# taz.de -- Fragwürdige Allergietests: Wenn das Essen nicht bekommt | |
> Immer mehr Menschen glauben, eine Lebensmittelallergie zu haben – | |
> umstrittene Allergietests könnten die Ursache dafür sein. Meistens | |
> handelt es sich "nur" um eine Unverträglichkeit. | |
Bild: "Ich habe eine Lactoseintoleranz" – fast so modern wie ein Burn-out. | |
Nach dem Essen klagt der moderne Mensch häufig über Unwohlsein - Übelkeit, | |
Durchfall, Müdigkeit, Kopfschmerzen. Manche plagt auch ein handfester | |
Hautausschlag. Bis zu 30 Prozent der Deutschen glauben darum, dass sie auf | |
bestimmte Nahrungsmittel allergisch reagieren. Nahrungsmittelallergien | |
finden sich jedoch bei maximal 5 Prozent der Bevölkerung. | |
Tatsächlich werden aber Nahrungsmittelunverträglichkeiten immer häufiger | |
beobachtet, heute leiden etwa 20 bis 30 Prozent der Deutschen darunter. | |
Dazu zählen die Allergien, aber auch Verwertungsstörungen, die auf einem | |
enzymatischen Defekt beruhen, wie die Lactoseintoleranz, von der rund jeder | |
Zehnte betroffen ist, oder die Fructosemalabsorption, die aber seltener | |
vorkommt. | |
Bei einer Allergie reagiert das Immunsystem überschießend auf das Eiweiß | |
von Haselnüssen, bestimmten Obstsorten wie Äpfel oder Kirschen, Weizen, | |
Kuhmilch, Hühnerei, Soja, Fisch oder Erdnuss. Der Betroffene bildet dann | |
Antikörper der Klasse E (IgE). Diese IgE-Antikörper stufen eigentlich | |
harmlose Substanzen wie Kuhmilcheiweiß als gefährlich ein und bewegen die | |
Mastzellen dazu, Histamin und andere Entzündungsstoffe freizusetzen. | |
Es kommt zu Juckreiz im Rachen, Quaddeln, Übelkeit, Durchfall, Atemnot oder | |
- im schlimmsten Fall - zu einem Kreislaufzusammenbruch. Neuerdings gibt es | |
allerdings auch Hinweise, dass IgEs nicht zwingend an einer allergischen | |
Reaktion beteiligt sein müssen. | |
Allergologen versuchen eine Nahrungsmittelallergie mithilfe von Blut- oder | |
Hauttests einzukreisen. Wenn diese keine klaren Ergebnisse liefern, können | |
die Patienten erst gezielt einzelne Lebensmittel von ihrem Speiseplan | |
streichen. Geht es dem Patienten dann etwa nach einer weizenfreien Diät | |
besser, kann eine Provokation mit Weizenprodukten eine endgültige Diagnose | |
liefern. So kann es Wochen dauern, bis ein Lebensmittel als Übeltäter | |
entlarvt wird. | |
Manchmal findet der Arzt auch gar keine Erklärung für die Beschwerden. | |
Damit ist aber nicht nur der Patient, sondern auch der Arzt unzufrieden. | |
Sozusagen als Notnagel greift so mancher Allgemeinmediziner oder | |
Heilpraktiker dann zu Tests, die auf den Immunglobulinen der Klasse G (IgG) | |
basieren. | |
Der Test wird als IGeL-Leistung dem Patienten in Rechnung gestellt. | |
Offiziell sollte der Arzt daran nichts verdienen, in der Praxis, so glauben | |
Allergologen, erhielten sie dennoch Zahlungen. Und das, obwohl diese | |
IgG-Tests laut einer aktuellen Leitlinie europäischer und deutscher | |
Allergiegesellschaften als sinnlos eingestuft werden. | |
"Es mangelt an überzeugenden Hinweisen, dass IgG-Antikörper gegen | |
Nahrungsmittel einen diagnostischen Wert haben", liest man in der | |
Leitlinie. | |
Ernährungsberater kritisieren die Tests deshalb, weil Betroffene aufgrund | |
des Tests oft bis zu 50 Lebensmittel von ihrem Speiseplan streichen müssen. | |
"Zu mir kommen häufig verzweifelte Menschen, die gar nicht mehr wissen, was | |
sie überhaupt noch essen können", berichtet Imke Reese, | |
