# taz.de -- Bundespräsidenten-Kandidat Gauck: "Ich kann zählen" | |
> Der rot-grüne Kandidat Joachim Gauck macht die Blässe des | |
> Regierungskandidaten Christian Wulff noch augenfälliger – und ist eine | |
> Provokation für die Linkspartei. | |
Bild: Er komme aus der Mitte der Bevölkerung und will nicht nur bei SPD und Gr… | |
BERLIN taz | Wir müssen uns Joachim Gauck als glücklichen Menschen | |
vorstellen. Gelassen betritt er den gut gefüllten Saal der | |
Bundespressekonferenz, erduldet das Geknipse der Fotografen und nimmt | |
schließlich Platz am Rednertisch zwischen den Fraktions- und | |
Parteivorsitzenden von SPD und Grünen. Denn ihr gemeinsamer Kandidat fürs | |
Amt des Bundespräsidenten hat an diesem sonnigen Freitag sein eigentliches | |
Ziel bereits erreicht: Er darf übers Große und Ganze reden, und die | |
Menschen hören ihm zu. Näher wird er dem höchsten Staatsamt nicht kommen, | |
und Gauck weiß das. | |
"Ich bin Realist, ich kann zählen", antwortet der 70-Jährige auf die Frage, | |
ob er sich Chancen ausrechne, eine Stimmenmehrheit in der Bundesversammlung | |
zu erreichen. Dann sagt er noch: "Ich gehe mit großer Gelassenheit auf den | |
30. Juni zu." | |
Das mag sogar stimmen. Der erste Leiter der Behörde für die | |
Stasi-Unterlagen muss nichts mehr werden. Von 1990 an lenkte der ehemalige | |
Pfarrer aus Rostock zehn Jahre lang die "Gauck-Behörde" und erarbeitete | |
sich im Kampf um deren politische und organisatorische Eigenständigkeit | |
enormes Ansehen. Nebenher führte er zähe Gerichtsprozesse mit SPD- und | |
PDS-Politikern über deren angebliche Verstrickungen mit der Stasi. 1999 | |
lehnte er eine Bitte aus der CSU ab, für die Union gegen Johannes Rau | |
anzutreten. | |
Nun aber sitzt Joachim Gauck doch noch als Kandidat für dieses Amt hier, | |
und er weiß, dass seine Rolle einen Spagat erfordert: Überparteilich soll | |
er wirken, dabei ist er umrahmt von Spitzenpolitikern zweier Parteien. Er | |
sei "weder rot noch grün", sagt der parteilose Gauck. Auch an der Kritik an | |
Angela Merkel werde er sich nicht beteiligen. | |
Den Männern um ihn herum macht das nichts aus. Ihr Kandidat ist für ihre | |
Zwecke perfekt: Gaucks Lebenslauf und seine rhetorische Begabung machen die | |
Blässe des 50-jährigen Christian Wulff noch augenfälliger. Doppelzüngig | |
sagt der Co-Vorsitzende der Grünen, Cem Özdemir: "Die Bundeskanzlerin hat | |
sich leider für die innerparteiliche Logik entschieden." Und vielleicht, so | |
die Hoffnung, werde Gauck sogar einige Stimmen ostdeutscher Abgeordneter | |
aus dem Regierungslager gewinnen - wenn diese "dem Herzen und ihrem | |
Verstand folgen". | |
So gewinnend sich der Oppositions-Kandidat gibt, so deutlich ist seine | |
Kühle gegenüber der Linkspartei: "Ich komme gern zu den Liberalen, gerne zu | |
den Christdemokraten", sagt Gauck. Schwarz-Gelb hat eine Mehrheit von 22 | |
bis 24 Stimmen in der Bundesversammlung. Ohne Unterstützung durch die | |
Linkspartei und Stimmen aus dem Regierungslager ist Gaucks Kandidatur also | |
aussichtslos. | |
Schon jetzt ist klar: Linksparteichef Klaus Ernst wird Joachim Gauck nicht | |
wählen. Wenn SPD und Grüne erwarteten, dass "sie uns einfach einen | |
Kandidaten vorsetzen, den wir dann wählen dürfen", täuschten sie sich, | |
sagte Ernst. Gauck habe gewiss Verdienste bei der Aufarbeitung der | |
Stasi-Vergangenheit. Die Republik brauche aber einen Bundespräsidenten, der | |
bei Zukunftsproblemen wie der Bewältigung der Krise und der Spaltung der | |
Gesellschaft kompetent sei. | |
Ulla Jelpke, die zur Antikapitalistischen Linken zählt, sagte der taz, dass | |
sie Gauck "natürlich nicht wählen werde. Sie sei "entsetzt, dass Rot-Grün | |
sich so entschieden hat". Auch Jan Korte, der zum pragmatischen | |
Parteiflügel zählt, hält Gauck für keine gute Wahl. Schon das Verfahren von | |
Rot-Grün, so Korte zur taz, sei "untragbar". SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte | |
Linksparteichefin Gesine Lötzsch am Donnerstag den Fakt mitgeteilt. | |
Kandidaten aus der DDR-Bürgerrechtsbewegung wie Friedrich Schorlemmer oder | |
Markus Meckel wären für die Linke akzeptabel gewesen, so hört man bei den | |
Pragmatikern. Gauck hingegen empfinden manche in der Partei als | |
Provokation. "Das wird in der Linkspartei gerade jene Kräfte stärken, die | |
eine Mitte-links-Regierung nicht wollen", fürchtet Korte. | |
Einen gemeinsamen rot-rot-grünen Kandidaten hätte sich Dietmar Bartsch, | |
Vizefraktionschef im Bundestag, gewünscht: "Da ist eine Chance vertan | |
worden", meint er. Die Pragmatiker halten Gaucks Kandidatur für einen | |
Rückschlag für Rot-Rot-Grün. Stil und Personalie seien ein klares Indiz, | |
dass Rot-Grün in Richtung Ampel steuere. Bei der SPD habe sich offenbar die | |
Ansicht durchgesetzt, dass die Linkspartei nicht regierungsfähig sei. Diese | |
wird am Montag wohl einen eigenen Kandidaten präsentieren. | |
Gauck, diesen gleichzeitigen Verlierer und Gewinner des | |
Bundespräsidenten-Duells, ficht das nicht an. Über den Tag der Wahl in vier | |
Wochen sagte er: "Ich werde dastehen und mich freuen. So wird es sein." | |
5 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
M. Lohre | |
S. Reinecke | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Liberale lieben SPD-Kandidaten: Eine Versuchung namens Gauck | |
Viele ostdeutsche FDP-Politiker halten den Kandidaten der Opposition für | |
eine gute oder gar für die bessere Wahl. Selbst CDUler liebäugeln mit ihm, | |
nur die Linke ist verärgert. | |
Kommentar Gauck und Rot-Rot-Grün: Signal für die Wagenburg | |
Rot und Grün haben die "Linke" abermals düpiert. Schlecht für mögliche | |
Rot-rot-grüne Perspektiven auf Bundesebene. Leider ist die "Linke" nicht | |
souverän genug, trotzdem für Gauck zu stimmen. | |
Wahl des Bundespräsidenten: Was gut für Merkel ist | |
Für Angela Merkel ist Christian Wulff eine kluge Wahl – der letzte ernst zu | |
nehmende Rivale ist weg. Nur der Gegenkandidat Joachim Gauck könnte die | |
Union in Erklärungsnot bringen. |