# taz.de -- Musikformat auf dem Rückzug: Pop-Album kämpft gegen seinen Tod | |
> Es ist unheimlich: Obwohl das Album als musikalisches Format erledigt zu | |
> sein scheint, kehrt es derzeit in verblüffend kreativen Varianten wieder | |
> zurück. | |
Bild: Musik als Vehikel für eine hanebüchene "Story": Pink Floyds "The Wall"-… | |
Das Album, hört man allenthalben, ist tot. Schließlich leben wir in Zeiten, | |
da wir uns oft ducken müssen, weil Musik uns gar so bereitwillig | |
hinterhergeworfen wird und dieser eine Song, den wir wirklich haben wollen, | |
auf iTunes nur 99 Cent kostet. Wirklich Geld verdient wird nur noch mit | |
Konzerten, weil dort die Kunst ungeachtet ihrer technischen | |
Reproduzierbarkeit sozusagen noch leibhaftig auf der Bühne steht. Fleisch | |
und Blut. Aber ein Album anhören? Ernsthaft zuhören, was einem bestimmten | |
Künstler oder "auteur" so auf dem Herzen liegt, womit er mich schockieren | |
oder unterhalten will? Rückläufige Umsatzzahlen belegen, dass das | |
Albumhören als rezeptive Kulturtechnik sich tatsächlich auf dem geordneten | |
Rückzug befindet. Allerdings sind die Gefechte, die dabei derzeit | |
ausgetragen werden, mehr als hörenswert. Denn so ganz kampflos gibt sich | |
das Format nicht verloren. Im Gegenteil. | |
In der Popmusik kam und kommt es nur selten vor, dass ein Album mehr sein | |
will als "nur" eine lose Ansammlung von Songs, willkürlich in ein | |
bestimmtes Format gesperrt. Vielleicht, weil es sich der Pop als Feier der | |
Oberfläche im Normierten besonders wohlfühlt. Wenn irgendwo die Sehnsucht | |
nach höheren Weihen grassierte, dann im Rock, der, wenn man ihn lässt, | |
gerne mal gewichtig in den Tiefen des Daseins gründelt. In den | |
Siebzigerjahren waren es denn auch sogenannte Konzeptalben, bei denen die | |
Musik nur als Vehikel für eine meist hanebüchene "Story" diente, mal | |
opulente Doppelalben, die jeden Rahmen sprengten - meistens aber jeden | |
Rahmen sprengende Konzeptdoppelalben mit hoch symbolischem Inhalt, von | |
"Tales From Topographic Oceans" (Yes) über "Lamb Lies Down On Broadway" | |
(Genesis) bis zu "The Wall" (Pink Floyd). Parallel dazu präsentierten sich | |
besonders prominente Mucker gerne in immer wieder neu und wild | |
zusammengewürfelten "Supergroups" von Cream bis Asia, bei denen allein | |
schon die Namen der Beteiligten den Erfolg garantieren sollte. Erst der | |
Punk setzte dieser hypertrophen Aufrüstung des Gewöhnlichen ein Ende. Wer | |
nach 1979 noch mehr wollte, wurde hemmungslos verlacht. | |
Erst jetzt, mit der existenziellen Krise des Albums, beginnen sich wieder | |
Ambitionen zu regen, die über das Übliche hinausgehen: Das erfolgreichste | |
Konzeptalbum jenseits der Jahrtausendwende ist "American Idiot", es lebt | |
von schwelgerischen Suiten, wiederkehrenden musikalischen Themata, einer | |
durchgehenden Erzählung - und wurde ausgerechnet von der Punkband Green Day | |
aufgenommen. Und ausgerechnet eine Popsängerin wie Robyn aus Schweden | |
schickt sich an, mit ihrem "Body Talk"-Projekt in den kommenden Monaten | |
einen "Zyklus" aus drei Alben auf den Markt zu bringen. Natürlich lassen | |
sich auch daraus theoretisch einzelne Songs aus dem Internet laden und in | |
eine Playlist einfügen. Barbarisch wäre es trotzdem, als würde sich jemand | |
mit einem besonders gelungenen Kapitel aus den "Buddenbrooks" begnügen - | |
und das große Ganze links liegen lassen. | |
Ein paralleles Phänomen ist das auferstandene Supergroup-Prinzip unserer | |
Tage. "The Place We Ran From" heißt das Debüt einer Gruppe namens Tired | |
Pony, die sich aus Mitgliedern von Indie-Bands wie Snow Patrol, The Editors | |
oder Belle & Sebastian zusammensetzt, ergänzt um Peter Buck von R.E.M. - | |
die krude Mischung machts. Einen ähnlichen Weg beschritten Them Crooked | |
Vultures, hinter denen sich Josh Homme (Queens Of The Stone Age), Dave | |
Grohl (Nirvana, Foo Fighters) und John Paul Jones (Led Zeppelin) verbergen. | |
Auf das "Supergroup"-Phänomen angesprochen, bewies der Led-Zeppelin-Bassist | |
im Gespräch mit der taz Humor: "Supergroup? Manche nennen uns auch eine | |
Superdupergroup!" | |
Das ausgeschwitzte Album | |
Die eigentliche Signatur unserer Ära des sterbenden Albums ist | |
kurioserweise die Coverversion - und das Kollektiv. Covern bedeutet heute, | |
ernsthaft betrieben, eine Anverwandlung des Vergangenen, die über jede | |
Nostalgie hinausgeht und dem verwendeten Material einen eigenen Stempel | |
aufdrückt. Gerade die Coverversion als Würdigung nicht nur des Originals, | |
