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# taz.de -- Kuba entlässt politische Häftlinge: Ein Hauch von Wende
> Die geplante Entlassung aller politischen Gefangenen Kubas ist ein
> Zugeständnis an die EU. Denn Havanna braucht Partner und steht kurz vorm
> Bankrott.
Bild: Bereits frei: Sieben kubanische Dissidenten wurden vor einigen Tagen frei…
"Eine neue Ära hat begonnen!" rief der spanische Außenminister Miguel Ángel
Moratinos am Dienstagabend in den versammelten Senat in Madrid. "Alle
politischen Gefangenen in Kuba werden freigelassen." Ein bisschen fühlte er
sich wohl wie Hans-Dietrich Genscher am 30. September 1989. Der damalige
Außenminister der BRD hatte sich am Abend an die Flüchtlinge aus der DDR
gewandt, die in der bundesdeutschen Botschaft in Prag Zuflucht gesucht
hatten. Bewegt teilte er ihnen die Ausreiseerlaubnis mit. Gut einen Monat
später fiel die Berliner Mauer.
Moratinos war vor zwei Wochen auf Staatsbesuch in Kuba, just zu der Zeit,
als Jaime Ortega, der Erzbischof von Havanna, bekannt gab, er habe mit
Staatschef Raúl Castro vereinbart, dass in den kommenden vier Monaten 52
politische Gefangene freigelassen werden sollen. Die ersten von ihnen und
ihre Familien nahm Moratinos gleich mit nach Spanien. Jetzt soll die gute
Nachricht noch gesteigert werden. Nicht 52, sondern "alle politischen
Gefangenen" sollen freikommen. Eine Zahl nannte Moratinos nicht.
Die beiden Bombenleger
Dass derartige Nachrichten nicht von der Regierung, sondern von
Mittelsmännern verbreitet werden, hat in Kuba Tradition. So ist es schon
fast erstaunlich, dass Parlamentspräsident Ricardo Alarcón die Ankündigung
des spanischen Außenministers vage bestätigt hat. Nach den Gesprächen
zwischen dem Erzbischof und Raúl Castro sei "der Wille der kubanischen
Regierung offensichtlich, alle Personen aus der Haft zu entlassen", sagte
er am Dienstagabend in Genf am Rande eines internationalen
Parlamentariertreffens.
Wer allerdings "verantwortlich ist für Straftaten gegen das Leben von
anderen", müsse im Gefängnis bleiben. Alarcón bezog er sich dabei
ausdrücklich auf die Bombenleger von 1997. Die Salvadorianer Otto Rodríguez
und Raúl Ernesto Cruz León hatten im Auftrag des fanatischen Castro-Gegners
Luis Posada Carriles eine Serie von Sprengstoffattentaten auf Hotels in
Havanna verübt. Bei einem Anschlag war der italienische Geschäftsmann Fabio
di Celmo getötet worden. Beide Bombenleger wurden geschnappt und zum Tod
verurteilt. Die Vollstreckung wurde ausgesetzt.
Sonst aber ist völlig unklar, wer dazugehört und wer nicht. Die Kategorie
"politischer Gefangener" kommt im Wortschatz der kubanischen Regierung
nicht vor. Namentlich bekannt sind die 52 Personen des Abkommens zwischen
Kirche und Staat. Sie gehören zu den 75 Dissidenten, die im "schwarzen
Frühling" von 2003 verhaftet und dann zu Strafen zwischen 6 und 28 Jahren
verurteilt worden waren.
Ewiger Staatssozialismus
Sie alle hatten das sogenannte Varela-Projekt unterstützt. Initiiert worden
war es von Oswaldo Payá von der illegalen Christlichen Befreiungsbewegung.
Er wollte per Volksabstimmung Reformen erzwingen, die etwa das Recht auf
Versammlungs-, Vereinigungs-, Geschäfts- und Pressefreiheit vorsahen. Nach
der kubanischen Verfassung sind Volksabstimmungen möglich, wenn sie von
mindestens 10.000 Bürgern per Unterschrift gefordert werden. Tatsächlich
sammelten Payá und seine Unterstützer 11.200 Unterschriften. Doch das
Parlament rief nicht zum Referendum auf, sondern änderte die Verfassung und
schrieb den Staatssozialismus bis in alle Ewigkeit fest.
Der "schwarze Frühling" war die größte Repressionswelle gegen die
friedfertige Opposition. Sie führte zu dauerhafter Verstimmung zwischen der
EU und Kuba. Jetzt steht Kuba kurz vor dem Staatsbankrott und braucht die
EU als politischen und wirtschaftlichen Partner. So erscheint es nur
logisch, dass die 52 noch einsitzenden Gefangenen jener Verhaftungswelle
freigelassen werden. Aber wer sind die anderen, von denen Moratinos
spricht? Darüber gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen.
Die niedrigste Zahl politischer Gefangener nennt Amnesty International.
Nach ihrer Statistik bleibt nach der Entlassung der 52 gerade noch einer
übrig. Allerdings konnte Amnesty seit zwanzig Jahren nicht mehr in Kuba
recherchieren, und die Organisation hat strenge Kriterien: Wer selbst
Gewalt angewandt oder zur Gewaltanwendung aufgerufen hat, gilt nicht als
politischer Gefangener. Die beiden Salvadorianer Rodríguez und Cruz León
müssten nach dieser Definition in Haft bleiben.
Elizardo Sánchez, der Vorsitzende der nicht offiziellen, aber geduldeten
Kubanischen Kommission für Menschenrechte und nationale Versöhnung, meint,
dass 115 politische Gefangene übrig bleiben. Ob die beiden Bombenleger auf
seiner Liste stehen, lässt er offen.
Ein langer Schacher
Human Rights Watch schließlich geht davon aus, dass es deutlich mehr sind
als 115, nennt aber keine konkrete Zahl, sondern nur das Problem: In den
vergangenen Jahren wurden viele Kubaner wegen des äußerst vagen
Straftatbestands der "Gefährdung" verhaftet. Sie haben noch nichts getan,
sondern es bestand aus Sicht des Staats nur die Gefahr, dass sie etwas tun
könnten. Werden alle diese "Gefährder" nun auch befreit? Es dürfte eine
Weile geschachert werden.
Elf der bislang Freigelassenen sind mit ihren Familien nach Spanien
ausgereist. Die Angehörigen von anderen, die demnächst freikommen sollen,
haben sich bereits mit der US-amerikanischen Interessenvertretung in
Havanna getroffen, um eine Ausreise in die USA zu arrangieren. Doch der Weg
ins Exil ist keine Pflicht, sagt Parlamentspräsident Alarcón: "Es gibt in
Kuba auch Menschen, die schon vor Jahren aus der Haft entlassen wurden und
ganz normal bei sich zu Hause wohnen."
21 Jul 2010
## AUTOREN
Toni Keppeler
Toni Keppeler
## TAGS
Schwerpunkt Fidel Castro
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