# taz.de -- Wiederaufbau nach dem Irakkrieg: „Basra wird sein wie Dubai, nein… | |
> Noch sieht es in Basra aus, als sei der Irakkrieg gerade erst zu Ende | |
> gegangen. Doch die Stadt ist reich an Öl. Und die Brüder Hamsa haben | |
> große Pläne. Ein Besuch. | |
Bild: Kontraste in Basra: Vorne Tomatenernte, hinten Ölfeld. | |
BASRA taz | Wenn es Nacht wird und sich die Dunkelheit auf die ärmlichen | |
Behausungen senkt, kann man ahnen, wie es gewesen sein muss, als die Brüder | |
Farsdak und Firnas Juma Hamsa jung waren und Basra eine der schönsten | |
Städte in der Region war. Die Algerienstraße, die wichtigste Einkaufsmeile, | |
ist von den Lichtern der Geschäfte hell erleuchtet. | |
Hinter der Glasfront eines Lokals, das sich Coffee Time nennt, schlürfen | |
junge Männer Tee oder Fruchtsaft und spielen mit ihren Mobiltelefonen. | |
Unten auf der Straße flanieren Familien an Boutiquen vorbei, die neueste | |
Mode aus der Türkei anbieten. In einer kaum beleuchteten Seitengasse | |
huschen zwei Prostituierte in ein Hotel, und an der Corniche liefern sich | |
in einem Vergnügungspark junge Frauen mit männlichen Altersgenossen ein | |
Duell im Autoscooter. | |
Den Vergleich mit damals, als Basra eine quicklebendige und teils etwas | |
verruchte Hafenmetropole war, quittiert das Bruderpaar Hamsa allerdings mit | |
einem mitleidigen Blick – so können nur Ahnungslose reden. Tatsächlich | |
bietet Basra bei Tag einen eher kläglichen Anblick. Hier und da haben sich | |
jene, die zu Geld gekommen sind, Villen gebaut, und manches Geschäft ziert | |
eine Alufassade, wie sie derzeit schick ist im Irak. Doch nahe der | |
Einkaufsmeile reihen sich zweigeschossige Häuser aneinander, von denen der | |
Beton bröckelt, etwas weiter weg drängen an ungeteerten Straßen windschiefe | |
Häuser aus Lehm. | |
Dass Basra neun Jahre nach dem Sturz von Saddam Hussein immer noch so | |
aussieht, als sei der Krieg erst gestern zu Ende gegangen, ist den Brüdern | |
Hamsa ein Dorn im Auge. Die Stadt ist reich, sehr reich sogar. Etwa die | |
Hälfte der irakischen Erdölvorkommen und drei der größten Ölfelder befinden | |
sich in der Provinz. Inzwischen bringen die Verträge, die der Irak mit | |
internationalen Ölkonzernen unterzeichnet hat, erste Früchte. | |
Die Förderquote hat sich bei gut 2,5 Millionen Barrel pro Tag stabilisiert. | |
Bis Ende des Jahres sollen es 3 Millionen Barrel sein. Durch zwei | |
Offshore-Terminals, die im Frühjahr in Betrieb gingen, erzielte das Land im | |
April die höchsten Erdölexporte seit dreißig Jahren. Mehr als vier Fünftel | |
dieser Exporte werden über Basra abgewickelt. Die Region ist damit der | |
Motor der irakischen Wirtschaft, die komplett vom Erdöl abhängig ist. | |
Darüber hinaus ist der Hafen von Basra auch einer der wichtigsten | |
Umschlagplätze für Warenimporte. Doch die meisten irakischen Schiffe wurden | |
in den Kriegen der letzten dreißig Jahre zerstört. „Früher hatten wir eine | |
der größten Flotten in der Region“, sagt Farsdak Juma Hamsa. „Heute müss… | |
wir fast bei null anfangen.“ | |
## In Bagdad mahlen die Mühlen langsam | |
Mehr als zwanzig Jahre war der 54-jährige Kapitän auf internationalen | |
Werften tätig. Jetzt ist er in seine Geburtsstadt zurückgekehrt, um beim | |
Wiederaufbau anzupacken. Auf seinem Computer zeigt er, welche Schiffe das | |
Land braucht: Öltanker, Frachtschiffe, Lotsenboote, Schlepper. Einen | |