Ernährungstherapeutin in München und Mitautorin der Leitlinie. | |
Gefährlich wird die Geschichte vor allem, wenn Kindern eine Diät | |
vorgeschrieben wird, die sie in eine Mangelernährung treibt, etwa durch das | |
unbegründete Weglassen von Milchprodukten. "Das grenzt an | |
Kindesmisshandlung", findet Jörg Kleine-Tebbe, Allergologe vom Allergie- | |
und Asthma-Zentrum Westend in Berlin und Schriftführer der Leitlinie. | |
"Dass der Körper auf Nahrungsmitteleiweiße mit der Produktion von | |
IgG-Antikörpern reagiert, ist ganz normal, also keineswegs Zeichen einer | |
Erkrankung", meint der Berliner Allergologe. Schließlich seien | |
IgG-Antikörper auch bei Menschen erhöht, die keine allergischen Symptome | |
zeigten. | |
Viele Experten gehen heute sogar davon aus, dass hohe IgG-Werte eher | |
günstig zu beurteilen sind, weil sie häufig mit dem Gut-Vertragen von | |
Lebensmitteln einhergehen. Weil hiermit also den Patienten häufig, | |
möglicherweise irrtümlich, eine Allergie bescheinigt wird, könnte dies ein | |
Grund sein, warum so viele Menschen denken, unter einer Allergie zu leiden. | |
Die Studienlage ist jedoch nicht so eindeutig, wie die | |
Allergologen-Leitlinie glauben macht. "Es gibt viele Studien, die den | |
klinischen Wert von IgG-Tests unterstreichen, aber keine einzige, die das | |
Gegenteil belegt", so Gustav Jirikowski, Biologe an der Universität in | |
Jena, der selber zu Immunreaktionen auf Lebensmittel forscht. "Ein | |
Positionspapier ist eben nur eine literarische Standortbestimmung | |
Einzelner". | |
Eine im Jahre 2005 an der LMU München durchgeführte Studie zeigte etwa, | |
dass Fibromyalgie-Patienten durchaus von einer Diät, die auf einem IgG-Test | |
beruhte, profitierten. Auch Dirk-Rüdiger Noschinski, Heilpraktiker und | |
Autor eines Fachbuches über Nahrungsmittelunverträglichkeiten, wendet ein: | |
"IgG-Antikörper gegen Masern sind Zeichen einer durchgemachten Reaktion und | |
einer Immunität gegen Masern. Warum soll dasselbe bei Nahrungsmitteln eine | |
physiologische Reaktion sein?" | |
Während sich die Fachleute uneinig sind, ist zahlreichen Patienten mit | |
unspezifischen und oft chronischen Magen-Darm-Beschwerden nicht geholfen. | |
Dabei könnte ein genauer Blick auf den Speiseplan durchaus Licht in die | |
Sache bringen. | |
Die moderne Ernährungsweise soll nämlich bei der Zunahme von | |
Nahrungsmittelunverträglichkeiten eine nicht unwesentliche Rolle spielen, | |
so meint man beim Deutschen Allergie- und Asthmabund. | |
Mit fortschreitendem Alter vertragen viele Menschen etwa Frucht- oder | |
Milchzucker nicht mehr so gut. "Wer dann aufgrund offizieller | |
Ernährungsempfehlungen wie "5 am Tag" zwei Äpfel hintereinander isst oder | |
ein Glas Milch trinkt, der kann leicht mit Blähungen oder Durchfall | |
reagieren", so Imke Reese. | |
Zudem trägt die Nahrungsmittelindustrie ihr Scherflein zu dem Problem bei: | |
Zusatzstoffe wie Gluten, Sorbitol oder Lactose finden sich heute aus | |
technologischen Gründen, etwa zur Stabilisation, in zahlreichen | |
Fertigprodukten. Gluten, Klebereiweiß aus Weizen ist kritisch für | |
Zöliakie-Kranke. Und bei einem Zuviel an Fruktose, Lactose oder Sorbitol | |
machen selbst bei Gesunden die zuständigen Enzyme schlapp. | |
14 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Kathrin Burger | |
## TAGS | |
Weizen | |
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Forscher. |