kindern die Welt | |
zu zeigen. Demnächst wolle er mit einer Gruppe von Jugendlichen nach | |
Westeuropa fahren. | |
Auch Grzegorz und Maria Jakimiuk, beide um die 60 Jahre alt, reisen viel. | |
Grzgorz ist ein Meister der weißrussischen Holzbaukunst. "Ich habe über 200 | |
Häuser eigenhändig gebaut, eines sogar in Hamburg". Insbesondere die | |
Schnitzereien und die Ornamente an den Fenstern und Türen gehörten zu | |
seiner Spezialität. Seine Frau Maria leitet seit Jahren den Folklorechor | |
"Czyzowanie". Alle zwei, drei Jahre gehen sie auf Tournee. "Meist fahren | |
wir in den Osten, aber seit wir in der EU sind, steht uns die ganze Welt | |
offen." Über Politik will keiner der beiden reden. Nur so viel: "Hier hört | |
niemand Radio Maryja. Diese Ideologie ist uns völlig fremd." | |
Auch Jungbauer Arkadiusz Wasiluk (21), der ein Praktikum beim Bürgermeister | |
ableistet und nebenbei auch noch Landwirtschaft studiert, sind politische | |
Themen zu heikel. Das Dorf werde sich bemühen, nicht noch ein zweites Mal | |
in die Schlagzeilen zu geraden. "Wir wollen auf keinen Fall einen zweiten | |
Rekord aufstellen." | |
18 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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