# taz.de -- taz-Serie Schillerkiez: Erster Teil: Ein Stadtviertel vor dem Abheb… | |
> Die Öffnung des Tempelhofer Flugfeldes als Park wertet den angrenzenden | |
> Schillerkiez auf. Bisher gilt er als Problemviertel mit hoher | |
> Arbeitslosigkeit. Nicht alle Anwohner freuen sich über die Entwicklung. | |
Bild: Der Flughafen Tempelhof ist Vergangenheit: Doch wie wirkt sich das auf da… | |
Vor der Genezarethkirche am Herrfurthplatz sitzen Kaffeetrinker in der | |
Sonne und lassen sich Kuchen aus dem "Café Selig" bringen. Links und rechts | |
der Kirche verläuft die Schillerpromenade. Auf diesem Boulevard treffen | |
sich Hundebesitzer und Familien, die ersten Kneipengäste streben dem | |
Frühstück in der Bikerkneipe "Bierbaum3" entgegen, während sich Männer | |
einer "Kiezstreife" mit Müllpieksern und -säcken für den Rundgang rüsten. | |
Ein Vormittag im Schillerkiez, in Nord-Neukölln. Gut 20.000 Menschen wohnen | |
hier auf 95 Hektar, mehr als die Hälfte von ihnen in schwierigen sozialen | |
Verhältnissen. Die Arbeitslosigkeit liegt bei über 40 Prozent, seit 1999 | |
arbeitet ein Quartiersmanagement an der Verbesserung von Wohn- und | |
Lebensbedingungen. Hier entstand die Idee der "Stadtteilmütter", die mit | |
ihrer Sozialarbeit in Migrantenfamilien ansetzt. Hier wohnt auch die von | |
Abschiebung bedrohte libanesische Familie Akkouch aus dem Film "Neukölln | |
Unlimited". | |
"Der Schillerkiez ist eine einfache, klare und laute Gegend - die Menschen | |
verstecken sich nicht", sagt Arnold Mengelkoch, Neuköllns | |
Migrationsbeauftragter. Das größte Problem sei die fehlende Arbeit, die | |
einen Rückzug der Menschen in "einzelne ethnische Netzwerke" befördere. | |
Wenn er könnte, würde Mengelkoch im Jobcenter einen Nachbarschaftstreff mit | |
Gesundheitszentrum einrichten. Und die Duldungsregelung abschaffen, die es | |
Familien wie den Akkouchs unmöglich macht, in dieser Gesellschaft | |
anzukommen. | |
2009 hat Mengelkoch mit Quartiersmanagement, Schulen, Behörden und der | |
Moschee im Kiez eine soziale "Eingreiftruppe" gebildet. Die "Task Force | |
Okerstraße" soll Armutssymptome lindern, die in der Okerstraße am östlichen | |
Ende des Quartiers kulminieren: Desaströse Wohnverhältnisse von | |
Roma-Wanderarbeitern aus Osteuropa, verwahrloste Kinder. | |
Wegen ihres militaristischen Namens und der Konzentration auf einzelne | |
Bevölkerungsgruppen hat die "Task Force" nicht nur im Kiez für Aufregung | |
gesorgt. Von linken Kritikern werden sie und das Quartiersmanagement als | |
Vorboten eines Aufwertungsprozesses gesehen, der den Kiez für | |
"ImmobilieninvestorInnen und für die Mittelschicht" attraktiv machen soll. | |
So steht es in der alternativen Stadtteilzeitung Randnotizen. Das Cover der | |
Märzausgabe ziert ein Spruch auf einer Hauswand: "Zu viel Ärger, zu wenig | |
Wut". | |
"Weniger Feindbilder und mehr Miteinander" wünscht sich Susanne | |
Weiß-Goldschmidt. Die 51-jährige Polizistin ist zuständig für den Kiez. | |
Neben der Drogenszene im Umkreis der U 8 hat sie vor allem mit | |
Jugendkriminalität, Familiengewalt und Alkoholismus zu tun. Der Ruf des | |
Schillerkiezes als Problemviertel erscheint ihr dennoch aufgebauscht. "Es | |
ist vielleicht kein gutbürgerliches, aber ein einfaches, alteingesessenes | |
Viertel." | |
Ein Nachmittag im Schillerkiez. Auf dem quadratischen Wartheplatz im Süden | |
beaufsichtigen türkische Mütter ihre spielenden Kleinen, ältere Kinder | |
sausen auf Rädern vorbei an der Hundeauslaufwiese zum Abenteuerspielplatz | |
"Tower" an der Oderstraße. Der Zaun dahinter trennt den Kiez vom Gelände | |
des stillgelegten Flughafens Tempelhof - noch. Ab Samstag wird es hier | |
Türen im Zaun geben und dahinter einen Park. Manche wollen mehr: "Tempelhof | |
für alle" fordern Aufkleber am Zaun, sie stammen aus dem Umfeld des linken | |
Stadtteilladens "Lunte" in der Weisestraße. Dort probt man den Widerstand | |
gegen das, was von Immobilienanbietern bereits als "gewachsene Wohnlage mit | |
Potenzial" gehandelt wird. Die Verunsicherung im Schillerkiez ist fast mit | |
Händen zu greifen. "Wir kriegen bald einen Central Park vor der Tür. Aber | |
ob das gut ist, weiß noch niemand", beschreibt der Betreiber der | |
"Sowieso"-Bar in der Weisestraße die Gemütslage der Bewohner. | |
Denn wenn am 8. Mai das Flugfeld geöffnet wird, wird aus einem | |
benachteiligten Viertel am Rande des Flughafens plötzlich ein Wohnquartier | |
am Rande des größten innerstädtischen Parks. An der Oderstraße, wo bisher | |
die Hunde an den Zaun pinkelten, ist ein Riegel von Townhouses geplant, | |
weitere Bauten sollen folgen. Wird eine Sanierungs-und Mietsteigerungswelle | |
durch den Kiez rollen? Droht dem um 1910 errichteten Wohnquartier die | |
Gentrifizierung? | |
"Wohnraum für Alle! Statt Edelkiez" steht auf einer Hauswand in der | |
Herrfurthstraße, während in der Lichtenrader Straße aus billigen | |
Fabriketagen Eigentumswohnungen werden. Andere Vorboten des Wandels sind in | |
der Selchower Straße zu beobachten: Dort werden "Diddis Schatzkiste" und | |
das "Selchower Eck" langsam eingekreist von einer Künstlerkneipe und einem | |
Plattenladen. Die von jungen Leuten betriebenen Geschäfte profitieren von | |
den niedrigen Mieten - und tragen zugleich zur Aufwertung des Viertels bei. | |
Vielleicht erklärt das, warum eine ältere Frau beim Anblick | |
fruchtsafttrinkender Jugend im "Café Einklang" in der Herrfurthstraße | |
erklärt: "Da würde ich nie im Leben reingehen." | |
4 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Nina Apin | |
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