# taz.de -- Erste deutsch-türkische Ministerin: Ja, Kruzitürken! | |
> Die Union weiß, sie muss sich Einwanderern öffnen. Und sie will das "C" | |
> bewahren. Die Debatte über Aygül Özkan zeigt, was passieren kann, wenn | |
> beides zusammenkommt. | |
Bild: Titelblatt der türkischen Tageszeitung "Sabah" mit der neuen niedersäch… | |
BERLIN taz | Sie sind immer ein klein wenig umständlich, die Erläuterungen | |
der Christdemokraten, was ihr Parteiname in einer multireligiösen | |
Gesellschaft denn zu bedeuten habe. Generalsekretär Hermann Gröhe versucht | |
es trotzdem an diesem Montagmittag nach den Gremiensitzungen der Partei im | |
Berliner Konrad-Adenauer-Haus. | |
"Die CDU ist eine politische Partei, deren Wertüberzeugungen im | |
christlichen Glauben wurzeln", beginnt er. "Diese Wertvorstellungen haben | |
es an sich, dass sie auch von Menschen aus anderen Religionen nachvollzogen | |
werden können", schränkt er ein. Um sicherheitshalber noch hinzuzufügen: | |
"Wir sind keine religiöse Vereinigung, aber wir haben einen Kompass." | |
Es ist eine 38-jährige Hamburgerin, die Unionspolitiker in diesen Tagen zu | |
solchen Erläuterungen nötigt. Die Juristin Aygül Özkan, bislang | |
Bürgerschaftsabgeordnete in Hamburg, wird an diesem Dienstag in Hannover | |
als neue Sozialministerin des Landes Niedersachsen vereidigt, als erste | |
türkischstämmige Ministerin in Deutschland überhaupt. Einen Coup wollte | |
Ministerpräsident Christian Wulff damit landen, es sollte eine | |
Demonstration werden. Auch gegenüber der SPD, die zwar von Einwandern | |
gewählt wird, aber so wenige der ihren in Spitzenpositionen vorweisen kann | |
wie keine andere Partei. | |
Dann gab Özkan der Zeitschrift Focus ein Interview, in dem sie sich gegen | |
Kopftücher und andere religiöse Symbole im Unterricht aussprach. Auf die | |
Frage, ob das auch für Kruzifixe gelte, sagte sie: "Christliche Symbole | |
gehören nicht an staatliche Schulen." | |
Damit war es wieder da, das langfristig vielleicht heikelste Thema für die | |
CDU. Zwei Wochen vor der Wahl im bevölkerungsreichsten Bundesland | |
Nordrhein-Westfalen, das nicht nur die Hochburg des westdeutschen | |
Katholizismus ist, sondern auch die Region mit den meisten Muslimen in | |
Deutschland. | |
Klar, zuerst protestierte die bayerische CSU. "Mit solchen abstrusen Ideen | |
wird man jedenfalls in Bayern nicht Ministerin", sagte Generalsekretär | |
Alexander Dobrindt. Aber auch die CDU/CSU-Kirchenbeauftragte Maria | |
Flachsbarth stellte klar, das Kreuz habe seinen "selbstverständlichen Platz | |
in der Öffentlichkeit". Aus dem Kanzleramt erklärte schließlich die | |
Integrationsbeauftragte Maria Böhmer, die Kreuze seien Ausdruck einer | |
jahrhundertealten christlichen Tradition. Die Ernennung der ersten | |
türkischstämmigen Ministerin sei gleichwohl "richtungsweisend". Am | |
Montagmittag schaltete sich die Bundeskanzlerin in die Debatte ein. Sie | |
sehe die Sache genau wie Böhmer, ließ sie einen Regierungssprecher | |
verlautbaren. | |
Für Merkel ist das Thema besonders heikel. Ihr Verhältnis zu den Katholiken | |
gilt als gestört, seit sie im Vorjahr den Papst für seine Absicht, einen | |
Holocaust-Leugner wieder als Bischof aufzunehmen, rüde abkanzelte. Im | |
Januar hatte sie sich eine Analyse der Bundestagswahl bestellt. Vor dem | |
versammelten Parteivorstand erläuterte der Demoskop Matthias Jung von der | |
Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen, regelmäßige Kirchgänger seien heute | |
keine relevante Wählergruppe mehr. Auch das erheiterte in der Partei nicht | |
jeden Kirchentreuen. | |
Noch etwas anderes sagen Wahlforscher: Gesellschaftspolitisch denken die | |
Muslime in Deutschland im Durchschnitt konservativ, konservativer | |
jedenfalls als der Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Die CDU wählen sie | |
trotzdem nicht, weil sich die Partei allzu lang gegen Migranten sperrte. | |
Das hat sich inzwischen geändert, nicht nur in Niedersachsen. Es bleibt das | |
"C", das weiterhin irritiert. | |
Konservativ zu sein und nicht katholisch oder evangelisch, ist in | |
Deutschland schwieriger als als in Frankreich etwa, wo sich die Gaullisten | |
dem Laizismus verschrieben haben, der strikten Trennung zwischen Staat und | |
Kirche. In Deutschland, das mindestens seit 1918 über die religiöse | |
Unterweisung an Staatsschulen streitet, wo der Staat für die Versorgung | |
verheirateter Theologieprofessoren aufkommt und in Bayern sogar die | |
Bischöfe bezahlt, ist das anders. | |
Dabei könnte es einfach sein. Vielleicht sollten die Christdemokraten im | |
Kruzifix-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nachlesen. Das Kreuz sei | |
nicht bloß ein kulturelles Symbol, ein Sinnbild für Humanität oder | |
Barmherzigkeit, stellten die Richter 1995 fest, sondern das Symbol einer | |
spezifischen Religion. Aygül Özkan hat nicht mehr getan, als darauf | |
hinzuweisen. | |
Dennoch musste sie zurückweichen. Am Montagabend teilte der | |
niedersächsische Fraktionschef David McAllister mit, Özkan habe zusammen | |
mit Ministerpräsident Wulff und ihm selbst vor der Landtagsfraktion | |
deutlich gemacht, dass "Kreuze an niedersächsischen Schulen erwünscht | |
sind". Die entstandenen "Irritationen und Missverständnisse" seien damit | |
ausgeräumt. | |
27 Apr 2010 | |
## AUTOREN | |
Ralph Bollmann | |
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