# taz.de -- Debatte Tag der Arbeit: Abschiedsgruß an den 1. Mai | |
> Sämtliche Erneuerungsversuche für den ersten Mai sind gescheitert. | |
> Solange keine neuen Vorschläge kommen, sollte der Tag als das begriffen | |
> werden, was er ist: ein freier Tag. | |
Bild: Am Rande des "Myfest" im Mai 2009 in Berlin. | |
Die Chance kam nicht gerade auf einem Silbertablett serviert, aber jetzt | |
ist sie da. Für den 1. Mai rufen Rechtsextremisten zum Aufmarsch nach | |
Berlin - und plötzlich hat sich das Thema des Maifeiertags in der | |
Hauptstadt verschoben: Nicht mehr eventuelle Krawalle am Abend sind das | |
Thema, nicht mehr Routenkonflikte zwischen Demos und dem Straßenfest im | |
Kiez. Auf einmal sind sich von Jusos bis Linkspartei, von Gewerkschaften | |
bis Antifas alle einig über das Ziel: Die Nazidemo soll verhindert werden. | |
Mit zivilem Ungehorsam in Form von Blockaden, "über alle sozialen, | |
politischen oder kulturellen Unterschiede hinweg", so formuliert es das | |
Bündnis selbst, soll der Aufmarsch verhindert werden. | |
Ist das endlich ein neuer politischer Impuls für den seit vielen Jahren an | |
Inhalten armen 1. Mai? Ein Konsens vielleicht gar, der bis zu fünf | |
verschiedene Demonstrationen in nur einer Stadt überflüssig macht und eine | |
dafür umso kraft- und wirkungsvoller werden lässt? Schön wärs, aber | |
realistisch ist es nicht. Das fängt mit den Gewerkschaften an. Sie | |
positionieren sich zwar auch gegen den Naziaufmarsch. Aber auf ihre | |
traditionelle Bratwurstkundgebung zur gleichen Zeit vor dem Brandenburger | |
Tor wollen sie dann doch nicht verzichten. Und auch all die Politikerinnen | |
und Politiker - zum Teil von Rang und Namen - unterstützen zwar die | |
Naziblockierer und setzen sich am Samstag womöglich selbst dazu. | |
Doch auch dieser inzwischen ritualisierte Protest führt nicht wirklich zu | |
einer gemeinsamen Grundsatzstrategie im Umgang mit dem Problem des | |
Rechtsextremismus. Viel schlimmer: Debatten darüber gibt es immer weniger. | |
Das zeigt: Der kleinste gemeinsame Nenner ist höchstens ein Feigenblatt, | |
mit dem gleichzeitig all die Folklore verdeckt werden kann, die sich am | |
Maifeiertag ausgebreitet hat - angefangen mit Snack und Bier für die | |
Älteren morgens bis zum Abenteuer-Trip der erlebnisorientierten Jugend nach | |
Kreuzberg am Abend. | |
Natürlich ist es lobenswert, richtig und wichtig, sich den | |
Rechtsextremisten in den Weg zu stellen. Doch das auf einmal so breite | |
Bündnis offenbart unfreiwillig eine Schwäche der Linken: Einen anderen | |
Konsens außer der Blockade von rechten Aufmärschen gibt es nicht mehr, im | |
Gegenteil: Alle anderen Veranstaltungen haben über die Jahre hinweg an | |
TeilnehmerInnen und Inhalten oder sogar beidem verloren. Sämtliche | |
Versuche, den Tag mit neuen Inhalten zu füllen, sind gescheitert. | |
Der 1. Mai in Berlin ist ein gutes Beispiel für die allgemeine | |
Entpolitisierung: In der Hauptstadt trat 2002 der damalige FU-Professor | |
Peter Grottian an, um mit einem politischen, zugleich aber polizeifreien | |
Straßenfest die alljährlichen Krawalle zu reduzieren. Weder bei der Polizei | |
noch auf Linksautonomen-Seite stieß er auf Zustimmung. Senat und | |
Bezirksregierung griffen das Konzept mit dem "Myfest" ein Jahr später auf. | |
Inzwischen ist das Fest zwar weitgehend polizeifrei, aber auch frei von | |
