Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Greenpeace stellt Akten ins Netz: Die Gorlebenlüge
> Greenpeace hat in den letzten Wochen 12.000 Seiten zu Gorleben
> durchforstet: Bei der Standortsuche wurde getürkt. Das kann bald jeder
> Bürger im Netz nachlesen.
Bild: Greenpeace stellt Dokumente ins Netz.
Es gibt diese offizielle Version zu Gorleben, dem geplanten
Atommüllendlager im niedersächsischen Wendland. Danach ist die Wahl des
Standorts vor drei Jahrzehnten "ergebnisoffen" erfolgt. Darauf bezieht sich
auch der derzeitige CDU-Bundesumweltminister Norbert Röttgen. Viel Zeit sei
investiert worden, Geld obendrein. 1,5 Milliarden Euro seien bereits
geflossen. Gorleben müsse darum Vorrang haben, die Erkundung dort
vorangetrieben werden.
Akten, die nun aufgetaucht sind, lassen diese Version schlecht aussehen.
Sie sind unangenehm für die schwarz-gelbe Regierung, die die Atommeiler
länger laufen lassen will. Sie haben das Zeug dazu, die Suche nach einem
Platz für den wachsenden radioaktiven Müllberg zurück auf Start zu setzen.
Mathias Edler und andere Atomexperten von Greenpeace haben in den letzten
Wochen 12.000 Seiten Kabinettsprotokolle, Vermerke, Studien durchforstet.
Edler sagte am Dienstag, es habe "nie" ein offenes Auswahlverfahren gegeben
- "Geologische Kriterien spielten eine untergeordnete Rolle". Es ist Mitte
der 1970er-Jahre, die Bundesregierung beauftragt die
Kernbrennstoff-Wiederaufbereitungsgesellschaft (Kewa), ein "nukleares
Entsorgungszentrum" zu suchen. Das niedersächsische Wirtschaftsministerium
schreibt am 10. Februar 1976 an die Staatskanzlei: "Aufgrund der von der
Kewa überprüften Standortvoraussetzungen ergibt sich … folgende Rangfolge:
Börger, Weesen-Lutterloh, Ahlden." Drei niedersächsische Orte - von
Gorleben keine Rede.
Nahezu zeitgleich erarbeitet der TÜV-Hannover eine Rangliste im Auftrag des
niedersächsischen Sozialministeriums und favorisiert - das
schleswig-holsteinische Nieby. Das zeigt eine Tabelle. Diese Tabelle taucht
in den Akten vom November 1976 allerdings ein zweites Mal auf, als
kopiertes Einzelblatt, in dem Gorleben handschriftlich ergänzt ist. Fortan
ist das Dorf in Lüchow-Dannenberg mit im Verfahren.
Im Dezember 1976 beauftragt das Wirtschaftsministerium in Hannover einen
interministeriellen Arbeitskreis, eine Vorlage für das niedersächsische
Kabinett zu erstellen: Mindestens vier Standorte sollen einander
gegenübergestellt werden. Im Februar 1977 sind es in einem "streng
vertraulichen" Papier des niedersächsischen Wirtschaftsministeriums nur
noch zwei. Kurz drauf, keine drei Monate nachdem Gorleben erstmals als
mögliches Endlager erwähnt wird, beschließt das niedersächsische Kabinett,
"Gorleben als vorläufigen Standort eines möglichen Entsorgungszentrums für
ausgebrannte Kernbrennstoffe zu benennen".
Es war ein niedersächsischer Alleingang. Der damalige SPD-Bundeskanzler
Helmut Schmidt hatte mehrfach Bedenken geäußert. CDU-Ministerpräsident
Ernst Albrecht entschied aus strukturpolitischen Gründen. Das legen
Schriftstücke nahe, die bereits im Herbst letzten Jahres aufgetaucht sind.
Eilig hatten es allerdings alle, einen Endlagerstandort zu finden. "Wie
Ihnen bekannt ist, wird die Entsorgungssituation der deutschen
Kernkraftwerke in den Jahren 1981/82 kritisch werden", schrieb die
Projektgesellschaft zur Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen, eine
Tochter der Atomkonzerne, an den niedersächsischen Innenminister.
Die Meiler Biblis B, Unterweser und Brunsbüttel waren gefährdet. Sie
brauchten einen Entsorgungsnachweis. So legte sich 1983 auch die
Kohl-Regierung auf Gorleben fest, obwohl Geologen die Tauglichkeit immer
wieder anzweifelten. Es fehle ein "Deckgebirge", das den Salzstock
abschirmt. Während der Eiszeiten haben die Gletscher die oberen
Erdschichten abrasiert. Zudem könne ein möglicher Kontakt zum Grundwasser
Gefahren bergen.
