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# taz.de -- Ein Bürgermeister gegen die Nazis: Der Blockade-Prediger
> Unter der Woche regiert er Jena, am Wochenende hält er auf Demos die
> Rechten auf. Albrecht Schröter wirbt für eine Widerstandsform, die
> Neonazis wirksam stoppt.
Bild: Mit der "Kraft des Herzens" gegen die Neonazis.
Es ist ein wolkiger, bedeckter Samstag im September 2007, als Albrecht
Schröter seinen Dienstausweis in die Schublade packt und wieder zum Bürger
wird. Der Oberbürgermeister von Jena hat sich Urlaub genommen für diesen
Tag. Die Leitung der Versammlungsbehörde hat er seinem Ordnungsdezernenten
übertragen. Statt sich eine Krawatte umzubinden, zieht sich der 55 Jahre
alte SPD-Mann einen weißen Strickpullover über und macht sich am Morgen auf
in die Innenstadt. Mit anderen will er dort das "Fest der Völker"
verhindern. Es ist bis dahin das bundesweit größte rechtsextreme
Musikfestival. Rechtsrock-Bands reisen aus ganz Europa an.
Während die Neonazis auf einem Parkplatz gerade ihre Bühne aufbauen, rennen
Demonstranten los und setzen sich auf die wichtigste Zufahrtsstraße zum
Festival. Schröter folgt ihnen und stellt sich in die erste Reihe. Immer
mehr Jenaer kommen dazu. Eine Samba-Band spielt. Ein munteres Fest. Drei
Stunden dauert es, ehe die Polizei eine Schneise für die 1.400 angereisten
Neonazis in die Menge der Gegendemonstranten schlagen kann. Die Rechten
kommen nach der Aktion nicht wieder: Es ist das letzte Mal, dass das "Fest
der Völker" in Jena stattfindet.
Und es ist der Tag, an dem Albrecht Schröter, der Oberbürgermeister, den
zivilen Ungehorsam für sich entdeckt. Seitdem ist er zu einem der
offensivsten Fürsprecher für Sitzblockaden gegen Neonazis geworden. Es ist,
als habe Jena 2007 eine Welle losgetreten. Leipzig, Köln, Halbe, Weimar -
stets waren es gezielte Massenblockaden, die in den vergangenen Jahren
rechtsextreme Aufzüge verhinderten.
Der Protest ist akribisch organisiert. Und er vermag Neonazis erstmals zu
stoppen, statt nur mit Trillerpfeifen Begleitlärm zu schaffen. Als sich im
Februar Neonazis in Dresden zu ihrem bundesweit größten Aufmarsch treffen
wollten, riegelten knapp 10.000 Sitzblockierer alle Straßen um den
Treffpunkt herum ab. Die 6.000 Rechtsextremen zogen nach fünf Stunden
Warterei wieder ab. Zum ersten Mal, nachdem sie 12 Jahre lang alljährlich
durch Dresden gezogen waren.Blockadetraining, Bündnis "1. Mai Nazifrei", TU
Berlin, 22. April 2010
Auch Albrecht Schröter war mit 500 Jenaern und neun Bussen nach Dresden
gereist. Auf einem Lkw ballte er freudig die Faust und rief ins Mikro: "Das
ist eine neue Qualität heute. So viel Blockade war nie." Auch am 1. Mai,
wenn in Erfurt die NPD aufmarschieren will, wird Schröter wieder auf der
Straße sitzen und blockieren. Er zieht mit seiner Botschaft über die Lande,
fährt nach Lübeck und Chemnitz.
Am vergangenen Sonntag setzt er sich mit roter Krawatte auf die Bühne des
Demokratiefests im kleinen brandenburgischen Zossen, südlich von Berlin.
Grilldampf liegt über dem Platz, Luftballons baumeln in der Sonne. Schröter
lächelt freundlich. Seine Worte formt er mit Bedacht. Manchmal spricht er
blumig wie ein Pfarrer. Er ist auch einer. Mit der "Kraft des Herzens"
gegen die Neonazis.
Schröter gefällt sich in der Rolle des Mutmachers. Und es kommt gut an,
wenn er im Anzug für Antifaschismus wirbt. Selbst als er die Autonomen in
Schutz nimmt, applaudieren die Zossener. Gerade hat die Bürgermeisterin des
Ortes noch die Antifa und "Extremismus aller Art" gescholten. Nur gemeinsam
sei die Zivilgesellschaft stark, sagt Schröter.
So versöhnlich er bei solchen Anlässen wirkt: Die, die ihn kennen,
attestieren dem 55-Jährigen eine strenge Konsequenz in seinen Prinzipien.
Andere nennen es auch Dickköpfigkeit. "Wenn Albrecht einmal von einer Sache
überzeugt ist, gibt es faktisch nichts, was ihn aufhalten kann, früher wie
heute", sagt Harry Zöller, einstiger Bürgerrechts-Weggefährte Schröters.
"Da konnte die Stasi oder die Kirche kommen, egal." Schröter hat in der DDR
als evangelischer Pfarrer gearbeitet. Auch das dürfte seinen
Widerstandsgeist geprägt haben. Vor der Wende zählt er zu den prägenden
Köpfen der Opposition in Jena. Er wird zum Mitbegründer des "Demokratischen
Aufbruchs", 1990 Mitglied der SPD. Die Zulassung zum Abitur wird ihm als
evangelischem Nichtpionier verweigert.