sondern des Prinzips "Covern" an sich schreit förmlich nach dem | |
Albumformat. Johnny Cash hats mit "American Recordings" vorgemacht, aber | |
auch das aktuelle Coverversionen-Album von Nada Surf ("If I Had A Hifi") | |
lebt vom spätpostmodernen Gestus, Geschichte als Steinbruch für das Bauen | |
eigener Hütten und Paläste zu verwenden. Sogar Peter Gabriel hat mit | |
"Scratch My Back" ein Album mit streicherseligen Coverversionen | |
ausgeschwitzt, mit dem er vor allem den Songtexten zu mehr Geltung | |
verhelfen will. | |
Interessanter ist da schon ein Projekt, wie es die neopsychedelischen | |
Flaming Lips auf die Beine gestellt haben: Die Band aus Omaha covert Pink | |
Floyds "Dark Side Of The Moon" nicht nur kurzerhand in voller Länge, | |
sondern im Kollektiv, also unter Beteiligung so unerwarteter und | |
unverdächtiger Kandidaten wie Peaches und Henry Rollins. Das Ergebnis | |
klingt, wie ein von Geistesgestörten übermalter Rembrandt vermutlich | |
aussehen würde: kaputt, verrückt, traurig und dabei doch auch ziemlich | |
inspirierend. Einen ähnlichen Effekt erzielten zuvor schon das obskure | |
Reggae-Kollektiv Easy Star All-Stars, die ebenfalls "Dark Side Of The Moon" | |
in die Travestie "Dub Side Of The Moon" verwandelten, aber auch | |
reggaefernere Alben wie "OK Computer" von Radiohead oder "Sgt. Pepper" von | |
den Beatles unter das Offbeat-Joch zwangen - mit mal erhellendem, mal | |
einfach nur komischem Effekt. | |
Wobei die Leute, die da am Werk sind, nicht nur ihre alten Platten lieben, | |
sondern auch das Prinzip des Albums an sich. So hat sogar Slash, früher mal | |
Gitarrist von Guns N Roses, die Songs auf seinem ersten Soloalbum von | |
Szenegrößen wie Kid Rock, Fergie, Ozzy Osbourne oder Iggy Pop einsingen | |
lassen, damit sich jemand dafür interessiert. | |
Die Superdupergroup | |
Apropos Iggy Pop. Der Unverwüstliche ist auch an "Dark Night Of The Soul" | |
beteiligt, einem anderen kollektiven Kraftakt, gegen den selbst ähnlich | |
ambitionierte Unternehmungen wie einfallslose Routine wirken. Neben Iggy | |
Pop wirken hier auf einem einzigen Album mit (tief Luft holen!): Julian | |
Casablancas (The Strokes), Gruff Rhys (Superfurry Animals), Wayne Coyne | |
(The Flaming Lips), Jason Lytle (Grandaddy), Black Francis (Pixies), James | |
Mercer (The Shins), Nina Persson (The Cardigans), Suzanne Vega und Vic | |
Chesnutt. Auf den Leib geschrieben wurden ihnen die Songs in verblüffender | |
musikalischer Mimikry allesamt von Mark Linkous (Sparklehorse), produziert | |
und damit in Samt gebettet wurden die Juwelen von Brian Burton alias | |
Dangermouse, und die albtraumhaften Bilder im mehr als hundertseitigen | |
Booklet stammen vom Regisseur David Lynch, der ebenfalls singt. Gesungen | |
wird durchwegs Düsteres, über die Abgründe und Aporien des menschlichen | |
Bewusstseins. In Texten, die wiederum von den interpretierenden Künstlern | |
selbst stammen. Das Ergebnis ist kein Konzept-, sondern ein Metaalbum, bei | |
dem der Produzent im Hintergrund die Rolle des arrangierenden "auteurs" | |
übernimmt. Oder, wie Dangermouse der taz sagte: "In dem Moment, in dem du | |
Kunst machen willst, bist du ein Künstler. Punkt". | |
Hier ist der springende Punkt: Das Album als Format, in Auflösung | |
begriffen, löst sich in seine Bestandteile auf, und diese Bestandteile - | |
Gesang, Instrumentierung, Text, Produktion, Artwork - stehen plötzlich | |
gleichwertig und autonom nebeneinander. Als Künste von eigenem Recht, deren | |
Zusammenklang mehr ist als die Summe ihrer Teile. | |
Demnächst wird mit "Lonely Avenue" ein weiteres exemplarisches Beispiel für | |
diese neue Herangehensweise erscheinen. Auf diesem Album vertont der | |
US-Songwriter Ben Folds narrative Gedichte, die ihm der britische | |
Pop-Schriftsteller Nick Hornby geschrieben hat. Wobei Hornby gegenüber der | |
taz den entscheidenden Unterschied zwischen Gedicht und Songtext bescheiden | |
auf den Punkt bringt: "Musik kann auch ein schlechtes Gedicht retten." | |
Anders als etwa die kurzatmige Single scheint also das Album als Tableau | |
künstlerischer Entfaltung noch nicht vollends erledigt. Vielleicht erlebt | |
es deshalb derzeit eine so gespenstische Renaissance. Denn Dinge, die | |
verschwinden, aber nicht vergessen werden können, kehren, wie um sich zu | |
rächen, als Varianten ihrer selbst wieder zurück. | |
21 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
Arno Frank | |
## TAGS | |
Post-Punk | |
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