In einem Vermerk vom 1. August 1996 schreibt des Bundesamt für
Strahlenschutz (BfS) dass in 840 Metern Tiefe ein Wasserreservoir im
Volumen von 100.000 bis 1.000.000 Kubikmetern liegt. Er geht an die
Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). "Bitte sofort
vorlegen" hat einer daraufgekritzelt - und macht damit die Brisanz des
Schreibens klar. In einem Lager für Atommüll hat Wasser nichts zu suchen,
es kann nach und nach in die Stollen eindringen, das Salz lösen, die
Atombehälter rosten lassen. Die Öffentlichkeit wurde nicht von den
Erkenntnissen des BFS informiert. Es seien "anfängliche und deshalb noch
stark fehlerbehaftete Berechnungen" gewesen, erklärte BFS-Sprecher Florian
Emrich am Dienstag. Mittlerweile habe sich herausgestellt, dass das
Reservoir maximal 1.500 Kubikmeter umfasse. In einem Buch, dass das BGR
2008 über bisherige Erkundungsergebnisse herausgegeben hat, heißt es nun,
es sei von "wenigen Kubikzentimetern bis mehreren hundert Kubikmetern"
auszugehen.
Die Gefahren seien einfach nicht berechenbar, das Verfahren der
Endlagersuche völlig intransparent, meinen die Greenpeace-Leute. Sie haben
im August letzten Jahres bei zwölf bundesdeutschen Behörden und Ministerien
Akteineinsicht nach dem Umweltinformationsgesetz gefordert.
Noch haben sie nicht alle Akten gelesen, sie liegen ihnen auch noch nicht
alle vor. Das Bundesumweltministerium erklärte ihnen zum Beispiel, es müsse
erst ein Unternehmen beauftragt werden, die Akten zusammenzustellen, sie
hätten dafür nicht das Personal. Nach und nach sollen die Dokumente unter
[1][www.gorleben-akten.de] öffentlich gemacht werden. Für Mathias Edler ist
die Sache schon klar: "Röttgen liegen nun die Beweise vor, um Gorleben
endgültig zu schließen." Der versprach, dies "ernst zu nehmen" und zu
"prüfen".
14 Apr 2010
## LINKS
[1] http://www.gorleben-akten.de/
## AUTOREN
H. Gersmann
R. Paul
## ARTIKEL ZUM THEMA
Auswahl von Atommüll-Endlager: CDU fürchtet Zweifel an Gorleben
Panikmache wirft der Obmann der Union den Umweltschützern von Greenpeace
vor. Eine Erkundung alternativer Endlager-Standorte hält er für zu teuer -
und zu riskant.
Kommentar Gorleben: Wenn das Netz für Vernunft sorgt
Das Netz bringt Röttgen in Zugzwang: Dort kann jeder Bürger nachlesen, wie
Gorleben in kurzer zeit und ohne wissenschaftlichen Vergleich zum
Endlager-Standort gemacht wurde.
Gorleben-Untersuchungsausschuss: Ein Fall für das Gericht
Die Opposition hofft, dass der Untersuchungsausschuss im Bundestag die
Öffentlichkeit für das Atommüll-Lager Gorleben neu sensibilisiert. Und
denkt über eine Strafanzeige nach.
25 Traktoren blockierten Elbbrücke: "Der kleine Auftakt unseres Protests"
Aus Protest gegen die schwarz-gelbe Gorleben-Politik blockierten 25
Traktoren die Elbbrücke zwischen Dömitz und Dannenberg. Ostereier-Aktion
für's Wochenende angekündigt.
Koalition prüft Verlängerung: AKW-Laufzeiten von bis zu 60 Jahren
Die schwarz-gelbe Koalition lässt Laufzeitverlängerungen von bis zu 28
Jahren durchrechnen. Das könnte bedeuten, dass der letzte deutsche Reaktor
erst nach 2050 abgeschaltet würde.
Anti-Atom-Bewegung: 120 Kilometer Protest erhofft
Die Anti-Atom-Bewegung mobilisiert: Im Großraum Hamburg soll am 24. April
die bislang längste Menschenkette entstehen. Am Wochenende wird in
Neckarwestheim demonstriert.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.