# taz.de -- Christen im Irak: Die Tage sind gezählt | |
> Seit dem Sturz des Saddam-Regimes sind zehntausende Christen aus dem Irak | |
> geflohen. Der Exodus hält an. "Was immer die Muslime sagen, sie | |
> akzeptieren uns nicht", sagt ein Christ. | |
Bild: Irakische Christen beim Weihnachtsgottesdienst: "Jetzt sind wir hier sich… | |
HAWRESK taz |Es ist, als wolle der Messdiener nicht nur Gott ehren, sondern | |
gleich auch all die bösen Geister vertreiben, die über der versammelten | |
Gemeinde schweben. So inbrünstig schwenkt er den Weihrauchkessel. Jedes Mal | |
klappert die Kette des Kessels wie helles Glockengeläut. Eine dicke | |
Rauchwolke steigt auf und würzig-herb breitet sich der Geruch des | |
Weihrauchs auf dem Dorfplatz aus. Aus dem ganzen Nordirak sind Armenier in | |
diesen einsamen Weiler bei Dohuk angereist, um an der Grundsteinlegung für | |
eine Kirche teilzunehmen. Nicht den Ermordeten und Entführten sollen die | |
Gedanken heute gehören, sondern dem Glauben an eine Zukunft. | |
Vor einem offenen Zelt ist eine lange Tischreihe aufgestellt. Weinrote | |
Frotteehandtücher bedecken den provisorischen Altar; neben einem Kreuz, | |
Kerzenleuchtern, der Bibel und einem Spitzendeckchen mit Ölen stehen | |
Wasserflaschen und eine Schachtel mit Papiertüchern. Dahinter türmt sich | |
braunrot die ausgehobene Erde auf. | |
Begleitet vom Geläut des Weihrauchkessels stimmt die Gemeinde ein | |
Kirchenlied an. Melancholisch breitet sich der armenische Gesang über die | |
trockene Hügellandschaft. Nacheinander treten Männer mit Steinen in den | |
Händen vor den Erzbischof, der eigens aus Bagdad gekommen ist. Priester | |
waschen die Steine, dann salbt sie der Erzbischof und hüllt sie in ein | |
symbolisches Leichentuch. In einer Prozession zieht die Gemeinde dann zur | |
künftigen Kirche, wo halbwüchsige Buben die Steine in angerührtem Zement | |
verankern. | |
"Wir bauen die Kirche", sagt Erzbischof Avak Asadourian in seiner Predigt. | |
"Aber ihr seid es, die sie mit Leben erfüllen." Ob sich der Wunsch des | |
armenisch-apostolischen Geistlichen erfüllt, ist ungewiss. Die letzten | |
amerikanischen Kampftruppen, die Ende August abziehen, hinterlassen ein | |
Land, dessen Christen um ihre Existenz fürchten. | |
"Ich bin heute sehr, sehr glücklich", sagt Ankin Setrak. "Ich habe mir | |
schon lange eine Kirche gewünscht." Mit einer lässigen Handbewegung schiebt | |
sich die Mittdreißigerin ihre Sonnenbrille in ihre dunkelblonde Mähne. | |
Setrak stammt aus aus Mossul, mit ihrem Mann wohnte sie in Bagdad. Bis vor | |
eineinhalb Jahren, als Unbekannte auf den Wagen ihres Mannes schossen. "Wir | |
überlegten nicht lange, packten unsere Sachen und flohen hierher", sagt | |
Setrak. Der Vater war schon zwei Jahre davor aus Mossul geflohen, nachdem | |
Extremisten sein Werbebüro bombardiert und 25.000 Dollar Schutzgeld | |
erpresst hatten. Geschichten wie die Setraks hört man viele in Hawresk. | |
Jetzt wohnt Setrak mit ihrem Mann in einer Reihensiedlung. 115 Häuser mit | |
Flachdach - zwei Zimmer, Küche, Bad. Ein Haus sieht wie das andere aus, | |
betonierte Gleichförmigkeit gegen die Not. Es gibt ein Gemeindehaus für | |
Totenfeiern und Hochzeiten. Doch Hochzeiten gibt es selten. Die Gemeinden | |
der Armenier wie die aller Christen im Irak schrumpfen. Die Sicherheitslage | |
hat sich in den letzten Jahren verbessert, aber das heißt nur, dass nicht | |
mehr so viele Menschen getötet werden wie vor drei Jahren, aber immer noch | |