Schlepper hat er bereits bauen lassen. Derzeit verhandelt er über weitere | |
Aufträge. | |
Doch die Entscheidung liegt beim Transportministerium in Bagdad und dort | |
mahlen die Mühlen langsam. „Zeit ist Geld“, sagt er. „Aber hier scheint | |
keiner einen Plan zu haben.“ Das gelte zum Beispiel auch für den neuen | |
Hafen Fao. Dieser soll nicht nur die Importe beschleunigen, sondern auch | |
zum regionalen Umschlagplatz werden. | |
Dieses Ziel strebt allerdings auch Kuwait mit seinem neuen Hafen an, der | |
seit einem Jahr in Bau ist. Hamsa sieht das von der positiven Seite. „In | |
Kuwait braucht es für eine Entscheidung zwei Schritte, im Irak zehn“, sagt | |
er. „Das hat die hier aufgeweckt, andernfalls hätten sie vermutlich auch | |
den nächsten Tag verschlafen.“ Die Planung des Hafens sei längst fertig, | |
nun müssten die Politiker nur noch einen Gang zulegen. | |
Auch Chalaf Abdul Samad, Gouverneur von Basra, weiß, dass die Zeit drängt. | |
Vor gut einem Jahr hatte sein Vorgänger wegen Protesten gegen den | |
schleppenden Wiederaufbau den Posten geräumt. Samad gehört der Dawa-Partei | |
von Regierungschef Nuri al-Maliki an. In einem überraschenden Alleingang | |
hatte Maliki vor vier Jahren zum Kampf gegen die schiitischen Milizen | |
geblasen, die Basra damals beherrschten. Mithilfe amerikanischer Truppen | |
und iranischer Vermittlung setzte Maliki sich durch. Die Wähler belohnten | |
seine Partei mit einem überwältigenden Wahlsieg. | |
Der neue Gouverneur mache einen besseren Job als sein Vorgänger, aber | |
wirklich gut sei auch er nicht, hört man in Basra. So haben sich die | |
Wasser- und Stromversorgung verbessert, aber trinken kann man das Wasser | |
nicht. Mit der Müllentsorgung hapert es, obwohl heute nicht mehr ganz so | |
viel Abfall in den Straßen verrottet wie früher. Will der Gouverneur bei | |
den anstehenden Wahlen in gut sechs Monaten wiedergewählt werden, muss er | |
mehr vorweisen. | |
## Ein Dollar pro Barrel Erdöl | |
Das versucht er derzeit mit dem Bau von zwölf Brücken. Jeden Morgen um | |
sieben geht es los. Dumpf krachen die Schläge der Bohrmaschinen in den | |
Grund. Wer nicht bereits von den Rufen der Muezzins geweckt wurde, ist | |
spätestens jetzt wach. Bis Ende des Jahres sollen die Brücken fertig sein, | |
rechtzeitig zur Wahl des Provinzrats. Der Auftrag ging an eine der 60 | |
türkischen Firmen, die hier tätig sind. Neben dem Iran ist die Türkei der | |
größte Wirtschaftspartner Basras. Aber auch für Europäer gebe es noch viele | |
Aufträge. | |
Um den enormen Nachholbedarf zu decken, bekommt Basra für jedes geförderte | |
Barrel Erdöl einen Dollar zusätzlich zum regulären Budget. Doch das reiche | |
bei Weitem nicht aus, sagen Experten wie Abdul Saheb al-Juwaiber von der | |
Business Union, dem örtlichen Wirtschaftsverband. Die Privatwirtschaft | |
müsse gestärkt werden, nur sie könne die Arbeitsplätze schaffen, die nötig | |
sind, um den Zehntausenden von jungen Leuten, die in der Region jährlich | |
auf den Arbeitsmarkt streben, eine Perspektive zu bieten. | |
Ausländisches Kapital und Know-how werde auch gebraucht, um die | |
Qualifikation der Jobsuchenden zu verbessern, sagt Juwaiber. In vielen | |
Bereichen fehlt es an qualifizierten Fachkräften. Wenn Absolventen der | |
Akademie der Handelsmarine zu ihm kommen, müsse er sie erst einmal in einen | |
