# taz.de -- Weltkulturerbe in Gefahr: Historisches Istanbul verwahrlost | |
> Istanbul pflegt seine historischen Bauten nicht gut genug und läuft | |
> Gefahr, von der Weltkulturerbe-Liste der Unesco gestrichen zu werden. | |
Bild: In Gefahr: Die Blaue Moschee, eines der Wahrzeichen Istanbuls. | |
Am Wochenende herrscht auf Istanbuls Promeniermeile, der Istiklal Caddesi | |
in Beyoglu, fast immer ein heilloses Gedränge. An diesem Samstag staute | |
sich der Fußgängerstrom zusätzlich, weil rund 100 Leute ein Hindernis | |
aufgebaut hatten, um die Aufmerksamkeit der Besucher vom Einkaufsbummel auf | |
die Probleme der Stadt zu lenken. Auf dem Straßenpflaster sitzend bildeten | |
sie eine Figur, die bei genauerem Hinsehen aus drei Buchstaben bestand: SOS | |
- ein Weck- und Hilferuf für Istanbul als Weltkulturerbe. Seit 1985 ist die | |
historische Halbinsel Istanbuls, dort, wo die Hagia Sophia, die Blaue | |
Moschee und der Topkapi-Palast an die ruhmreiche Vergangenheit der Stadt | |
erinnern, Teil des Weltkulturerbes. Noch, denn seit gestern tagt die Unesco | |
in Brasilien, die Kultur- und Bildungsorganisation der UNO. Und die | |
diskutiert darüber, Istanbul den Titel Weltkulturerbe abzuerkennen. | |
"Wir wollen den Bewohnern der Stadt die Augen dafür öffnen, dass die | |
Stadtverwaltung und die Regierung in Ankara gerade dabei sind, das | |
historische Erbe Istanbuls zu verschleudern", sagt Cigdem Sahin, eine der | |
Organisatorinnen der Aktion. "Die meisten bekommen ja gar nicht mit, was | |
vor ihren Augen geschieht." Immerhin - die SOS-Istanbul-Aktion wird | |
wahrgenommen, nicht nur von den Spaziergängern, sondern auch von den | |
Medien. Etliche Kamerateams sind vor Ort. Es könnte allerdings durchaus | |
sein, dass der Hilferuf zu spät kommt. | |
Osmanisches Dixieland | |
Seit Jahren diskutieren Unesco-Vertreter bereits mit den Istanbuler | |
Verantwortlichen über den Umgang mit der gebauten Geschichte. So beklagt | |
die Unesco regelmäßig, dass die große Theodosianische Mauer aus dem 5. | |
Jahrhundert unsachgemäß restauriert wird. Zusätzlichen Ärger löste der | |
Abriss eines der ältesten Quartiere Istanbuls aus, des Roma-Viertels | |
Sulukule, direkt im Schatten der Mauer. Ausgerechnet im Vorfeld des | |
Kulturhauptstadtjahres 2010 setzten einflussreiche Kreise innerhalb der | |
regierenden AKP durch, dass Luxusbauten im neoosmanischen Stil an die | |
Stelle der Altbauten treten sollen. | |
"Osmanisches Dixieland" nennen Kritiker dieses Vorhaben. Noch in Planung, | |
aber ebenfalls von der Regierung stark protegiert sind der Teilabriss und | |
die Neubebauung von Fener und Balat, den ehemals griechischen und jüdischen | |
Vierteln in der Altstadt. Dazu kommt, dass die im Bau befindliche U-Bahn | |
über eine neue Brücke über das Goldene Horn geführt werden soll und damit | |
die jahrhundertealte Silhouette empfindlich verändern würde. | |
"Gutachten, die die Unesco in Auftrag gegeben hat, wurden von der | |
Stadtverwaltung einfach ignoriert", sagt Cigdem Sahin, die in der | |
Bürgerinitiative zum Erhalt von Fener und Balat aktiv ist. "Man hat zwar | |
immer ,Ja, ja, machen wir schon gesagt'", meint der Stadtplaner Korhan | |
Gümüs, "doch geändert hat sich nichts." Das hat zwei Gründe. Zum einen wird | |
mit der Gentrifizierung der Altstadt, also der Verdrängung der angestammten | |
eher armen Bevölkerung und dem Zuzug finanzstarker Gruppen, viel Geld | |
verdient. Zum anderen hat Istanbul so gravierende Verkehrsprobleme, dass | |
der Bau einer U-Bahn von den meisten Bewohnern begrüßt wird, auch wenn | |
dafür eine neue Brücke über das Goldene Horn gebaut werden muss. Gerade der | |
U-Bahn Bau in Istanbul erwies sich als schwierig, weil die Bauarbeiter | |
ständig auf archäologische Stätten stießen und das gesamte Projekt Jahre im | |
Verzug ist. Das kostet enorme Summen, und die Stadtverwaltung ist | |
überzeugt, ausreichend Rücksicht auf den Erhalt des archäologischen Erbes | |
genommen zu haben. | |
Wenn in Brasilien nicht noch im letzten Moment konkrete Vorschläge der | |
türkischen Delegation auf den Tisch kommen, wird wohl ausgerechnet der | |
Kulturhauptstadt im Jahr 2010 der Titel des Weltkulturerbes aberkannt. | |
25 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Türkei | |
Reiseland Finnland | |
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