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# taz.de -- taz-Serie Schillerkiez: Stadtteilführung: Mit Dackel Dagmar unterw…
> Ingrid Brügge und ihr Dackel sind ein eingespieltes Team. Gemeinsam
> zeigen sie Hundebesitzern und Zugezogenen ihr Viertel - in dem Hunde
> ebenso zahlreich wie ungeliebt sind
Bild: Duftnoten, Futterquellen und Auslaufmöglichkeiten für Hunde verraten In…
Das durchschnittliche Berliner Mietshaus steht in der Schillerpromenade 27:
Vorderhaus, Hinterhaus, zwei Seitenflügel, darin 1- bis 2-Zimmer-Wohnungen
mit Kohleöfen und Innentoilette. Um 1907, als ein Kreuzberger Gastwirt das
Haus nach geltenden Standards erbaute, waren reiche Stuckverzierungen und
Ladengeschäfte zur Straße üblich. Heute fehlen Stuck und Läden, auch der
Anstrich ist nicht mehr frisch. Das Haus ist so normal, dass es eine Tafel
auf der Straße braucht, die auf seine besondere Durchschnittlichkeit
hinweist: 1996 wählten Studierende der Europäischen Ethnologie das Haus für
eine Ausstellung über europäisches Großstadtleben aus; seitdem sind
Inneneinrichtungen und Bewohnergeschichten im Heimatmuseum Neukölln zu
sehen.
Dagmar interessiert an der Nummer 27 höchstens die Duftnote. Die
Dackelhündin wohnt nebenan in der 28, deren Prachtfassade in den 50ern
"entstuckt" wurde. Dagmars Blick auf den Kiez ist ein unhistorischer, sie
interessiert sich für Spuren anderer Hunde, Futterquellen und
Auslaufgelegenheiten. Ingrid Brügge, die mit Dagmar im Vorderhaus lebt,
wohnt seit zehn Jahren in der Gegend. Als Hundebesitzerin achtet sie
darauf, wo man Gleichgesinnte trifft, wo Scherben liegen und wo notorische
Hundehasser sind. Ingrid Brügge und Dagmar sind ein eingespieltes Team -
für die Initiative "Kulturtatort Neukölln" bieten sie regelmäßig
Kiezführungen aus Hunde(halter)perspektive an.
Die erste Sehenswürdigkeit auf der Schillerpromenade ist für Ingrid Brügge
der frisch eingeweihte Spielplatz auf dem Mittelstreifen. "Endlich kommt
hier Leben rein", freut sie sich. Ursprünglich war die Schillerpromenade
als Flaniermeile für das Viertel geplant, das kommerzielle
"Terraingesellschaften" ab 1890 aus dem Acker stampften. Mit breiten
Straßen und großzügigen Häusern wollte man gehobene Schichten in den
Arbeitervorort Rixdorf holen. Ingrid Brügge kennt den "Boulevard"
Schillerpromenade nur mit zerrupftem Grün, in das jeden Tag die Trinker
pinkeln. "Das ist genauso ekelig wie die ganze Hundekacke überall",
schimpft sie.
Falls Dagmar mal muss, hat Brügge immer ein paar Hundetüten in der
Jackentasche. Beim Quartiersmanagement hat sie kostenlose Hundetüten für
den Kiez beantragt. Bei ihren Führungen zeigt sie, wo man sich die
schwarzen Beutel abholen kann. Etwa im "Oker Markt" in der Okerstraße. Den
von türkischen Schwestern betriebenen Kiosk daneben empfiehlt Brügge
Neulingen für ein Kiezschwätzchen.
Die muntere 56-Jährige hat nicht lang gebraucht, um hier heimisch zu
werden. "Die Bewohner sind solide Leute, viele von ihnen leben schon immer
hier - wie auf dem Dorf. In Charlottenburg würden die sich unwohl fühlen."
Als die ehemalige Erzieherin aus Kreuzberg herzog, war der Schillerkiez
"eine ganze Ecke ärmer und verlotterter". Eltern- und Sozialarbeit hätten
das Klima zwischen Deutschen und MigrantInnen entscheidend verbessert. Weil
das im Straßenbild kaum wahrnehmbar sei, führt sie ihre Kiezgäste an den
Jugendclubs Yo 22 und dem Familientreff Tower vorbei. Und am zwischen Oder-
und Leinestraße versteckten Block des Architekten Bruno-Taut aus den
20er-Jahren.
Dagmar zieht es auf die Brache längs der Oderstraße, die früher ein
Friedhof war und jetzt die inoffizielle Hundewiese des Kiezes ist. Das
wilde Idyll ist Brügge lieber als der geplante "Hundeauslaufbereich" im
neuen Park auf dem einstigen Flughafen Tempelhof, dem sie mit gemischten
Gefühlen entgegensieht. "Ich mochte den Krach der landenden Flieger", sagt
sie. Der Park, befürchtet sie, werde vor allem die Mieten in die Höhe
treiben. Bei der Eröffnung am Samstag will Brügge aber dabei sein.
An der Leinestraße machen Frau und Hund kehrt und schwenken zurück Richtung
Schillerpromenade. Der Wartheplatz und der orthodoxe Friedhof -"das gehört
nur auf der Karte noch zum Schillerkiez. Gefühlsmäßig ist es ein anderes
Viertel." Damit übernimmt Brügge die seit Generationen gepflegte Spaltung
des Kiezes.
Es geht zurück zur Schillerpromenade, wo eine Miedermanufaktur und die
Galerie "Schillerpalais" sitzen. Ein Geheimtipp ist der Eierladen in der
Selchower Straße, wo es noch "echte Eier" gibt - und selbst gemachten
Eierlikör. Hinter Dagmars Lieblingsladen, einer Tierhandlung, endet die
Führung. "Schauen Sie sich noch die Kunstläden und Kneipen der jungen Leute
an", empfiehlt Ingrid Brügge. Die seien ein Gewinn - "doch die ganz große
Welle geht hoffentlich an uns vorbei".
5 May 2010
## AUTOREN
Nina Apin
## TAGS
Schwerpunkt Schillerkiez in Berlin
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