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# taz.de -- Intersexualität: Mann oder Frau - oder was?
> Nun engagieren sich auch die Bremer Grünen für Menschen, an denen das
> menschliche Bedürfnis nach zweigeschlechtlicher Unterscheidung scheitert
> - endlich!
Bild: Mann oder Frau: Egal!
Den drei jungen Frauen steht die Empörung ins Gesicht geschrieben. "Hab ich
das richtig verstanden", flüstert eine von ihnen, "Ärzte dürfen
Intersexuelle ohne rechtliche Grundlage operieren?!" Die anderen beiden
gucken finster, nicken und fahren mit ihren Notizen fort. Akribisch
dokumentieren sie den Verlauf der Podiumsdiskussion im Bremer Frauenzentrum
Belladonna, das vergangene Woche gemeinsam mit der grünen
Bürgerschaftsfraktion drei ExpertInnen über Intersexualität referieren
ließ. Der Saal war brechend voll - kein Wunder, das Thema zieht. Denn wer
erst einmal verstanden hat, worum es geht - um Menschen, die sich nicht
eindeutig der Gruppe "Frauen" oder "Männer" zuordnen lassen - der oder die
nutzt jede Gelegenheit, sich tüchtig aufzuregen.
Denn wo sonst außer im Kino hört man solch schreckliche Dinge? Kleinkinder
und Babies, an deren Geschlechtsorganen so lange herum geschnitten wird,
bis sie einem willkürlich festgelegten Standard entsprechen, wie Genitalien
auszusehen haben. Kinder, denen unter Schmerzen eine künstlich angelegte
Scheide gedehnt wird, nicht selten im Beisein mehrerer neugieriger
MedizinerInnen, die Fotos ihres "Werks" machen. Teenager, denen nie gesagt
wurde, warum sie sich anders als andere fühlen; die nicht wissen, woher
ihre Operationsnarben rühren. Erwachsene, die wegen dieser traumatischen
Erfahrungen arbeitsunfähig sind, keine vertrauensvollen Beziehungen
eingehen können und für die sexuelle Erregung gleichbedeutend ist mit
Narbenschmerzen.
Ja, all das und noch mehr ist hundert-, wenn nicht tausendfach in
Deutschland geschehen. ÄrztInnen operierten, Eltern schwiegen - meistens in
der aus heutiger Sicht irre anmutenden Annahme, damit das beste für die
Kinder getan zu haben. Erst in den vergangenen zehn Jahren setzte ein
Umdenken ein, nicht zuletzt dank des Bremers Michel Reiter, der den
Menschenrechtsverletzungen hierzulande als erster ein Gesicht gab. Seitdem
haben sich noch einige andere an die Öffentlichkeit getraut, wobei
JournalistInnen meistens mit derselben kleinen Gruppe von Betroffenen
sprechen. Reiter saß neben Lucie Veith aus Hamburg auch in Bremen wieder
auf dem Podium, wobei er - wohl nicht zum ersten Mal - ankündigte, dies sei
das letzte Mal gewesen, er habe endgültig die Schnauze voll von all den
OP-Geschichten.
Und er hat recht. Nicht nur deshalb, weil ein Opfer-Diskurs niemandem hilft
und sich die Zeiten tatsächlich geändert haben. Es gibt mittlerweile
ÄrztInnen und Eltern, die Kinder so akzeptieren, wie sie geboren wurden und
ihnen die Entscheidung überlassen, ob sie sich mittels Chirurgie und
Hormonen deutlicher einem Geschlecht zuordnen lassen wollen. Wie oft das
vorkommt, ist unbekannt und man muss davon ausgehen, dass immer noch ein
sehr großer Teil im Kleinkindalter operiert wird - nicht immer von
denjenigen, die dafür die nötigen Erfahrungen und Kenntnisse haben.
Der Grund, warum dies immer noch geschieht, ist derselbe, warum es an der
Zeit ist, sich nicht immer wieder die gruseligen Operationsgeschichten zu
erzählen - außer in Gerichtsprozessen, die hoffentlich einmal zu
Entschädigungen und Schuldeingeständnissen führen. Also: Warum hat Reiter
so recht? Ganz plump gesprochen: Weil es nicht um Pimmel und Mösen geht.
Man sieht einem Menschen nicht an, welche Geschlechtschromosomen er in sich
trägt und wie seine inneren und äußeren Geschlechtsorgane beschaffen sind.
Und dennoch sortieren wir Menschen in Männer und Frauen, automatisch,
unbewusst, schon als Kleinkinder, die, dazu gibt es Untersuchungen, nervös
werden, wenn es ihnen nicht gelingt. Dieses Bedürfnis nach
zweigeschlechtlicher Unterscheidung - keine Missverständnisse: das muss
nicht "biologisch" begründet sein - ist tief im Menschen verwurzelt.
Deshalb ist es unerträglich scheinheilig, wenn sich Gender-Studentinnen die
Forderung von einigen Intersex-Aktivisten zu eigen machen, ÄrztInnen alle
"geschlechtsangleichenden" Operationen zu verbieten und Eltern zu ächten,
die nach solchen verlangen. Es ist leicht, sich für eine Lebensphase einen
geschlechtsneutralen Namen zu geben und androgyn zu stylen. Und für
Nicht-Intersexuelle unnachvollziehbar schwer, als Wedernoch oder
Sowohlalsauch in einer Welt zu leben, in der "Männer" besser bezahlt werden
als "Frauen", in der darüber diskutiert wird, ob eine Kanzlerin anders
regiert als ein Kanzler.
Wenn sich jetzt nach Hamburg auch in Bremen die ParlamentarierInnen für die
Rechte von Intersexuellen einsetzen, dann ist das unbedingt zu begrüßen.
Es geht dabei unter anderem um die Aufnahme des Themas in den
Schulunterricht, in Ausbildungs-Curricula von Gesundheitsberufen, um
bessere Beratung von Betroffenen und Angehörigen, um längere
Aufbewahrungsfristen von Krankenakten, um ein Gesetz, das Eltern erlaubt,
die Frage nach dem Geschlecht in der Geburtsurkunde unbeantwortet zu
lassen.
Die Bremer Grünen könnten darüber hinaus einen auf der Podiumsdikussion
geäußerten Vorschlag der Bremer Jura-Professorin Konstanze Plett
aufgreifen. Diese fordert, dass kosmetische Genital-Operationen an
Minderjährigen nur nach einer auf Gutachten gestützten richterlichen
Entscheidung durchgeführt werden dürfen. Damit, so Pletts Hoffnung, soll
sicher gestellt werden, dass die Wünsche der Kinder im Mittelpunkt stehen -
und nicht die von MedizinerInnen und Eltern.
Doch so sinnvoll das alles ist: Solange sich unsere durch und durch binär
strukturierte Gesellschaft nicht ändert, darf man auch von Intersexuellen
nicht verlangen, die Gender-Vorreiter zu geben und den anderen zu zeigen,
wie es anders geht. Schön, wenn sie es trotzdem tun.
20 Apr 2010
## AUTOREN
Eiken Bruhn
Eiken Bruhn
## TAGS
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
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