Als im Mai 1989 die Kommunalwahlen in der DDR gefälscht werden, hängt
Schröter die von seiner Wahlbeobachtergruppe ermittelten tatsächlichen
Wahlergebnisse für Jena in den Schaukasten seiner Luthergemeinde. Nur wer
seinen Widerstand offen nach außen zeige, könne etwas verändern, predigt er
schon damals. Die Stasi listet Schröter bereits ab 1974. Operativ-Name:
"Gomorrha". Schröter fühlt sich zu vielen Aufgaben berufen - politisch,
theologisch, humanistisch. Offen, verständnisvoll, ein Moderator sei der
Albrecht, sagt Christoph Matschie, SPD-Landesvorsitzender in Thüringen und
Vize-Regierungschef. Matschie ist Theologe und Jenaer wie Schröter, seit 20
Jahren sind die beiden eng befreundet. "Wo Albrecht aber Gefahr sieht,
setzt er sich mit Härte ein."
Es ist diese Unnachgiebigkeit, die Albrecht Schröter heute auch gegen den
Rechtsextremismus zeigt. Schröter wirkt ehrlich betroffen, wenn er die
Ungeheuerlichkeit der NS-Verbrechen, die Sinnlosigkeit des Krieges betont,
in dem auch sein Großvater starb. Noch immer spüre er bei Auslandsreisen
eine Verantwortung, persönlich zu zeigen, dass dieses Land gelernt habe.
Ein christlicher Verantwortungsethiker sei Schröter, betont auch Jörg
Vogel, SPD-Chef Jenas und seit Jugendtagen mit Schröter befreundet. Einer,
der persönlich der Geschichte gerecht werden will.
Seit 25 Jahren forscht Schröter mit dem lokalen Arbeitskreis Judentum zur
jüdischen Geschichte Jenas. Ob man "wiedergutmachen" könne, die Frage sei
schwer zu beantworten, schreibt er in einem Buch des Arbeitskreises. "Was
wir aber tun können, ist, es in unserem Verhältnis zu jüdischen Menschen
besser zu machen als unsere Vorfahren."
Schon 2000, als Sozialdezernent Jenas, macht Schröter keinen Hehl daraus,
dass Jena eine aktive Neonazi-Szene besitzt. Schröter entwickelt ein
Stadtprogramm gegen Rechtsextremismus mit. Er bringt einen Preis für
Zivilcourage und einen runden Tisch auf den Weg, den er noch heute
moderiert. Eine Koordinierungsstelle der Stadt für Demokratie lässt er sich
als Bürgermeister 65.000 Euro pro Jahr kosten.
Jena ist Schröter nicht genug. Im Januar dieses Jahres lädt er 16
Bürgermeisterkollegen zu einer Konferenz und gründet die Initiative
"Kommunen gegen rechts". Mit an den Tisch setzt Schröter
Anti-Nazi-Initiativen aus den jeweiligen Städten. Zum Kennenlernen. Und
künftigen Zusammenarbeiten. So wie in Jena, wo viele Initiativen auch die
persönliche Handy-Nummer des Bürgermeisters besitzen. Für alle Fälle.
Beneidet würden sie in anderen Städten um ihren Bürgermeister, heißt es aus
dem Jenaer Aktionsnetzwerk gegen Rechtsextremismus. Es sei Schröters
Verdienst, eine offene Debatte über Rechtsextremismus in der Stadt
befördert und "auch energischeren Widerstand" salonfähig gemacht zu haben.
Andersherum sind es die Engagierten Jenas, denen Schröter es verdankt, dass
sich die Neonazis momentan aus der Öffentlichkeit der Stadt zurückgezogen
haben. In den vergangenen Jahren fanden sich stets hunderte Bürger zu
Gegenprotesten ein, wo immer Neonazis in und um Jena aufkreuzten.
Von den Farbbeutelwürfen gegen sein Reihenhaus, wie im Februar geschehen,
lässt Schröter sich nicht aufhalten. Auch nicht von rechtsextremen
Drohungen gegen ihn im Internet.
Aber es gibt ein Gerichtsurteil, das Schröter bis heute verletzt. 2007
lässt der Stadtchef eine NPD-Demonstration in Jena verbieten, ein
verkappter Ehrenmarsch für den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß. Doch das
Verwaltungsgericht in Gera kassiert nicht nur das Verbot, es unterstellt
Schröter auch eine Nähe zur Rechtsbeugung, die mit Gefängnis geahndet
werden könne. Es gebe Zweifel, ob die Stadt ihre Pflicht zur Neutralität
gegenüber der NPD gewahrt habe. Hämisch lässt die Partei das Urteil später
auf der Demonstration verlesen.
Noch heute ist Schröter anzumerken, wie sehr ihn diese Urteilsbegründung
gekränkt hat. Weil er sich im Recht sieht. Mindestens moralisch. "Ich kann
doch nicht neutral bleiben, wenn Neonazis Fuß fassen wollen." Vielleicht
seien Verbote und Sitzblockaden in ihrer Legalität fraglich. Legitim seien
sie aber in jedem Fall, da sie den "Geist des Grundgesetzes" verteidigten -
nie mehr Faschismus, nie mehr Diktatur. "Natürlich breche ich nicht
willentlich Recht", sagt Schröter. "Aber wenn es die Legislative nicht
schafft, nationalsozialistischer Propaganda den Riegel vorzuschieben, muss
ich reagieren."
Gestoppt hat Schröter das Geraer Urteil nicht. Im Herbst lädt er zum
nächsten Treffen seiner "Kommunen gegen rechts"-Initiative. Dann soll alles
noch einen Schritt weiter gehen, noch effizienter werden. Dann will
Schröter neben den Bürgermeistern auch Vertreter der Polizei und des
Innenministeriums mit an den Tisch holen.
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22 Apr 2010
## AUTOREN
Konrad Litschko
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