so viele, dass es nur ein Schritt bis zum nächsten Abgrund ist. | |
Vor fast hundert Jahren suchten Armenier schon einmal Zuflucht in Hawresk. | |
Das Osmanische Reich war zerfallen, und im Nahen Osten begann das | |
Jahrhundert des Nationalismus und Islamismus, der Autokraten, Diktatoren | |
und der Kriege. Mit dem sunnitischen Großreich zerbrach ein System, in dem | |
die Christen und Juden zwar keine gleichberechtigten Bürger waren, in dem | |
sie in religiösen und kulturellen Angelegenheiten aber weitgehend freie | |
Hand hatten. Den Auftakt bildeten die Massaker an den Armeniern in den | |
Jahren 1894 bis 1896, verübt von den Hamidije-Regimentern, einer vom Sultan | |
aufgestellten kurdischen Stammesmiliz. Zehn Jahre später begingen die | |
nationalistischen Jungtürken den ersten Massenmord des Jahrhunderts. | |
Überlebende der Todesmärsche retteten sich nach Syrien und in den Irak. In | |
Hawresk eröffneten sie später eine Schule. "23. 5. 1923", hat jemand mit | |
roter Farbe an die Mauer des halbverfallenen Gebäudes gepinselt. Gerettet | |
hatten sich damals auch die Großeltern von Akin Setrak und von Eschkhan | |
Sarkisian, heute Gemeindevorsteher der Armenier in Sacho, der Grenzstadt | |
zur Türkei. | |
Als Setrak in ihrem Wohnzimmer sitzt, ist die Freude plötzlich wie | |
weggeblasen. "Früher lebten hier auch Juden", sagt Setrak. "Juden gibt es | |
heute keine mehr, genauso wird es auch uns Christen ergehen." Sarkisian, | |
ein stämmiger Mann mit lustigen Augen, stemmt sich seit Jahren gegen den | |
Mitgliederschwund in seiner Gemeinde. Vergeblich. "Vor allem die Jungen | |
gehen, und ohne die Jugend gibt es auch keine Zukunft", sagt Sarkasian. Sie | |
fliehen nach Amerika, Australien und Europa. Früher habe es in Sacho | |
dreihundert armenische Familien gegeben. "Heute sind es noch sechzig." | |
Wie den Armeniern geht es allen christlichen Konfessionen im Irak. | |
Besonders hart trifft es katholische Chaldäer und Assyrer, die sich als | |
Nachfahren der irakischen Ureinwohner verstehen. Wie viele Christen es | |
heute noch gibt, weiß niemand genau. Vor dem Krieg 2003 sollen es noch mehr | |
als eine Million gewesen sein. Auf knapp 294.000 beziffert das päpstliche | |
Jahrbuch von 2009 die Zahl der Katholiken, die mit mehr als achtzig Prozent | |
die Mehrheit unter den mindestens acht verschiedenen Kirchen bilden. Das | |
wären weniger als 1 Prozent der Gesamtbevölkerung. | |
Die Gründe für den Exodus sind vielfältig. Aber wie zu Zeiten des | |
Osmanischen Reichs steht heute das multireligiöse und -kulturelle Erbe | |
eines Landes auf dem Spiel. Saddam Hussein hatte den Christen eine Zeitlang | |
Sicherheit gewährt. Vor der Zerstörung von Kirchen und Dörfern machte | |
freilich auch der Diktator nicht halt - Hawresk war eines davon. Mit dem | |
Versprechen des Säkularismus seiner Baath-Partei, das die Christen anzog, | |
war es am Ende nicht weit her. | |
Heute streiten sich Schiiten und Sunniten, Araber und Kurden um die | |
Erbmasse von Saddams Diktatur - mit ungewissem Ausgang. "Zwei Iraker, drei | |
Meinungen", sagt ein irakisches Sprichwort. Furcht und gegenseitiges | |
Misstrauen, ohnehin tief verankert, bestimmen heute die Politik. Die | |
Kirchen könnten deshalb nur bestehen, wenn sie möglichst weit Abstand zur | |
Politik hielten, sagt Baschar Matte Warda. Warda, chaldäischer Erzbischof | |
in Ainkawa bei Erbil, ist ein bedächtiger Mann. Lange überlegt er, bevor er | |
die Frage beantwortet, ob es für die Christen eine Zukunft gebe. "Wir waren | |
