# taz.de -- Kultursommer: Langsamer Abschied von der Landpartie | |
> Das Schleswig-Holstein Musikfestival muss vom kommenden Jahr an sparen | |
> und will das vor allem bei der Flächenbespielung tun. Damit aber | |
> verwässert es sein Profil und zerstört mittelfristig sein wichtigstes | |
> Alleinstellungsmerkmal. | |
Bild: Exquisites Paar: Pferd und Musik auf Landpartie | |
"Das Schöne an meinem Job ist, dass ich das Geld nicht einwerben muss. Ich | |
darf es einfach ausgeben". Frank Siebert, Chefdramaturg des | |
Schleswig-Holstein Musikfestivals (SHMF), hat gut lachen. Er darf sich | |
ausschließlich musikalischen Belangen widmen, darf für die | |
Länderschwerpunkte vorrecherchieren; das diesjährige Festival, das am | |
Sonntag in Lübeck startet, widmet sich Polen. | |
Das lästige Einwerben der Gelder dagegen, das Rechnen und Bilanzieren: | |
machen andere. Sieberts Chef zum Beispiel, Intendant Rolf Beck, der das | |
Festival seit 1998 leitet. Beck ist stolz darauf, dass das SHMF eines der | |
wenigen ist, die Gewinn erwirtschaften, weil er stets konservativ rechnet. | |
Sollte dann ein Konzert tatsächlich mal schlecht gelaufen sein, konnte er | |
sich aus seinen Rücklagen bedienen. 1,1 Millionen Euro hatte das SHMF | |
zuletzt zusammengespart, um für die nächsten Jahre gerüstet zu sein. | |
Alles vergebens: Im Frühjahr trat die Kieler Landesregierung an den | |
Intendanten heran: Ob er die 1,1 Millionen nicht dem klammen Land | |
überweisen könne - als Solidaritätsbeitrag gewissermaßen. Beck war | |
einverstanden, man schloss sogar einen Vertrag darüber ab. "Wir dachten, | |
damit wäre es getan", berichtet Chefdramaturg Siebert. "Die Politik hatte | |
signalisiert, dass es keine weiteren Kürzungen geben werde." | |
Bald jedoch kursierten Gerüchte: Das Land plane, den Zuschuss für das SHMF | |
von 20 Prozent des Budgets auf 15 Prozent zu kürzen. Beck suchte das | |
Gespräch, wollte verhandeln. Er bekam nicht mal einen Termin. Im Mai dann | |
wurde es publik: Von 1,7 auf 1,2 Millionen Euro schrumpfen die Mittel, die | |
das SHMF vom Land erhält. | |
Das scheint zunächst nicht viel, lebt das Festival mit einem Etat von rund | |
acht Millionen Euro doch zum größeren Teil von rund 130 Sponsoren sowie den | |
Eintrittsgeldern. Die Wut war deswegen nicht geringer: "Leistung wird also | |
bestraft", dachten die Macher. Aber: "Jammern ist unsere Sache nicht", sagt | |
Siebert. Jetzt drehen sich die Gedanken: Wo soll man sparen - bei der Zahl | |
der Konzerte? Bei der Qualität? Soll man populistischer werden, um ein | |
größeres Publikum anzuziehen? "Nein", sagt Siebert, "das wollen wir auf | |
keinen Fall". Eher werde an Verwaltung und Personal gedacht - und an die | |
Flächenbespielung. Es sei eben teuer, an Orten zu spielen, die keine | |
Infrastruktur hätten und wo man "von der Bestuhlung bis zur Toilette alles | |
hinbringen muss", sagt Siebert. Kurzum: Man werde die Zahl solcher Orte - | |
Scheunen und Ställe etwa - reduzieren müssen. Das geht in der Tat ans | |
Eingemachte. Denn gerade solch entlegene Spielstätten sind wichtigste Säule | |
des SHMF - und dessen ganzer Stolz. Das "Prinzip Landpartie" eben. | |
Sicher, andere Festivals haben dieses Konzept inzwischen kopiert - die | |
Musikfestspiele Mecklenburg-Vorpommern, die Musiktage Hitzacker, die | |
Fredener Musiktage oder auch der Musikalische Sommer Ostfriesland. Ein | |
bisschen hatte das SHMF also ohnehin eingebüßt von seiner | |
Unverwechselbarkeit, auch wenn Beck stets darauf pocht, dass "das Original | |
