# taz.de -- Merkels idealer Präsident: "Danke, dass es Sie gibt" | |
> Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über einen großen Redner, Mahner und | |
> Demokraten. Die Laudatio zum 70. Geburtstag von Joachim Gauck. | |
Bild: Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Präsidentenkandidat Joachim Gauck. | |
"[…] Eigentlich könnte er die Laudatio auf sich am allerbesten selbst | |
halten. Denn da er ein herausragender Redner und prägnant in der Ansprache | |
ist und das, was er ausgeführt hätte, vielleicht auch noch höheren | |
Neuigkeitswert hätte als das, was ich zu sagen habe, wäre das ein | |
interessantes Experiment gewesen. | |
Aber ich sage gerne einige Worte zu ihm, denn trotz aller | |
Verschiedenartigkeit verbindet uns ja einiges, auch im Persönlichen, | |
nämlich ein großer Teil des Lebens in der ehemaligen DDR und dort auch die | |
immerwährende Sehnsucht nach Freiheit. […] | |
Weil er so eine spannende Persönlichkeit ist, sage ich natürlich aus vollem | |
Herzen, dass ich ihm gerne meine Reverenz erweise, denn er hat sich in | |
herausragender und auch in unverwechselbarer Weise um unser Land verdient | |
gemacht - als Bürgerrechtler, politischer Aufklärer und Freiheitsdenker, | |
als Versöhner und Einheitsstifter in unserem jetzt gemeinsamen Land sowie | |
als Mahner und Aufarbeiter des SED-Unrechts und damit auch als ein Mann, | |
der immer wieder an historische Verantwortung erinnert. Welche Facette man | |
auch hervorhebt, immer spiegelt sich das Fundament unserer Gesellschaft | |
wider: Einigkeit in Recht und Freiheit. | |
Zunächst zum ersten großen Leitmotiv Ihres vielfältigen Wirkens, zur | |
Freiheit. Wer in Ihrem reichen publizistischen Werk stöbert, der spürt: | |
Freiheit ist die zentrale politische Idee, der Sie sich zeit Ihres Lebens | |
verpflichtet gefühlt haben und auch sicherlich weiterhin verpflichtet | |
fühlen. […] | |
Ihre herausragende und prägende Rolle als Pfarrer wie die der Kirche | |
insgesamt waren kein Zufall. Wir wollen an diesem Tag hier noch einmal kurz | |
daran erinnern: Die Kernbotschaft der friedlichen Revolution war - Sie | |
haben es jedenfalls einmal so gesagt -, ,dass die Ostdeutschen mit ihrer | |
friedlichen Revolution unserer Nation die Eintrittskarte in den Kreis jener | |
Völker gelöst haben, die ihre eigene Freiheitstradition haben'. Das ist im | |
Rückblick das, was - ich sage das einmal als ehemalige DDR-Bürgerin - unser | |
Beitrag für die deutsche Geschichte ist. Ich sage auch: Daran glauben wir, | |
und daran müssen sich auch manche Westdeutsche nach 20 Jahren immer noch | |
gewöhnen. […] | |
Den Kern der Freiheit haben Sie einmal folgendermaßen umschrieben: ,Wer | |
nicht lebt, was er als Möglichkeiten, die in ihm angelegt sind, leben | |
könnte, wer sich so die Vollmacht aus den Händen seines Lebens nehmen | |
lässt, jene Vollmacht, die aus Verantwortung erwächst, der erlaubt sich | |
nicht, zu einer Fülle des Lebens zu gelangen, die ihm möglich ist und die | |
wir alle brauchen.' | |
Damit haben Sie indirekt im Grunde das gesagt, worunter zumindest ich | |
persönlich in der ehemaligen DDR so gelitten habe: dass man niemals an die | |
Grenzen der eigenen Möglichkeiten kommen konnte. Das hatte den | |
schrecklichen Nebeneffekt, dass, wenn man den Eindruck hatte, man hätte | |
noch weitergehen können, sich vorher aber der Staat dazwischengeschoben | |
hat, man dann nach vielen Jahren dazu neigte, sich selbst besser zu finden, | |