lange vor den Amerikanern und sogar lange vor den Muslimen hier", sagt | |
Warda schließlich. "Aber ich mache mir Sorgen, Ja." Wenn der Exodus | |
anhalte, werde es zwar auch noch in fünfzig Jahren Christengemeinden geben, | |
aber sie würden dann im Geburtsland von Abraham keine Bedeutung mehr haben. | |
Um zu verhindern, müssten die Kirchen auch die Spaltung untereinander | |
überwinden, sagt Warda. "Nur so können wir uns Gehör verschaffen." Der | |
Zwist der Kirchen untereinander geht so weit, dass selbst gemischte Ehen | |
kaum möglich sind. Da die Kinder immer der Konfession des Vaters angehören, | |
wacht jede Gemeinschaft eifersüchtig darüber, keine Mitglieder zu | |
verlieren. Zumal die Christen schon demografisch mit den Muslimen nicht | |
mithalten können. | |
Gegenüber den Muslimen setzt Warda vor allem auf Bildung. "Die Muslime | |
schätzen unsere Schulen", sagt Warda, der selbst jahrelang eine Schule in | |
Bagdad geleitet hat. "Wenn jemand zwölf Jahre eine Schule besucht hat, | |
hinterlässt das Spuren. Damit legt man eine Basis, auf der man aufbauen | |
kann." Darüber hinaus würden die Kirchen so auch Arbeitsplätze schaffen. | |
Auch die soziale Not, besonders unter den Vertriebenen, ist ein Grund, | |
warum Christen den Irak verlassen. "Wir können sie nicht zum Bleiben | |
auffordern, wenn wir ihnen keine Perspektive bieten", sagt Warda. | |
In Hawresk ist es wieder still geworden. Gelb und ockerfarben breiten sich | |
die Felder in der Ebene Richtung Süden aus. Irgendwo dort liegt Mossul. | |
Nach Norden hin erheben sich in der flirrenden Mittagshitze graubraun die | |
Berge Kurdistans. Ankin Setrak steht in der Küche und brüht einen | |
arabischen Mokka auf. Sie fühlt sich hier im kurdisch regierten Nordirak | |
sicher, sie hat sogar wieder Arbeit gefunden. Trotzdem will sie weg. Auch | |
ihre beste Freundin will den Irak verlassen. "Je schneller, umso besser", | |
sagt sie. | |
Dabei ist es nicht nur der anhaltende Terror von islamischen Extremisten, | |
den die Christen fürchten. Auch den Kurden trauen viele nicht. Mehrere | |
tausend Christen sind in den letzten Jahren nach Kurdistan geflohen. Sie | |
können hier ihren Glauben frei leben und erhalten auch sonst Unterstützung | |
von der kurdischen Regierung in Erbil. | |
IRAK taz | Gleichzeitig liegen die Kurden jedoch mit den Arabern im | |
Dauerkonflikt um die Ninive-Ebene südlich von Hawresk. Für die Christen ist | |
das Land ihrer Vorväter, die hier einst das Assyrer-Reich errichten hatten. | |
Die meisten wollen in dem Gebiet, in dem heute auch andere Minderheiten | |
leben, eine Autonomie. Wie diese aussehen und ob die zuständige Regierung | |
Bagdad oder Erbil sein soll, ist jedoch umstritten. Christen beschuldigen | |
die Kurden, den Konflikt zu schüren und auch hinter einem Teil der Gewalt | |
in Mossul zu stecken. Die Kurden bestreiten dies. | |
Gedankenverloren streicht Akin Setrak ein beiges Plastikdeckchen auf dem | |
Wohnzimmertisch glatt. Es riecht nach Kaffee. "Jetzt sind wir hier sicher", | |
sagt sie, "aber wer weiß, wie es in ein paar Jahren aussieht." Selbst | |
Eschchan Sarkisian, der als Einziger den Irak nicht verlassen will, glaubt, | |
dass die Tage der Christen im Irak gezählt sind. "Was immer die Muslime | |
sagen, im Kern akzeptieren sie uns nicht", sagt Sarkisian. "Am Ende wollen | |
sie, dass wir Christen ebenfalls Muslime werden." | |
1 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
Inga Rogg | |
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