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# taz.de -- Schach im Iran: Befreiter Sport
> Nach jahrelangem Verbot unter Ajatollah Chomeini boomt der
> traditionsreiche Denksport in Iran. Zu den Chess Classic in Mainz kam
> eine siebenköpfige Delegation.
Bild: Das Urschach "Chaturanga" entstand in Nordindien als Spiel für vier Pers…
Die Suche nach "Schach" in Verbindung mit "Iran" verheißt bei Google nichts
Gutes. In der Mehrzahl der Suchergebnisse im Web gedenken die USA, die
potenziellen Atombombenbauer in Schach zu halten. Andere Weltmachtgelüste
treiben aber Ehsan Ghaem Maghami um, der sich sicher ist, dass Googles
Treffer zu "Schach" und "Iran" bald vorrangig den Denksport listen werden.
"Wir haben eine strahlende Zukunft vor uns", sieht der Großmeister das
königliche Spiel an seiner Wurzel wieder erblühen.
Das Urschach "Chaturanga" entstand in Nordindien als Spiel für vier
Personen. In Persien bekam es ab dem 8. Jahrhundert außer seinen
wesentlichen Grundzügen auch den Namen des Herrschers, weil der König im
Mittelpunkt stand: Schah. Die arabischen Eroberer trugen das Kriegsspiel
mit dem Islam bis hinein nach Europa, wo es ab dem 13. Jahrhundert zu den
sieben Tugenden der Ritter zählte und im 15. Jahrhundert in Spanien seine
heute noch gültigen Regeln erhielt.
Trotz der großen Tradition war Schach verpönt unter Ajatollah Chomeini. Der
Revolutionsführer verbot 1981 das königliche Spiel jedoch nicht wegen der
Erinnerung an den vertriebenen Erzfeind Schah. Das älteste Brettspiel fiel
unter den Bannstrahl, weil in den Parks um Geld gezockt wurde und der Islam
das untersagt. "Das Verbot war bescheuert und ein Unfall", urteilt Ghaem
heute. Durch eine weitere Fatwa ließ Chomeini das königliche Spiel 1988
wieder aus dem Untergrund zurückkehren. Die iranische Nummer eins zeigt
sich überzeugt, dass "solch ein Ukas" kein zweites Mal Unheil stiften kann.
"Wir haben eine offenere Gesellschaft. Vor allem ist Schach aber inzwischen
zu populär. Nur Fuß-, Basket- und Volleyball stehen vor uns, vielleicht
noch Gewichtheben. Jede vierte Familie in unserem 71-Millionen-Volk spielt
mindestens einmal in der Woche Schach", führt der Hamburger
Bundesligaspieler aus. Präzise Statistiken führt der iranische
Schachverband keine. Ghaem schätzt die Zahl der Aktiven aktuell allerdings
auf mehrere hunderttausend, "wenn nicht gar über eine Million".
Der 27-Jährige betreibt in Teheran allein vier der mehr als 20
Schachschulen. Sein Großmeisterkollege Morteza Mahjoob Zardast hat jetzt
seine dritte eröffnet. Die staatliche Förderung fällt so üppig aus, dass
Ghaem kein Salär benötigt. "Beim Hamburger SK spiele ich wegen des guten
Teamgeists, die müssen mir nur die Flugspesen bezahlen", erläutert der
Star. "Ich bin bei uns sicher so populär wie Weltmeister Viswanathan Anand
in Indien", sagt er wie selbstverständlich.
Anno 2000 fand in Teheran nicht nur das WM-Finale statt, das Anand
vorzeitig mit 3,5:0,5 gegen Alexej Schirow gewann, Ghaem wurde auch mit 18
Großmeister und löste den Boom aus. Er habe mehr als 45 internationale
Turniere gewonnen und bei Asien-Meisterschaften 17 oder 18 Medaillen im
Einzel und mit der Mannschaft geholt, führt der Weltranglisten-259. aus.
Die asiatischen Titelkämpfe zählen im Iran besonders viel, weshalb eine
siebenköpfige Delegation zu den Chess Classic nach Mainz pilgerte, um dafür
in Form zu kommen. Bei der Schnellschach-WM in der Rheingoldhalle lagen
Ghaem, Mahjoob und Elshan Moradiabadi zur Halbzeit mit 4:1 Punkten im
Verfolgerfeld. Moradiabadi hält einen besonderen Weltrekord: Der
Großmeister marschierte 18 Stunden lang 500 Bretter ab. 397 Gegner mussten
bei dem Simultan aufgeben, 90 Partien endeten mit einem Remis, und nur 13
verlor er.
Bei ihrem Vorbereitungsturnier in Mainz trumpfen auch die iranischen Frauen
auf. Atousa Pourkashiyan sammelte in dem mit Weltklassespielern gespickten
Mammutfeld (701 Teilnehmer) ebenso 4:1 Zähler. Im Damenklassement liegen
außerdem Ghaems Ehefrau Shayesteh Ghader Pour Taleghani und Shadi Paridar
mit 3,5 Punkten in Lauerstellung. Weil andere Sportarten im Iran wegen der
ab dem neunten Lebensjahr einsetzenden Verhüllung nur mit Handicap
auszuüben sind, ist Schach bei den Mädchen sehr beliebt. "Wir waren die
ersten Sportlerinnen, die außer Landes antreten durften", betont Paridar.
Die 24-Jährige hält ihren Titel als erste iranische Großmeisterin nur für
eine Zwischenstation. "Bei den Nachwuchsweltmeisterschaften der U8 bis U18
räumten wir ab. Nur Russland und China waren besser!" Und Ghaem schiebt
nach: "Die Schach-Welt hört bald noch mehr von uns!" Google wird die
Treffer zeigen.
8 Aug 2010
## AUTOREN
Hartmut Metz
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