# taz.de -- Liberale lieben SPD-Kandidaten: Eine Versuchung namens Gauck | |
> Viele ostdeutsche FDP-Politiker halten den Kandidaten der Opposition für | |
> eine gute oder gar für die bessere Wahl. Selbst CDUler liebäugeln mit | |
> ihm, nur die Linke ist verärgert. | |
Bild: Großer Kandidat unter großen Politikern: Zehnter Jahrestag des Mauerfal… | |
BERLIN taz | Ein halbes Jahr lang wurde die FDP vom Berliner | |
Koalitionspartner gedemütigt und vom eigenen Parteichef vorgeführt, jetzt | |
ist die Stunde der Revanche gekommen. In der Bundesversammlung am 30. Juni | |
verfügt die Partei über 147 Wahlmänner und -frauen. Damit der CDU-Politiker | |
Christian Wulff schon im ersten Wahlgang Bundespräsident werden kann, | |
dürfen ihm maximal 21 Stimmen aus dem Regierungslager fehlen. | |
Aus der Differenz dieser beiden Zahlen ergibt sich das Drohpotenzial, das | |
die FDP jetzt gut drei Wochen lang besitzt - gegenüber der Union, aber auch | |
gegenüber Guido Westerwelle. Sie nutzt es weidlich aus. | |
Lang ist die Liste ihrer Politiker, die am Wochenende Sympathie für den | |
rot-grünen Kandidaten bekundeten. "Joachim Gauck ist ein Vertreter der | |
ostdeutschen Seele. Darüber muss man schon nachdenken", sagte der | |
sächsische FDP-Fraktionschef Volker Zastrow. "Die Parteiführung muss | |
deutlich machen, welche strategischen Vorteile die Kür Wulffs für uns | |
bringt", drohte sein Thüringer Kollege Patrick Kurth. | |
"Wir werden in der Fraktion darüber zu sprechen haben, ob wir trotz | |
Bedenken mit Herrn Wulff leben können", erklärte der Fraktionschef aus | |
Sachsen-Anhalt, Veit Wolpert. "Ich schätze ihn. Er wäre auch ein guter | |
Bundespräsident", sagte die stellvertretende Parteivorsitzende Cornelia | |
Pieper, die ebenfalls aus Sachsen-Anhalt stammt. Sie stellte die Mehrheit | |
für Wulff allerdings nicht infrage. | |
Auch im Westen gibt es solche FDP-Stimmen. "Ich habe mich selbst gefragt, | |
warum wir nicht auf die Idee gekommen sind, Herrn Gauck zu nominieren", | |
sagte der schleswig-holsteinische Fraktionschef Wolfgang Kubicki. "Es darf | |
sich nicht der Eindruck festsetzen, dass die FDP zuerst Koalitionspartner | |
und dann erst die liberale Partei ist", kritisierte die bayerische | |
Generalsekretärin Miriam Gruß. "Das ist ein respektabler Bewerber", sagte | |
der baden-württembergische Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. | |
Sympathien für Gauck gibt es auch in der Union. Der frühere | |
brandenburgische CDU-Chef Jörg Schönbohm sagte, er frage sich, warum es | |
nicht möglich gewesen sei, "sich im bürgerlichen Lager mit der SPD auf | |
Gauck zu einigen". | |
Gauck-Begeisterung, wohin man blickt. Die Welt rief schon am Dienstag nach | |
dem Kandidaten, da hatte die SPD bei ihm noch gar nicht angefragt. "Yes, we | |
Gauck", titelte dieses Wochenende Bild am Sonntag, und der Spiegel verriet | |
schon auf der Titelseite: "Der bessere Präsident" (siehe Text rechts). | |
Nur die Linke steht am Spielfeldrand und ärgert sich. Gauck sei für seine | |
Partei "sehr, sehr problematisch", sagte Fraktionsvize Dietmar Bartsch der | |
Mitteldeutschen Zeitung. Es sei offen, ob die Linke an diesem Montag | |
tatsächlich einen eigenen Kandidaten präsentiere: "Da gehen die Meinungen | |
auseinander." | |
Bei der Präsidentschaftswahl im vorigen Jahr hatte die Partei den | |
Schauspieler Peter Sodann ins Rennen geschickt, der sich dann aber mit | |
Äußerungen etwa über die Verhaftung von Bankchef Josef Ackermann um Kopf | |
und Kragen redete. Die Linke verfügt in der Bundesversammlung über 124 bis | |
125 Stimmen. | |
Koalitionskandidat Wulff übte sich unterdessen in Demutsgesten. Sein Sieg | |
in der Bundesversammlung sei noch nicht gesichert. "Es kommt auf die | |
Geschlossenheit von CDU, CSU und FDP an", sagte er. Gauck sagte, das | |
höchste Staatsamt solle "keine Beute der Parteien sein". Es sei "gut, wenn | |
der Bundespräsident mitten aus dem Volk kommt". | |
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe sagte hingegen, er zweifle nicht daran, | |
"dass CDU, CSU und FDP in der Bundesversammlung geschlossen für Wulff" | |
stimmten. Die "billigen Attacken von SPD und Grünen auf Christian Wulff" | |
zeigten, dass die Opposition nichts dazugelernt habe. Schon deren | |
Äußerungen über den bisherigen Amtsinhaber Horst Köhler hätten "eindeutig | |
den nötigen Respekt vermissen lassen". | |
Als ob Köhlers Problem die Opposition gewesen wäre. Und als ob es die | |
Stimmen von SPD und Grünen wären, um die Christian Wulff jetzt zittern | |
muss. Und nicht die der Wahlmänner und -frauen eines Koalitionspartners, | |
der seine Chance auf Revanche jetzt endlich gekommen sieht. | |
7 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Ralph Bollmann | |
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