besser sein muss als die Kopie". Auch sein geographisches Profil hatte das | |
SHMF schon in den fetten Jahren verwässert, indem es den "Spielraum | |
Hamburg" dazunahm. Baut man den jetzt aus Geldnot tatsächlich aus - und das | |
will Beck offenbar - könnte die Flächenbespielung darunter leiden. Und das | |
SHMF würde vollziehen, was es doch eigentlich vermeiden will: den Rückzug | |
aus der Peripherie zugunsten der Metropole. | |
Dass die Hansestadt den "Spielraum Hamburg" mit keinem Cent fördert, stört | |
da übrigens nicht: Dort, weiß Siebert, "gibt es viele Sponsoren" und zudem | |
"interessante Spielorte", etwa den schon 2009 genutzten Hangar des | |
Flughafens. Eine Aufweichung des Konzepts mag Siebert in der Bewegung auf | |
Hamburg zu nicht erkennen. "Unser Profil", sagt er vielmehr, "wird durch | |
solche besonderen Orte noch mehr geschärft und fein gezeichnet". | |
Das klingt ein bisschen nach Schönrednerei. Weil aber das SHMF dort das | |
einzige größere Musikereignis des Sommers ist, füllt es an der Elbe | |
tatsächlich eine Lücke. Die örtlichen Profi-Orchester haben dann tariflich | |
festgeschriebene Ferien. Was bleibt, sind Musikstudenten - also eigentlich | |
noch Laienmusiker, die froh sind, in solch einem Rahmen auftreten zu | |
dürfen. | |
Diese Idee - gute Nachwuchsmusiker zu einem günstigen Preis - prägt das | |
SHMF von Anfang an: Höchstens 26 dürfen die Musiker sein, die nach etlichen | |
Vorspiel-Runden jedes Jahr neu zu "Festivalorchester" und "Festivalchor" | |
zusammengestellt werden. Gage bekommen sie keine. Dafür wohnen sie auf | |
Schloss Salzau und werden obendrein verpflegt. Kein unfairer Deal, findet | |
Siebert: "Die jungen Leute bewerben sich zu Hunderten und bekommen hier die | |
Chance, mit erstklassigen Dirigenten zu spielen." | |
Was sie in diesem Jahr spielen? Die im 19. Jahrhundert komponierte | |
polnische Nationaloper "Halka" von Stanislaw Moniuszko zum Beispiel. Die | |
kannte zuvor auch der examinierte Musikwissenschaftler Siebert nur vom | |
Hörensagen, "aber letztlich ist das bei jedem Länderschwerpunkt so", sagt | |
er: "Wir fangen an zu recherchieren und sind dann überrascht von der | |
Vielfalt und Qualität der betreffenden Musikszene." | |
In Polen sei das neben der Vielzahl hochkarätiger Pianisten und | |
Kammerorchester der Jazz; das SHMF präsentiert Ikonen wie den Trompeter | |
Tomasz Stanko und den Pianisten Leszek Mozdzer. Die Kontra-Altistin Ewa | |
Podles, die in ganz Europa und an der New Yorker MET gastiert, ist | |
hierzulande schon weniger bekannt. | |
Warum das so ist - und warum andererseits das Radiosinfonie-Orchester | |
Kattowitz binnen kürzestem ausverkauft war: Vielleicht liegt es an der | |
großen polnischen Community in Norddeutschland? Allein in Hamburg leben | |
rund eine Million Polen. Das Programm, sagt Siebert, werde "überraschend | |
gut angenommen - weit besser etwa als unser Frankreich-Schwerpunkt von | |
1999". | |
Auf Experimentelles und sonst wie schwer Vermittelbares hat man in diesem | |
Jahr weitgehend verzichtet. Zwar hat man mit Witold Lutoslawski, Krzysztof | |
Penderecki und Henryk Mikolaj Górecki drei bedeutende zeitgenössische | |
Komponisten auf dem Programm. Als "Avantgarde experimenteller Musik" würde | |
Siebert die aber auch nicht bezeichnen: "Gemäßigte Moderne", sagt er. Womit | |
man den Hörgewohnheiten eines eher konservativ-hanseatischen Publikums | |
vermutlich stark entgegenkommt. | |
7 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
Petra Schellen | |
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