# taz.de -- Minister streiten um Aidsfonds: Niebel im Nebel | |
> Erst hat er gekürzt, nun will er Extra-Gelder: Entwicklungsminister | |
> Niebel plant, den Globalen Aidsfonds wieder angemessen zu unterstützen. | |
> Doch der Finanzminister lässt ihn abblitzen. | |
Bild: Steht vor der nächsten Sitzung in New York mit leeren Händen da: Entwic… | |
Um sich das Leben einfacher zu machen, hat sich Entwicklungsminister Dirk | |
Niebel eine Neuerung in seinem Haus einfallen lassen: Für das Verständnis | |
komplexerer politischer Entscheidungen hilft dem fachfremden FDP-Mann seit | |
kurzem ein "Strategiebarometer". In Leitungsvorlagen müssen fortan seine | |
Beamten ein Kreuzchen zwischen eins und zehn machen; je nachdem, wie | |
wichtig sie den Inhalt des eigenen Papiers einschätzen. | |
Besondere Bedeutung kommt aber erst der Folgefrage zu: der nach "Relevanz | |
für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit". Kreuzt der Mitarbeiter dort ein | |
"Ja" an, steigt das Interesse Niebels für das Thema erheblich, heißt es. | |
Als gering schätzte der Minister zu Beginn seiner Amtszeit grundsätzlich | |
die Bedeutung von multilateralen Projekten ein, weil er solche bevorzugt, | |
mit denen Deutschland Werbung für sich machen kann. Seit einem Jahr werden | |
daher Mittel aus Organisationen wie der UNO oder der EU abgezogen. | |
Besonders hart erwischte es den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, | |
Malaria und Tuberkulose - er gilt international als Erfolgsgeschichte. Fast | |
1,2 Milliarden Dollar hat Deutschland in den Fonds seit seiner Gründung | |
2002 eingezahlt; bei der letzten Geberkonferenz 2007 sagte Berlin 600 | |
Millionen Euro über drei Jahre zu und zahlte 2009 den Rekordbeitrag von 271 | |
Millionen Dollar. Aber dieses Jahr fiel der Beitrag auf 201 Millionen | |
Dollar, und nun stellt Niebel nur noch für ein Jahr Geld in Aussicht: 200 | |
Millionen Euro im Jahr 2011. Was danach kommt, ist ungewiss. Und auch die | |
bestehende Zusage ist offenbar nicht gesichert. Für die Zukunft des Fonds | |
ist dies bedrohlich. | |
In einer Pressemitteilung drängt der Fonds die Bundesregierung, erneut | |
Zusagen über drei Jahre zu machen, damit kontinuierliche Programme | |
gewährleistet werden können. "Wenn Berlin die Gelder so drastisch kürzt, | |
werden im Windschatten auch andere Länder streichen", sagt Christoph Benn | |
vom Globalen Fonds. Der grüne Bundestagsabgeordnete Uwe Kekeritz nennt das | |
fehlende Engagement eine "Blamage für Deutschland". | |
Tatsächlich hat sich die einseitige Kürzung des Entwicklungsministers bei | |
dem Fonds zu einem politischen Possenspiel entwickelt, in dem weder | |
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) noch das Entwicklungsministerium geglänzt | |
haben. Im September hatte Merkel in New York beim UNO-Millenniumsgipfel in | |
ihrer Rede ein Versprechen gemacht: Sie sagte, sie wolle den Global Fonds | |
"weiterhin auf hohem Niveau" fördern. Entwicklungsminister Niebel nutzte | |
die Worte der Kanzlerin, um Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) um eine | |
Mittelerhöhung zu bitten. Dieser ließ Niebel in seiner Antwort vom | |
vergangenen Freitag kalt abblitzen: "Sie haben eigenmächtig die … Mittel … | |
in Höhe von 200 Millionen umgeschichtet", schrieb Schäuble, "ich bitte Sie, | |
diese Maßnahmen rückgängig zu machen". | |
Niebel antwortete, dass er dann andere internationale Verpflichtungen nicht | |
mehr einhalten könne. Doch im Finanzministerium gibt man sich unnachgiebig, | |
die Mittel werden nicht erhöht, der Haushalt steht. Man sei in Gesprächen, | |
teilte ein Sprecher des Entwicklungsministeriums, Sebastian Lesch, am | |
Montag mit. "Peinlich, wie sich die Minister gegenseitig die Schuld | |
zuschieben", sagte Oliver Moldenhauer von "Ärzte ohne Grenzen" der taz. | |
Das für die deutsche Entwicklungspolitik traurige Fazit: Vor der | |
entscheidenden Sitzung in New York steht Deutschland mit leeren Händen da | |
und hat sich noch nicht einmal entschieden, was am heutigen Dienstag | |
verkündet werden soll. Finanz- und Entwicklungsressort zeigen hinterm | |
Rücken auf das Kanzleramt, dort solle doch bitte das Problem gelöst werden, | |
das Merkel mit ihren eigenen Worten geschaffen habe. Doch bei den | |
"Gesprächen", von denen BMZ-Sprecher Lesch berichtet, ist nach | |
taz-Informationen das Kanzleramt nur protokollarisch beteiligt. | |
Was jetzt? Im Moment sieht es nach einer Verlegenheitslösung aus. Manche | |
vermuten eine schwammige Zusage, damit Deutschland nicht völlig mit leeren | |
Händen dasteht. Dies war übrigens auch die Strategie auf dem | |
UN-Millenniumsgipfel im September. Weil Deutschland die | |
Finanzierungszusagen für Entwicklungshilfe zur Realisierung der | |
Millenniumsziele nicht einhalten konnte, hatte sich Kanzlerin Merkel etwas | |
anderes ausgedacht: Sie sagte: "Ich werde mich dafür einsetzen, dass | |
Deutschland den Globalen Fonds … auch weiterhin auf hohem Niveau | |
unterstützt. | |
4 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Gordon Repinski | |
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