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# taz.de -- Wahl zum obersten Schachhüter: Die große Schlammschlacht
> Ex-Schachweltmeister Anatoli Karpow will Präsident des Weltverbandes
> werden. Dazu müsste der zwielichtige Amtsinhaber aber wohl von einem Ufo
> entführt werden.
Bild: Seit kurzem auf Kuschelkurs: die ehemaligen Schachweltmeister und neuen F…
Mit Mathematik kennt sich Kirsan Iljumschinow aus. Kuba, so hat er
ermittelt, ist die 94. Stimme, die er morgen erhalten wird. Nur 23 dagegen
sollten nach seinem Vorabüberschlag auf die Konkurrenz entfallen. Die ist
zwar prominent, denn sie heißt Anatoli Karpow, ist aber wohl trotzdem
chancenlos bei der Abstimmung während der Schacholympiade im sibirischen
Chanty-Mansijsk. Hat Iljumschinow richtig gerechnet, dann müsste er bei 172
stimmberechtigten Fide-Mitgliedsverbänden das bleiben, was er seit nun 15
Jahren ist: Präsident des Schachweltverbandes Fide.
Da stört es auch nicht, dass die meisten Westeuropäer und die USA gegen den
48-Jährigen stimmen werden. Andererseits: Wie glaubhaft kann ein
Rechenexempel sein, das von jemandem stammt, der nach Eigenaussage am 18.
September 1997 von Außerirdischen entführt wurde? Google bietet bei Eingabe
von "Iljumschinow", obwohl der seit 1993 auch Präsident der autonomen
russischen Republik Kalmückien ist, nur zwei Zusatzbegriffe an: "Ufo" oder
"Aliens".
Mit einem neuen irrwitzigen Vorschlag schaffte es das Staatsoberhaupt vor
wenigen Tagen wieder in die Schlagzeilen. Er offerierte New Yorks
Bürgermeister Michael Bloomberg im Namen der Fide 10 Millionen US-Dollar
für das Gelände in der Nähe des Ground Zero, auf dem eine umstrittene
Moschee erbaut werden soll. Ein Schachtempel in Form eines Schachkönigs sei
doch viel geeigneter, die Menschen nach 9/11 zu versöhnen, so der Buddhist
Iljumschinow.
Der kennt sich schließlich nicht nur mit Religion, sondern auch mit
Bauprojekten gut aus: Im heimischen Elista ließ er Europas größten
buddhistischen Tempel hochziehen, und er stampfte am Kaspischen Meer eine
heute verwaiste "Schach-Stadt" aus dem Steppenboden. Weil ihm die
Verschwendung mittlerweile wohl auch im Kreml zum Nachteil ausgelegt wird,
wird er nicht wieder kandidieren, wenn seine aktuelle Amtszeit im Oktober
ausläuft. Er habe sich ohnehin mit voller Kraft dem Schach widmen wollen,
lässt er nun verlauten.
All diese Steilvorlagen sammelt Gegenkandidat Karpow genüsslich auf seiner
eigenen Homepage. Ein aktueller Bericht der russischen Agentur Interfax
geißelt etwa die Misswirtschaft von "Kirsan Khan" und zitiert den
Chefredakteur einer lokalen Tageszeitung. Dieser klagt, Iljumschinow habe
"Kalmückien mit seinen sinnlosen Projekten praktisch zerstört". Denn woher
die hohen Summen stammten, die der Selfmademillionär in die Schachwelt
pumpte, bleibt Iljumschinows Geheimnis. Sponsoren wollten sich schließlich
kaum mit dem Präsidenten einlassen, der sich außer mit Außerirdischen auch
gern mit Prominenten wie Saddam Hussein oder Muammar al-Gaddafi traf.
Von den Millionen profitierte dereinst auch Karpow, der noch bei den
Weltmeisterschaften 1995 und 1998, obwohl sportlich schon auf dem
absteigenden Ast, absahnen durfte. Als Iljumschinow jedoch das System
umstellte zugunsten einer Mammut-WM mit 128 Teilnehmern, endete die
russische Männerfreundschaft abrupt. Dafür ist der mittlerweile 60-jährige
Karpow plötzlich mit Garri Kasparow auf Schmusekurs.
Als sein Nachfolger auf dem WM-Thron wegen seines oppositionellen
Engagements in Moskau inhaftiert war, brachte ihm der ehemalige Erzfeind
Schachzeitschriften zum Lesen ins Gefängnis. Die Liaison beschert Karpow
allerdings einigen Ärger. Medwedjew-Berater Arkadi Dworkowitsch entmachtete
jene Funktionäre im russischen Schachverband, die Karpow als den Kandidaten
des Landes in die Fide-Wahl zu schicken gedachten. Iljumschinow sei der
"bessere Geschäftsmann", urteilte Dworkowitsch und kürte diesen zum
russischen Kandidaten.
Karpow tritt nur dank eines Tricks trotzdem an: Weil er beim Zweitligisten
Hockenheim auf der Rangliste steht, durfte ihn der Deutsche Schachbund
(DSB) nominieren. Dafür nahm er neben den früheren Sponsoren und
Kasparow-Freunden William Wirth (Credit Suisse) und Bessel Kok (Swift) den
DSB-Präsidenten Robert von Weizsäcker in sein Team auf. Der Sohn des
ehemaligen Bundespräsidenten will sich bereits heute zum Chef der
Europäischen Schachunion (ECU) wählen lassen. Allerdings dürften die
Chancen des Münchner Professors für Volkswirtschaft noch schlechter stehen
als die von Karpow.
Iljumschinow ätzt zuversichtlich: "Kasparow braucht die Fide als
politisches Forum. Karpow ist nur seine Marionette. Der war vor 30 Jahren
Weltmeister und sitzt heute als Rentner zu Hause." Am Mittwoch können
vermutlich nur Außerirdische die Fide vor Iljumschinow retten.
27 Sep 2010
## AUTOREN
Hartmut Metz
## TAGS
Russland
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