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# taz.de -- Überwachung war rechtswidrig: Linke illegal ausgeforscht
> Das BKA dachte Mitglieder der "militanten gruppe" an der Angel zu haben.
> Es hörte Telefone ab, filmte Hauseingänge, las E-Mails. Rechtswidrig –
> sagte jetzt der Bundesgerichtshof.
Bild: Jörg Ziercke, seit 2004 BKA-Präsident.
Jahrelang hat das Bundeskriminalamt (BKA) drei Berliner aus der
linksradikalen Szene illegal überwacht. Die Beamten hörten Telefone und
Handys ab, überwachten Kontodaten, filmten Hauseingänge, forschten E-Mails
aus und brachten GPS-Peilsender an Autos an. Sie dachten, sie hätten ganz
dicke Fische an der Angel: die vermeintlichen Gründer der linksextremen
"militanten gruppe" (mg). Doch das Ermittlungsverfahren gegen Markus H.,
49, Jonas F., 37, und Ernst-Joachim U., 62, wurde schon vor eineinhalb
Jahren eingestellt. Nun hat der Bundesgerichtshof zudem die Überwachung der
drei von 2001 bis 2006 als "rechtswidrig" bewertet. Der Beschluss stammt
bereits vom März, ist allerdings erst jetzt öffentlich geworden.
Das Fazit des Bundesgerichtshofs fällt vernichtend aus. "Zu keinem
Zeitpunkt" habe ein ausreichender Tatverdacht bestanden. Anders
ausgedrückt: Die Terroristenjäger aus Wiesbaden und Karlsruhe sind weit
übers Ziel hinausgeschossen. Von einer "Totalüberwachung" spricht Sönke
Hilbrans, der Verteidiger eines der Betroffenen. "Sie wurden über Jahre zum
Objekt von Bespitzelung gemacht."
Wie waren die drei überhaupt ins Visier der Fahnder geraten? Dem
Verfassungsschutz waren sie spätestens seit 1990 als Aktivisten der
autonomen, antiimperialistischen Szene bekannt, von 1998 an wurden
"operative Maßnahmen" gegen sie durchgeführt. Zwei von ihnen gehörten dem
"Solidaritätskomitee Ramos Vega" an - Vega ist ein ETA-Aktivist, der 1995
festgenommen und 1997 in Spanien verurteilt wurde. Später engagieren sich
alle drei bei der linksradikalen Organisation Libertad, die sich für
"politische Gefangene" einsetzt, wozu sie auch ehemalige RAF-Mitglieder
zählt.
Im Juni 2001 schrillen bei den Sicherheitsbehörden die Alarmglocken. Beim
Regierungsbeauftragten für die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter, Otto
Graf Lambsdorff, geht ein Brief ein, dem eine Patrone beigelegt ist.
Unterzeichnet mit "militante gruppe". Der Verfassungsschutz glaubt
Anhaltspunkte zu haben, dass Markus H., Jonas F. und Ernst-Joachim U.
Gründungsmitglieder der "mg" sind, und gründet das auf Textanalysen von
Positionspapieren aus Anfangszeiten der "mg" und Bekennerschreiben zu
Anschlägen. Außerdem vermutet der Verfassungsschutz, U. habe unter dem
Decknamen "Antonio" an einem "Runden Tisch der Militanten" teilgenommen,
von dem später ein Gesprächsprotokoll öffentlich wird. Kurz darauf regt das
BKA eine Überwachung der drei an, die der Generalbundesanwalt dann auch
beantragt.
Brisant ist, dass das BKA selbst zuvor ein eigenes linguistisches Gutachten
erstellen ließ, das zu einem völlig anderen Ergebnis kam als der
Verfassungsschutz. So konnte der BKA-Sachverständige keine Autorenidentität
zwischen den "mg"-Positionspapieren, den Bekennerschreiben und dem
Protokoll vom "Runden Tisch der Militanten" feststellen. Im Antrag des
Generalbundesanwalts an den Ermittlungsrichter wurde das Gegengutachten
aber nicht erwähnt.
In der Folgezeit ließ sich der Verdacht gegen die drei in keiner Weise
erhärten. Die Überwachungen "erbrachten bisher keine Erkenntnisse darüber,
ob die Beschuldigten Mitglieder der ,militanten gruppe' sind", schrieb das
BKA im Januar 2002. Es sei "unwahrscheinlich", mit den bisher weitestgehend
ins Leere gelaufenen Maßnahmen "in näherer Zukunft bei dem gleichen
Personenkreis Beweise für eine Tatbegehung zu erlangen", hieß es im
November 2003. Trotzdem wurden die drei Männer jahrelang weiter überwacht.
Der Focus machte sie zwischenzeitlich gar zu mutmaßlichen "Anführern" der
"mg" und berichtete genüsslich über ein zufälliges Zusammentreffen von
einem der Männer mit dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder bei einem
Nobelitaliener in Berlin. Sogar ein Foto soll dabei entstanden sein. Die
Überschrift: "Familienfoto mit Kanzler".
Wie weit die Überwachung ging, geht aus dem Abschlussbericht des BKA vom
27. Mai 2008 hervor. So wurden auch Telefone in Wohngemeinschaften,
Ferienhäusern und in Bäckereien abgehört, in denen die Observierten
arbeiteten. Gespräche in einem vegetarischen Café wurden belauscht,
Internetcafés per Video überwacht, und ein Auto wurde über 20 Monate per
GPS-Sender nachverfolgt. Selbst private Details haben die Ermittler
vermerkt: "Anzumerken bleibt, dass die Tochter des F. geboren wurde", heißt
es dort etwa. Doch auch Gespräche mit anderen politischen Initiativen
wurden belauscht, so mit einem Vertreter der "Opferperspektive", einer
Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt.
Als die Polizei im Mai 2007 vor dem G-8-Gipfel in Heiligendamm eine
deutschlandweite Razzia bei linken Aktivisten durchführt, werden auch die
Wohnungen von Markus H., Jonas F. und Ernst-Joachim U. durchsucht. Auch
hierbei fand sich nichts, was auf eine Mitgliedschaft in der "militanten
gruppe" hindeutete oder gar darauf, dass sie deren Gründer waren.
Erst im September 2008 stellte die Bundesanwaltschaft das
Ermittlungsverfahren ein. Die verdeckten Maßnahmen hätten den
Anfangsverdacht gegen die drei Männer nicht erhärtet. Der Bundesgerichtshof
hat nun festgestellt: Es hat nie einen ausreichenden Tatverdacht gegeben.
19 Jun 2010
## AUTOREN
Wolf Schmidt
## TAGS
Schwerpunkt Überwachung
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