# taz.de -- NRW-Behörden regierten zu langsam: Mit PCB und Dioxin vergiftet | |
> Aus Profitgier hat der Dortmunder Entsorger Envio Mitarbeiter | |
> kontaminiert. Aber auch die Behörden zeigten sich dem Fall nicht | |
> gewachsen. | |
Bild: Frühkapitalistische Zustände: Firmensitz von Envio in Dortmund. | |
BOCHUM taz | Die Verseuchung von Mitarbeitern und Umwelt der Dortmunder | |
Entsorgungsfirma Envio entwickelt sich zum größten Umweltskandal der | |
letzten Jahre: Nach potenziell krebserregenden Polychlorierten Biphenylen | |
(PCB) wurden im Blut von Envio-Mitarbeitern erstmals auch Dioxine | |
nachgewiesen. "12 von 13 untersuchten Arbeitern zeigen erhöhte | |
Belastungen", zitiert die Westdeutsche Allgemeine Zeitung Mediziner Thomas | |
Kraus vom Uni-Klinikum Aachen. | |
Kraus' Mitarbeiter haben bisher rund 200 Menschen auf PCB untersucht. In | |
deren Blut fanden sich Konzentrationen, die bis zu 25.000-mal höher waren | |
als die sogenannten Referenzwerte des weltweit verbreiteten Umweltgifts, | |
also die obere Grenze der Normalwerte. Zwar warnt Kraus vor einer | |
"Panikmache" zu Lasten der Betroffenen - sicher ist aber, dass Envio aus | |
Profitgier Mitarbeiter und Anwohner einer sehr hohen Gesundheitsgefährdung | |
ausgesetzt hat. | |
In der Dortmunder Niederlassung der Firma herrschten bis Mai | |
frühkapitalistische Arbeitsbedingungen: Ohne jede Schutzkleidung, ohne | |
Atemschutzmasken zerlegten Arbeiter dort Transformatoren, die hochgradig | |
mit PCB belastet waren. Die mittlerweile weltweit verbotenen | |
krebsauslösenden Chlorverbindungen wurden bis in die 1980er Jahre besonders | |
in Kondensatoren und Transformatoren, aber auch als Hydraulikflüssigkeit | |
verwendet. Weil sie so giftig sind, verzichten etwa die USA bis heute auf | |
jedes Recycling. | |
In Dortmund schraubten Arbeiter die Trafos dagegen einfach auf, atmeten | |
PCB-haltige Stäube ein und kontaminierten über die mit nach Hause genommene | |
Arbeitskleidung auch ihre Kinder. Auch auf dem Hallenboden verteilte sich | |
Gift. Zur Entlüftung seien die Hallentore geöffnet worden, erzählen | |
ehemalige Envio-Beschäftigte. Selbst das Außengelände der Firma ist deshalb | |
mit PCB verseucht. | |
Die Dioxinbelastung der Mitarbeiter überrascht Experten nicht: "Wenn PCB | |
erhitzt wird, entstehen Dioxine", heißt es aus dem Umfeld der | |
NRW-Umweltverwaltung. "Und Transformatoren überhitzen hin und wieder." | |
Völlig unklar ist, warum Envio nicht schon vor Jahren die | |
Betriebsgenehmigung entzogen wurde. Schließlich wurden schon 2006 erhöhte | |
PCB-Werte festgestellt. Im September 2008 ging bei der für die Kontrolle | |
zuständigen Bezirksregierung Arnsberg sogar eine anonyme Anzeige gegen das | |
Unternehmen ein, in der von einem "erhöhten Risiko von Gesundheitsschäden" | |
die Rede war. Doch die Behörde reagierte offenbar nur mit Kontrollen, die | |
sie schon im Vorfeld ankündigte. | |
Dabei hätten die Beamten gewarnt sein müssen: Schließlich war Envio sogar | |
im Besitz einer Erlaubnis, auch besonders gefährliche Transformatoren | |
wiederaufzuarbeiten. Selbst bereits in der unterirdischen Sondermülldeponie | |
im hessischen Herfa-Neurode eingemauerte Geräte wurden ausgegraben und per | |
Schwertransport nach Dortmund gebracht. Denn dort versprach das | |
Ausschlachten viel Geld: Edelmetall und Edelstahl verkaufte Envio weiter - | |
teilweise noch PCB-verseucht. | |
Gegen Vorstandschef Dirk Neupert ermittelt die Staatsanwaltschaft, bislang | |
ohne Ergebnis. Die Kontrollbehörden weisen jede Verantwortung von sich, | |
schieben das Versagen auf Personalmangel. Die im Mai abgewählte | |
schwarz-gelbe Landesregierung habe die Umweltverwaltung nach dem Motto | |
"Privat vor Staat" massiv ausgedünnt. Deshalb konnte Envio jahrelang "Geld | |
auf Kosten unserer Gesundheit" machen, klagt ein ehemaliger Mitarbeiter. | |
Dass jetzt niemand verantwortlich sein wolle, sei "ein Witz, ein Hohn". | |
27 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
Andreas Wyputta | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Bayer AG | |
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