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# taz.de -- Studie zur sozialen Auslese: Nach der Grundschule wird's ungerecht
> Herkunft und Schulerfolg sind eng gekoppelt: Das zeigt die erste
> bundesweite Studie zum Übergang nach der Grundschule. Es ist das
> Abschiedsgeschenk eines wichtigen Bildungsforschers.
Bild: Hier spielt die soziale Herkunft noch keine große Rolle: Sachkunde-Unter…
BERLIN taz | Das Ende der Grundschulzeit markiert den Beginn der sozialen
Auslese. Dies belegt die erste bundesweit repräsentative Studie zum
Übergang von Grundschülern an weiterführende Schularten. "Der Lernerfolg an
deutschen Schulen ist noch immer eng an den sozialen Status gekoppelt. Die
Chancen von Jugendlichen aus der Oberschicht ein Gymnasium zu besuchen sind
derzeit dreimal so hoch, wie die Gleichaltriger aus Arbeiterfamilien", sagt
Studienleiter Jürgen Baumert.
Mit der am Freitag veröffentlichten Studie legt der frisch emeritierte
Direktor des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung ein
brisantes Abschiedsgeschenk vor - das der Öffentlichkeit umso unauffälliger
überreicht wird. Eine dürre Pressemitteilung des Bundesbildungsministeriums
als Auftraggeber weist auf das 430-Seiten starke Kompaktwerk hin.
Baumert und sein Team haben untersucht welchen Einfluss Noten, Elternhaus,
Schule, Lehrer und die Verbindlichkeit der Übergangsempfehlung auf den
weiteren Schulweg der Grundschüler haben. Die Übergangsstudie basiert auf
Daten von über 5000 Schülern, die die Wissenschaftler im Rahmen des
Schülervergleichs in Mathe und Naturwissenschaften (TIMSS) im Jahre 2006/07
erhoben haben. Für die Sonderauswertung haben sie nur Länder mit
vierjähriger Grundschulzeit berücksichtigt und Förderschüler außer acht
gelassen.
Noten, das überrascht nicht, sind das entscheidende Kriterium, welches über
den weiteren Schulweg entscheidet. Doch spiegeln Noten und Leistungen
wiederum auch die soziale Herkunft der Schüler wider. Schüler aus
sogenannten bildungsferneren Elternhäusern haben schlechtere Schulleistung
als Mitschüler aus Familien, die Bücher als Gebrauchsgegenstände haben.
Solche als primäre Herkunftseffekte bezeichneten Nachteile wirken sich
wiederum nachteilig auf die Noten und damit auf die Chancen aus, ein
Gymnasium zu besuchen.
Daneben unterscheiden Baumert und seine Mitarbeiter auch sekundäre Effekte,
subtile Faktoren die trotz gleicher Leistungen für ungleiche Chancen
sorgen. Solche verinnerlichten Klassenunterschiede sorgen etwa dafür, dass
die Chancen von Kindern aus der Oberschicht bei gleicher Schulempfehlung um
mehr als 60 Prozent besser als die von Kindern aus der Mittelschicht sind.
Je mehr Freiheit die Eltern bei der Schulwahl haben, umso größer die
sozialen Unterschiede. Eine verbindliche Schulempfehlung kann
dementsprechend für mehr Gerechtigkeit sorgen.
Gleichzeitig zeigt sich, dass Eltern sich in der Regel den Schulabschluss
für ihre Kinder wünschen, den sie selbst gemacht haben - bis auf jene mit
Hauptschulabschluss. Nur zehn Prozent von ihnen sehen ihre Kinder auf einer
Hauptschule, doch über die Hälfte aus dieser Gruppe erhält dann doch die
Hauptschulempfehlung. Die Mehrheit setzt diese Empfehlung um, so dass 40
Prozent der Kinder aus Familien, die einen Hauptschulabschluss haben,
ihrerseits zur Hauptschule wechseln. Nur jedes siebte Kind, dessen Eltern
lediglich die Hauptschule besucht haben, geht nach der Grundschule aufs
Gymnasium.
Umgekehrt ist das Verhältnis bei Akademikerkindern. Drei Viertel von ihnen
wünschen sich, dass ihre Kinder aufs Gymnasium gehen, für 60 Prozent münzt
sich dieser Wunsch in eine entsprechende Empfehlung um. Auf eine
Hauptschule wechselt nur ein Prozent der Kinder aus Familien mit
Hochschulreife. Dabei gilt: je höher der Bildungsabschluss, desto besser
der soziale Status.
Je nach gewählter oder verordneter Schulform verlaufen die Leistungskurven
der Schüler nach dem Schulwechsel steiler oder flacher. Am deutlichsten
zeigt sich dies in den Fächern Mathematik und Englisch. Während
Gymnasiasten kräftig dazulernen, dümpeln Hauptschüler auf geringem
Wissensniveau dahin. Das konterkariert den Ansatz gegliederter Schulsystem,
alle Schüler gleich gut zu fördern. Wissenschaftler sprechen von deutlichen
Schereneffekten.
Kinder aus eingebürgerten und zugewanderten Familien haben grundsätzlich
niedrigere Chancen ein Gymnasium zu besuchen. Dies lässt sich aber nicht
mit der ethnischen Herkunft sondern im Wesentlichen durch den geringeren
sozialen Status der Eltern erklären. Interessanterweise ist die Herkunft
sogar von Vorteil, wenn die Schüler gleich gut in der Schule. Dann haben
Schüler mit Migrationshintergrund sogar bessere Aussichten als eingeborene
Mitschüler am Gymnasium zu landen. Die Wissenschaftler erklären sich dies
damit, dass die Bildungsaspirationen von Zugewanderten, vor allem in
türkischen Familien, besonders ausgeprägt sind.
2 Jul 2010
## AUTOREN
Anna Lehmann
Anna Lehmann
## TAGS
Selektion
Schule
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