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# taz.de -- Medien im Irak: Ein Land lernt Journalismus
> Zwischen Tomatenpreisen und den vielen Wahrheiten ihres Staats: Irakische
> Journalisten nutzen ihre neue Freiheit, stoßen dabei aber immer wieder an
> Grenzen - auch an ihre eigenen.
Bild: Zensurvorwürfe gegen Schiiten-Führer: Irakische Journalisten demonstrie…
ERBIL taz | Journalisten im Irak sterben häufig. Sie sterben durch die Hand
von Milizen der verschiedenen religiösen Gruppen oder durch
Bombenexplosionen. Laut Reporter ohne Grenzen (RSF) wurden seit dem
Einmarsch der US-geführten Truppen im Irak 230 Medienarbeiter getötet,
darunter 172 Journalisten. Rund zwei Drittel von ihnen waren Iraker. Nach
RSF-Angaben ist der Irakkrieg damit für Journalisten zum tödlichsten
Konflikt seit dem Zweiten Weltkrieg geworden.
In der Zentrale der größten und zugleich ersten unabhängigen irakischen
Nachrichtenagentur Aswat al-Iraq ist es ganz friedlich. Das liegt auch
daran, dass sie nicht in Bagdad liegt, sondern im nordirakischen Erbil,
Hauptstadt der vergleichsweise befriedeten autonomen Region Kurdistan. Die
Mitarbeiter sitzen vor ihren Monitoren - fünfzig Prozent von ihnen sind
Frauen - und machen ihre Arbeit ganz normal. Und die ist bei Aswat al-Iraq,
gegründet im Jahr 2004 unter anderem mit Unterstützung von Reuters und den
Vereinten Nationen, nicht leicht: "Das Hauptproblem besteht darin, dass es
keine verlässlichen Informationen gibt", erklärt Suheir al-Dschasari, einer
der Gründer der Agentur. "Wir bekommen einen Anruf, dass es einen
Bombenanschlag mit vielen Toten vor dem Justizministerium gegeben habe -
aber stimmt das so auch? Die Leute sehen Blut und reagieren völlig über,
das heißt, wir müssen erst mal im nächsten Krankenhaus anrufen."
Für die Agentur arbeiten über 62 Korrespondenten, davon zehn in Bagdad. Sie
sind damit beschäftigt, Informationen aus den vielen Wahrheiten des Iraks
mit seinen vielen verschiedenen Gruppen herauszufiltern. "In jedem
Stadtviertel hören sie eine andere Version - und manchmal können die
Korrespondenten ihre Berichte gar nicht erst übermitteln, weil sie von
Milizen umzingelt sind."
Die vielen Wahrheiten des Iraks, die Mitarbeiter von Aswat al-Iraq ringen
mit ihnen. "Wir schreiben nicht ,Terroristen', sondern ,bewaffnete
Gruppen'. Umgekehrt gibt es bei uns auch keine ,Märtyrer'", erklärt Suheir
al-Dschasari. "Die Menschen im Irak gewöhnen sich allmählich an eine nicht
ideologische Sprache."
Die meisten Journalisten haben ihr Handwerk unter Saddam Hussein gelernt
und wollen nicht länger Propagandainstrument der Regierung sein. Saddam
Hussein hatte seinen Landeskindern einst geraten, einfach ein Porträt
seiner selbst vor den Bildschirm zu stellen, wenn das Fernsehen einmal
nicht funktionieren sollte - sämtliche Fernsehkanäle standen unter
staatlicher Kontrolle. Doch nun, nach den Deformationen des Journalismus
durch die Kolonialzeit und die spätere Ära der Baath-Partei, gehören noch
immer die meisten Medieninstitutionen Parteien oder stehen unter religiösem
Einfluss.
Hinzu kommen aufgrund dieser langjährigen Deformation schlicht
handwerkliche Probleme - was ist eine Nachricht, was ist ein Kommentar, was
ist eine Reportage? So wie die Nachrichtenagentur Aswat al-Iraq mit
internationaler Unterstützung aufgebaut wurde engagiert sich auch
Deutschland in der Aus- und Fortbildung irakischer Journalisten. Im Jahr
2004 wurde die Organisation MiCT gegründet - Media in Cooperation and
Transition, die von Berlin aus mit einem Netzwerk von irakischen
Journalisten Beiträge produziert, die von irakischen Sendern aus dem
Internet heruntergeladen werden können. MiCT wird unter anderem vom
Auswärtigen Amt und der Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt. Als Projekt
hinzugekommen ist die Wirtschaftsplattform Irak (WPI), eine Website, auf
der Wirtschaftsnachrichten aus dem Irak veröffentlicht werden. Einerseits
mit dem Ziel, deutschen Investoren Informationen zu bieten, andererseits
mit der Absicht, den irakischen Wirtschaftsjournalismus zu fördern.
