# taz.de -- Umstrittene AKW-Laufzeit: Wie lang ist ein Atom-Jahr? | |
> Die Grünen fürchten, dass die AKWs durch die Berechnung anhand von | |
> Strommengen tatsächlich viel länger am Netz bleiben, als Union und FDP | |
> offiziell sagen. | |
Bild: Demonstranten fordern einen schnellen Atomausstieg, doch absehbar ist er … | |
Für die Organisatoren der 120 Kilometer langen Menschenkette am Samstag ist | |
die politische Stroßrichtung klar: "Statt über eine Verlängerung der | |
AKW-Laufzeiten sollte endlich wieder über einen schnelleren Atomausstieg | |
reden", forderte Thorben Becker vom BUND am Montag als Konsequenz aus den | |
Demonstrationen mit insgesamt 140.000 TeilnehmerInnen. So seien die | |
Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel seit 2007 fast permanent vom Netz, | |
ohne dass dadurch Strom fehle. "Wir brauchen sie nicht", sagt Becker. | |
Die Bundesregierung hingegen lässt derzeit berechnen, wie lange die | |
Atomkraftwerke noch am Netz bleiben sollen. Acht bis 28 Jahre Zuschlag für | |
jedes AKW - zusätzlich zu den laut Atomkonsens vorgesehen 32 Jahren - | |
werden im Rahmen des Energiekonzepts der Bundesregierung offiziell geprüft. | |
Tatsächlich jedoch könnten die Laufzeiten sich noch viel stärker | |
verlängern, fürchten die Grünen. Auf bis zu 48 Jahre Laufzeitverlängerung | |
kommt eine Berechnung im Auftrag des Bundestagsabgeordneten Hans-Josef | |
Fell. | |
Grund ist die Methode, nach der die Laufzeiten im Atomgesetz berechnet | |
werden. Im Rahmen des Atomausstiegs hatten SPD und Grüne keine | |
Kalenderjahre festgelegt, sondern die Laufzeiten anhand der produzierten | |
Strommenge berechnet. Ausgegangen wird dabei von optimalen Jahren, in denen | |
das AKW dauerhaft mit voller Leistung am Netz ist. Wird weniger Strom | |
produziert, darf es entsprechend länger am Netz bleiben. Schon bisher haben | |
sich die Abschaltungstermine der Reaktoren durch Stillstände und | |
Leistungsreduzierungen nach hinten verschoben. | |
Doch in Zukunft wird sich dieser Effekt deutlich verstärken. Denn wegen des | |
weiteren Ausbaus der erneuerbaren Energien, die bei der Einspeisung ins | |
Netz laut Gesetz Vorrang haben, werden die Atomkraftwerke zunehmend weniger | |
Strom liefern. Das Institute for Sustainable Solutions and Innovations hat | |
anhand von Wetterdaten aus der Vergangenheit und den um aktuelle | |
Entwicklungen ergänzten Ausbauprognosen der Bundesregierung für Wind- und | |
Sonnenenergie berechnet, wie stark dieser Rückgang ausfällt. | |
Selbst wenn Atomkraftwerke bei einem Überangebot an Strom stets als letztes | |
vom Netz genommen werden, würden die Reaktoren etwa im Jahr 2030 ihre | |
Leistung zu weniger als drei Vierteln nutzen können. Entsprechend | |
verlängern sich demnach die Laufzeiten. Eine formale Verlängerung um 12 | |
Jahre bedeutet faktisch 15 Kalenderjahre; bei 28 Jahren auf dem Papier | |
wären die Reaktoren tatsächlich 46 Jahre länger am Netz - also fast bis ins | |
Jahr 2070. | |
Das von Norbert Röttgen (CDU) geführte Bundesumweltministerium weist solche | |
Überlegungen zurück. "Auf welcher Grundlage die Laufzeiten berechnet | |
werden, ist derzeit noch nicht geklärt", sagte Sprecherin Christiane | |
Schwarte am Montag der taz. Anfang März hingegen hatte das Ministerium sich | |
in der Antwort auf eine Anfrage von Bärbel Höhn (Grüne) noch klar | |
positioniert: Grundlage für die von genannten Zahlen für eine | |
Laufzeitverlängerung sei die Reststrommengenregelung im Atomgesetz. Von | |
einer Anpassung der zugrundegelegten Werte an das Wachstum der erneuerbaren | |
Energien war darin keine Rede. | |
Grünen-Energieexperte Fell wirft dem Umwelt- und dem Wirtschaftsminister | |
darum vor, die Öffentlichkeit zu täuschen. "Die Minister Röttgen und | |
Brüderle verschleiern, wie lange sie in Wirklichkeit die Atomkraftwerke | |
länger laufen lassen wollen", sagte er. "Die Wahrheit soll erst nach der | |
NRW-Wahl ans Licht kommen." Die Atomkraftgegner bereiten sich für diesen | |
Fall schon vor: Am 2. Oktober, wenn das Energiekonzept der Regierung | |
vorliegt, sind die nächsten Massenproteste geplant. | |
26 Apr 2010 | |
## AUTOREN | |
Malte Kreutzfeldt | |
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