als man eigentlich war, weil man ja immer als Entschuldigung den Staat | |
vorschieben konnte. | |
[…] Stilsicher und streitfreudig im besten Sinne des Wortes weisen Sie | |
immer wieder darauf hin: Freiheit ist keine Selbstverständlichkeit, sie | |
muss immer wieder erkämpft und verteidigt werden. Dafür stehen Sie mit | |
Ihrer Biografie ganz überzeugend Pate. | |
[…] Viele Erfolge des Aufbaus Ost sind selbstverständlicher Alltag | |
geworden. Umso wichtiger ist der Kampf gegen das Vergessen. Das ist seine | |
zweite große Leistung. Da kann ich nur sagen: Wir werden noch viel Kraft | |
brauchen, sich dem Vergessen entgegenzustemmen. | |
Sie sind Mahner, Sie sind ein richtiger Demokratielehrer. Sie halten die | |
Erinnerung an die DDR und ihr Unrechtssystem wach. Sie werben immer wieder | |
für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. | |
Sie verbinden das nicht einfach nur mit Funktionen und Ämtern. Denn auch | |
nach dem Abschied als Leiter der nach Ihnen benannten Behörde […] haben Sie | |
immer wieder darauf hingewiesen, dass das SED-Unrechtsregime aufgearbeitet | |
werden muss, dass man mahnen muss und dass dies gerade auch bei den jungen | |
Menschen ins Gedächtnis gebracht werden muss. | |
[…] Die nach Ihnen benannte Behörde hat nicht nur Maßstäbe für die Arbeit | |
gegen das Vergessen gesetzt, sondern auch Maßstäbe in der Hinsicht, dass es | |
nicht um Rache geht, sondern darum, für die Gesellschaft etwas Positives zu | |
leisten und Versöhnung zu ermöglichen. | |
Damit bin ich bei Ihrer dritten großen Leistung, nämlich bei Ihrem Beitrag | |
zur inneren Einheit Deutschlands. Sie werben bis heute unermüdlich für eine | |
Begegnung von West- und Ostdeutschen, denn Sie wissen, dass es für ein | |
wirklich gutes Miteinander die Offenheit für die Erfahrungen des anderen | |
braucht. […] | |
Heute stehen wir in gemeinsamer Verantwortung für die Zukunft unseres | |
Landes. Sie sind der Letzte, der immer nur den Blick zurückwirft. Sie | |
warnen zu Recht immer wieder vor einem Rückzug aus gesellschaftlicher | |
Verantwortung. Deshalb ein drittes Zitat von Ihnen: ,Von den Menschen aus | |
der Bürgerrechtsbewegung lernen heißt auch, sich zu bewähren, wenn die | |
Diktatur vorbei ist.' | |
[…] Freiheit und Recht müssen ebenso geschützt und verteidigt werden, wie | |
Einigkeit immer wieder gelebt werden muss. Diese Herausforderung stellt | |
sich uns Tag für Tag. Deshalb ist es so gut, dass Sie mit Ihrem beruflichen | |
Abschied aus der Behörde nicht etwa aufgehört haben, sich zu engagieren, | |
sondern dass Sie mit der Aufarbeitung von Unrecht und Aufklärung über | |
Unrecht und Unfreiheit weitermachen. […] | |
Wenn wir anfangen, Toleranz bei Werten zu zeigen, die sozusagen nicht | |
verhandelbar sind, wenn wir anfangen, etwas zuzulassen, was dem Kern | |
unseres Grundgesetzes widerspricht - ,Die Würde des Menschen ist | |
unantastbar' -, wenn wir anfangen, hier Kompromisse zu machen, wird es | |
schwierig. Dann verraten wir im Grunde das, was wir uns an anderer Stelle | |
mühselig erkämpft haben. […] | |
Weil wir immer wieder Debatten brauchen, weil wir uns immer wieder | |
miteinander austauschen müssen, ist es so gut, dass wir Sie haben. Denn Sie | |
legen den Finger in die Wunde, wenn Sie eine Wunde sehen, aber Sie können | |
auch Optimist sein und sagen: Es geht voran. Beides brauchen wir. | |
Danke, dass es Sie gibt. Danke, dass Sie weiter da sind." | |
7 Jun 2010 | |
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