# taz.de -- Kulturhauptstadt 2011: Schrille Klamotten | |
> Unter dem Motto „Kultur tut gut“ feiert Turku, Finnlands älteste Stadt, | |
> das Kulturjahr 2011. Die Stadt an der Ostsee war schon immer das Tor zum | |
> anderen Europa. | |
Bild: Feuerwerk über dem Hafen von Turku zum Auftakt des europäischen Kulturh… | |
Rache ist süß, auch wenn sie erst nach 200 Jahren kommt. Turku war dem | |
russischen Zaren, der 1809 die Herrschaft über Finnland von den Schweden | |
übernahm, zu westlich, zu schwedisch und zu weit weg. Deshalb verlegte er | |
1812 den Regierungssitz seiner neuen Provinz nach Helsinki. | |
199 Jahre später hat Turku das Rückspiel gewonnen. Ein Jahr lang firmiert | |
die ehemalige Hauptstadt der schwedischen Provinz Finnland als Europäische | |
Kulturhauptstadt. | |
„Turku“, sagt einer, der es wissen muss, „war immer Finnlands Tor nach | |
Europa.“ Mikka Akkanen kümmert sich für die Stadt um die auswärtigen | |
Beziehungen. | |
Ruhig und bedächtig erzählt er aus der Geschichte Turkus. An der Mündung | |
des Flusses Aura bauten die Slawen in grauer Vorzeit einen Marktplatz. | |
Als der Hafen gebaut war, kamen die Händler aus ganz Europa. Im 13. | |
Jahrhundert entstanden hier die ersten Schulen des heutigen | |
Pisa-Sieger-Landes. Wenig später baute Turku Finnlands erste Universität. | |
Mika Akkanen hat sich in Fahrt geredet, schwärmt von seiner Heimatstadt als | |
dem Hafen der Ideen, der viele Neuerungen ins damals rückständige Finnland | |
brachte. | |
Musik, Kunst, Design und Lebensfreude. Turku ist neben Helsinki Finnlands | |
kreativstes Pflaster. 15 Prozent der Turkuer sind Studenten. An den | |
Sommerabenden genießen die jungen Leute vor den frisch renovierten | |
Bürgerhäusern am Aura-Fluss in den Straßencafés das Leben. | |
## Nachtleben in Turku | |
Zwischen Marktplatz und Flussufer reihen sich Bars, Kneipen, Diskos und | |
Klubs aneinander. An den Wochenenden sind sie ebenso voll wie viele | |
Nachtschwärmer, die angetrunken über die Bürgersteige wanken. | |
Eine schöpferische Pause für kreative Leute wie Dani Aavinnen. In einem | |
bunten Laden der Stadt verkauft er schräge Tassen, schrille Klamotten, | |
sachlich-kühle Holzmöbel, Tischdeko und andere Werke des „Designs von der | |
anderen Seite“. | |
Acht junge Designerfirmen vermarkten ihre Produkte unter der gemeinsamen | |
Dachmarke Turku Design Now. Dani Aavinnen zeigt eine Handtasche mit einem | |
Tragegriff aus Walnussholz. „Den Griff kannst du abschrauben und die | |
Stofftasche dann in der Maschine waschen.“ | |
In ihrer Werkstatt mit Laden im ehemaligen Arbeiter- und heutigen | |
Künstlerviertel Port Arthur fertigt die 33-Jährige ihre Kinderkollektionen | |
aus Recyclingstoffen. Auf Flohmärkten und in Textilfabriken kauft sie | |
gebrauchte Kleidung und Stoffreste, um Neues daraus zu schaffen. | |
## Design-Kultur | |
Zeitlos wollen die Mitglieder von Turku Design Now ihre Werke gestalten. | |
Die meisten Designer, die ihre Produkte unter der Dachmarke anbieten, | |
fertigen selbst oder lassen anderswo in Finnland produzieren. | |
Brian Keaney hat sein Label tonfisk(Tunfisch)-Design vor zehn Jahren | |
gegründet. Zum Studieren war er Anfang der 90er Jahre nach Finnland | |
gekommen und ging anschließend zurück nach Irland. Er kam wieder, weil er | |
hier „die nötige Design-Kultur“ mit Messen, Museen und Design-Foren fand. | |
Mit zwei Angestellten produziert er am Stadtrand von Turku ausgefallenes | |
Geschirr in Handarbeit. | |
„Hinter jedem Produkt steckt eine ausgefallene Idee“, erklärt der | |
36-jährige Keramiker sein Prinzip. So erfand er eine Teekanne mit | |
eingebautem Zuckerschälchen. Witzig, aber mit 75 Euro teuer – wie die | |
meisten Produkte der Turku Design Now Labels. | |
Teuer sind auch die anderen Marken von Turku Design Now. In einer | |
ehemaligen Seilerei aus dem 19. Jahrhundert bedrucken zwei junge | |
Designerinnen Stoffe im Siebdruckverfahren. Handarbeit nach selbst | |
entworfenen Mustern. | |
## 20.000 Inseln vor der Stadt | |
In ihrem Laden können ihnen die Kunden bei der Arbeit zuschauen. | |
Föry-Design heißen die leuchtend grünen, roten oder rosafarbenen T-Shirts | |
und Stofftaschen mit der Fähre darauf. Die tuckert gleich vor der Haustür | |
regelmäßig zum anderen Ufer des Aura-Flusses und wieder zurück. | |
Der Fluss ist so etwas wie die Lebensader der Stadt, einst der wichtigste | |
Transportweg, heute Vergnügungsmeile mit zahlreichen Restaurant- und | |
Ausflugsbooten. Einige Skipper bieten Touren auf die weit mehr als 20.000 | |
Inseln vor der Stadt an, zum Beispiel nach Herrankukkara. | |
Ein findiger Unternehmer hat auf der kleinen Insel ein komplettes | |
Fischerdorf nachgebaut: 50 Häuser und Hütten aus zum Teil 200 Jahre alten | |
Brettern und Stämmen, die Gründer Penti Oskari entlang der Küste gesammelt | |
hat. Mittendrin, vor dem Badesteg an der Ostsee, zwischen Abkühlbecken und | |
Whirlpools, zeigt der Chef seinen ganzen Stolz: „Die größte Rauchsauna der | |
Welt“. | |
## In der Rauchsauna | |
Auf den Holzbrettern an den dunklen Wänden des fensterlosen Raums finden | |
bis zu 124 Gäste Platz. In der Mitte heizt ein Feuer 10 Tonnen Steine zwölf | |
Stunden lang auf. Dann öffnet Oskari die Türen, lässt den Rauch abziehen | |
und die Gäste rein. | |
Für die meisten Inselbewohner ist Turku mit seinen rund 180.000 Einwohnern | |
eine ferne Megacity. Die Fotokünstlerin Renja Leino braucht für die Reise | |
auf ihre Heimatinsel Korpo mehr als zwei Stunden. Ihre Inspiration bezieht | |
Renja aus der Natur. | |
Am liebsten sitzt sie unter dem „fantastisch klaren Sternenhimmel“. Hier | |
kann sie am besten „darüber nachdenken, was wirklich wichtig ist“, und in | |
aller Stille den Lärm der Welt zu neuen Werken verarbeiten. | |
16 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Robert B. Fishman | |
## TAGS | |
Reiseland Finnland | |
Reiseland Deutschland | |
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