Die Artikel für WPI werden von irakischen Journalisten verfasst, die dafür
nicht nur ein Honorar bekommen, sondern auch geschult werden. Wie zuletzt
in dem Workshop "Lets write about Business" in Erbil, bei dem Journalisten
aus dem ganzen Irak zusammenkamen.
Zum Beispiel der Vorsitzende des Journalistenverbandes Basra, Haider
al-Mansori. Sich mit ihm über den Alltag irakischer Journalisten zu
unterhalten, eröffnet eine Ebene jenseits von Splitterschutzweste und
Kugelhagel: Es geht bei der Berichterstattung im Irak häufig gar nicht um
Politik, sondern beispielsweise um intakte Kühlketten im Handel. Um
Preissteigerungen bei Tomaten um 230 Prozent. Um die Frage, ob das
Trinkwasser wirklich sauber ist. Haider al-Mansori sagt, dass irakische
Journalisten oft ganz einfach Verbraucherschützer sind. Auch im Irak gibt
es einen Alltag, auch wenn einem Kollegen al-Mansoris, Faris Haram, die
Zustände in seinem Land manchmal verrückt vorkommen: "Es ist so wahnsinnig
gefährlich hier, aber andererseits dürfen wir im Gegensatz zu anderen
arabischen Ländern problemlos den Präsidenten kritisieren."
Eine neue Freiheit, die immer wieder an ihre Grenzen stößt, aber
mittlerweile auch verteidigt wird. Als im Mai der junge Journalist
Sardascht Osman vor der Universität Erbil gekidnappt und wenig später
ermordet aufgefunden wurde, regte sich heftiger öffentlicher Protest,
landesweit. In der Stadt Suleimania demonstrierten über 10.000 Menschen für
Pressefreiheit und forderten eine Aufklärung der Ereignisse. Wie sich
herausstellte, war es Sardascht Osman zum Verhängnis geworden, ein
Regierungsmitglied persönlich beleidigt zu haben. Ein handwerklicher
Fehler, der ihm in Deutschland die Klage eines Medienanwalts eingebracht
hätte, im Irak kostete es ihn das Leben.
Irakische Journalisten sind eben nicht "embedded" in militärische
Zusammenhänge und sie sind auch nicht mit bewaffneten Sicherheitskräften
unterwegs wie die Mehrheit jener westlichen Journalisten, die versuchen
herauszufinden, was im Irak eigentlich tatsächlich passiert. Dies
herauszufinden wird nun, nach dem Abzug der Amerikaner und dem daraus
resultierenden Macht- und Sicherheitsvakuum, nicht eben leichter. Erst in
dieser Woche wurde ein prominenter Fernsehmoderator des staatlichen Senders
al-Irakia erschossen. Der Journalist hatte sich in seinen Sendungen
hauptsächlich mit politischen und religiösen Themen auseinandergesetzt und
war stets für eine Annäherung zwischen Sunniten und Schiiten eingetreten.
Das heißt auch, dass er den Zielen von al-Qaida entgegengewirkt hatte -
jener Organisation also, die man im Irak zu zerschlagen gedachte und die
trotzdem weiterhin für diverse Bombenanschläge verantwortlich zeichnet.
Journalisten im Irak sterben häufig, und die Überlebenden sind ständig
überfordert. Sie verdienen schlecht und genießen noch immer kein besonders
hohes Ansehen. Man misstraut dem Schriftlichen, von "Zeitungsgeschwätz"
schwätzt man bei der abendlichen Wasserpfeife im Café. Gleichzeitig, so
Suheir al-Dschasari von Aswat al-Iraq, "sollen Journalisten Soldaten sein,
die gegen die Regierung antreten". Eine Regierung, die aus alter Gewohnheit
Presseanfragen gerne mit "No comment" beantwortet und stattdessen Ärger
macht, wenn die Hand eines Mächtigen auf einem Foto "abgeschnitten" wurde.
Al-Dschasari bringt es auf den Punkt: "Journalist im Irak zu sein, das ist
so, als ob man ständig mit glühenden Kohlen hantiert."
10 Sep 2010
## AUTOREN
Martin Reichert
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