Kurs schicken, weil sie keine Ahnung von moderner Navigation hätten, | |
berichtet Kapitän Hamsa. Auch das ist ein Angebot, das er weiter ausbauen | |
will. „Wir haben eine Vision und eine Mission“, erklärt Juwaiber. „Statt | |
ihre Zeit mit Reden und Teetrinken zu vertun, sollten die Politiker an die | |
Wirtschaft denken. Denn nur sie macht die Menschen satt.“ | |
Bei der lokalen Investmentkommission verspricht man Abhilfe. Oft scheitern | |
ausländische Firmenvertreter schon daran, ein Visum zu bekommen. | |
Firmenbossen, die bereit sind, Millionen zu investieren, kann es passieren, | |
dass sie am Flughafen zurückgeschickt werden. Ministerpräsident Maliki habe | |
zugesagt, dass Basra künftig selbst Visa vergeben könne, sagt | |
Kommissionsleiter Chalaf Badran. Die Kurden im Norden machen das schon | |
lange. Ihr Vorbild hat auch in Basra die Geister der Teilstaatlichkeit | |
geweckt. | |
Maliki, der sich auch anderswo Autonomiebestrebungen ausgesetzt sieht, hat | |
in diesem Fall sofort reagiert und neben der Vereinfachung für Visa auch | |
weitere Aufbauhilfe in Aussicht gestellt. Bisher habe seine Kommission 43 | |
Investmentlizenzen vergeben, sagt Badran. Es gebe inzwischen ein klares und | |
vereinfachtes Verfahren, sodass bald weitere folgen würden. | |
## „Das Venedig des Nahen Ostens“ | |
Ein Blick in die Behördenbüros lässt daran allerdings Zweifel aufkommen. | |
Die meisten Schreibtische sind leer, und nur einer der Angestellten benutzt | |
einen Computer. Doch Badran gibt sich zuversichtlich. In zehn Jahren werde | |
Basra wie Dubai aussehen. Dann überlegt er kurz und sagt: „Nein, nicht wie | |
Dubai, wie Japan!“ | |
Die Hamsa-Brüder haben einen anderen Traum. Sie wollen das alte Basra | |
auferstehen lassen. „Ich möchte sehen, dass die kleinen Wasserläufe nicht | |
mehr stinken, nicht mehr voller Müll sind“, sagt Firnas Juma Hamsa. | |
„Venedig des Nahen Ostens“ nannte man Basra früher wegen der vielen Kanäl… | |
die die Stadt durchzogen. In der Altstadt ist davon nur noch eine braune, | |
stinkende Kloake übrig. Die Häuser aus osmanischer Zeit sind dem Verfall | |
preisgegeben. Zwischen der historischen Lehmarchitektur machen sich Häuser | |
aus Beton breit. | |
Seine Vision von Basra hat der mit 51 Jahren Jüngere des Bruderpaars auf | |
seinem Computer gespeichert. Die Bilder aus den 50er und 60er Jahren zeigen | |
eine Stadt mit Parks und Grünflächen, auf deren Straßen nicht einmal ein | |
Papierschnipsel zu sehen ist. Auf den Kanälen tummeln sich Fischer- und | |
Ausflugsboote. „Wir müssen dafür sorgen, dass wir in den Kanälen wieder | |
Fische fangen können“, sagt Hamsa. Ein Umdenken müsse einsetzen. „Die | |
Kinder müssen lernen, dass man Müll nicht auf die Straße wirft und Abwässer | |
nicht ungefiltert in den Shatt al-Arab geleitet werden dürfen.“ | |
Solarstrom, grüne Energie und Nachhaltigkeit seien das Gebot der Stunde. | |
Dem Geschäftsmann ist es ernst. Er würde sogar ehrenamtlich Kurse in den | |
Schulen geben. „Für unsere Kinder muss es wieder normal werden, dass Wasser | |
nicht stinkt“, sagt Hamsa. Als Kind habe er in den Kanälen noch | |
geplantscht. „Ich will wieder in den Flüssen schwimmen.“ | |
17 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Inga Rogg | |
## TAGS | |
Kuwait | |
Schwerpunkt Syrien | |
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