Politik. Und auch die Mayday-Parade der linken Gruppe Fels (Für eine linke | |
Strömung) in Berlin war ein Versuch, am Tag der Arbeit prekäre Arbeit, | |
Armut und soziale Ungerechtigkeit zum Thema zu machen. Andere Städte hatten | |
die Idee vorher schon oder griffen sie dann auf. Doch in Berlin hat die | |
Gruppe nach vier Jahren den Mayday für dieses Jahr abgesagt. Zu wenig | |
Gruppen hätten sich beteiligt, der Partycharakter überwog, und über den 1. | |
Mai hinaus habe es in der Alltagspolitik nur wenig Anknüpfungspunkte | |
gegeben. | |
Im vergangenen Jahr am 1. Mai gelang es den vielen beteiligten Gruppen | |
nicht einmal, das Thema, das ansonsten in aller Munde war, aufzugreifen: | |
die Finanzkrise. Die befand sich bekanntlich vor einem Jahr auf dem | |
Höhepunkt. Es war abzusehen, wie sehr sich die vielen Hilfsgelder für die | |
Zockerbanken auf den Staatshaushalt niederschlagen würden - auf Kosten von | |
Schulen, Schwimmbädern und sozialen Einrichtungen. Das Thema ist auch in | |
diesem Jahr weiterhin brisant und hochaktuell. Trotzdem: Kapitalismuskritik | |
ist in weiten Teilen der linken Szene offenbar zu kompliziert, wenn es um | |
Details und die ganz konkreten Auswirkungen geht. Und in griffige und | |
schreibare Parolen pressen lässt sie sich auch nicht. | |
Dass der Teufel zusätzlich in der Tradition liegen kann, zeigt nicht nur | |
der Berliner 1. Mai. Das Problem der schwindenden Unterstützung kennen etwa | |
auch die Organisatoren des alljährlichen Ostermarsches nur allzu gut. Das | |
Symptom: Die Zahl der TeilnehmerInnen sinkt, die Zahl der zu bekämpfenden | |
Themen steigt. So demonstrierten in diesem Jahr in Berlin rund 800 | |
TeilnehmerInnen nicht nur gegen Krieg, Aufrüstung und Atomwaffen, sondern | |
auch gegen Sozialabbau, Rassismus und Überwachung. Geholfen hat das | |
thematische Potpourri nichts, im Jahr zuvor waren es noch rund 1.000 | |
Teilnehmer. | |
Eine allgemein grassierende Demo- und Aktionsmüdigkeit unter Linken zu | |
konstatieren, wäre aber zu kurz gedacht. Schließlich gewinnen die Proteste | |
gegen Atomkraft in der letzten Zeit massiv an Stärke. Die gigantische | |
Menschenkette am vergangenen Wochenende und die zwei Großdemonstrationen, | |
einmal ebenfalls gegen Atomkraft, die andere gegen zu viel Netzkontrolle, | |
haben es bewiesen. Der Unterschied: Es gibt fassbare Inhalte, ein konkretes | |
Ziel und am Ende des Prozesses einen Erfolg oder Misserfolg. All das ist | |
mehr als ein längst nur noch symbolisches Zeichen gegen Kapitalismus oder | |
einen Sozialabbau, unter dem vermutlich jeder der 800 Demonstranten etwas | |
anderes versteht. So erklärt sich auch, dass der Ostermarsch zumindest an | |
einem Ort nicht unter Nachwuchssorgen leidet: In der Kyritz-Ruppiner-Heide | |
im Norden von Brandenburg, dort, wo ein Truppenübungsplatz der Bundeswehr - | |
das Bombodrom - immer noch nicht ganz endgültig vom Tisch ist, bleibt die | |
Demonstrationsbereitschaft ungebremst. | |
Der 1. Mai in seiner bisherigen Form hat politisch ausgedient. Sämtliche | |
Erneuerungsversuche sind gescheitert. Solange keine neuen Vorschläge | |
kommen, sollte der Tag einfach mal als das begriffen werden, was er ist: | |
ein freier Tag. | |
30 Apr 2010 | |
## AUTOREN | |
S. Bergt | |
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