# taz.de -- Niebels neue Entwicklungspolitik: FDP-Minister für Aufstandsbekäm… | |
> In Kolumbien sollen deutsche Entwicklungsexperten bei einem Projekt | |
> zugunsten von Kleinbauern mitwirken. Menschenrechtler sind jedoch | |
> alarmiert. | |
Bild: Will Deutschland und Kolumbien unter einen Hut kriegen: FDP-Minister Dirk… | |
PORTO ALEGRE taz | Wegen der geplanten Beteiligung deutscher | |
Entwicklungsexperten an einem kolumbianischen Aufstandsbekämpfungsprogramm | |
ist Minister Dirk Niebel (FDP) unter Rechtfertigungsdruck geraten. | |
"Kolumbien ist eine der stabilsten Demokratien in Lateinamerika und bedarf | |
der Unterstützung der freien Welt", sagte er in Peru, der nach Bolivien | |
zweiten Station seiner Reise durch die Andenregion. | |
Am Donnerstag wird er in Bogotá erwartet. Ausgerechnet das Kriegsgebiet um | |
den Macarena-Nationalpark fünf Autostunden südöstlich der kolumbianischen | |
Hauptstadt hat sich der Entwicklungsminister für einen seiner | |
"Paradigmenwechsel" auserkoren – dort, wo sich Farc-Guerilla, Paramilitärs | |
und Armee regelmäßig Gefechte liefern. Am florierenden Kokainhandel | |
verdienen alle mit. Zwischen den Fronten steht die Zivilbevölkerung: | |
Hunderte wurden massakriert, Tausende verloren Haus und Hof. Innerhalb der | |
letzten zwölf Monate wurden dort mehrere Massengräber entdeckt. | |
Mit 500.000 Euro soll die "Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit"(GTZ) | |
zwei Jahre lang beratend bei der "partizipativen Erstellung eines | |
Raum/Umweltordnungsplans" für den Nationalpark mitwirken. So steht es in | |
einem Brief von Staatssekretärin Gudrun Kopp an den | |
Grünen-Entwicklungspolitiker Thilo Hoppe vom letzten Freitag. Niebels | |
Parteifreundin deklariert darin die Maßnahme ausdrücklich als Unterstützung | |
des kolumbianischen "Plans zur Integralen Konsolidierung der Macarena" | |
(PCIM). | |
Offiziell geht es Bogotá dabei um Sicherheit, Drogenvernichtung, Justiz und | |
Mitsprache der Betroffenen. Und Niebels mitreisender Abteilungsleiter | |
Harald Klein (FDP) versichert, durch das deutsche Projekt wolle man die | |
Vergabe von Landtiteln an Kleinbauern vorbereiten. Dabei wird an dem | |
Vorhaben, das 2011 starten soll, offenbar noch mit heißer Nadel gestrickt. | |
Unklar ist auch, warum die Bauern ausgerechnet im Nationalpark angesiedelt | |
werden sollen. | |
In Wirklichkeit ist der PCIM ein "[1][Aufstandsbekämpfungsprogramm]", das | |
die Regierung des vormaligen Staatschefs Álvaro Uribe zusammen mit | |
US-Militärs konzipiert hat und seit 2007 in der historischen Farc-Hochburg | |
in die Tat umsetzt. Kleinbauern hingegen haben immer weniger Perspektiven – | |
auch, weil Agrarfirmen mit dem Rückhalt der Regierung große Palmölplantagen | |
in der Region anlegen. Auch Erdölvorkommen und mineralische Bodenschätze | |
wecken Begehrlichkeiten, die nichts Gutes für die Landbevölkerung | |
verheißen. | |
Seit seinem Amtsantritt drängte Niebel auf einen Kurswechsel in der | |
Entwicklungszusammenarbeit mit Kolumbien, das unter dem Vorwand des | |
"Antidrogenkriegs" systematisch zum Brückenkopf der USA im linksgewendeten | |
Südamerika ausgebaut wird. "Mit Kolumbien sollten wir ideologiefreier | |
umgehen", erklärte der Minister bereits vor einem Jahr. Zugleich hielt er | |
das GTZ-Büro in Bogotá dazu an, seine Vorgaben umzusetzen. | |
In der Macarena-Region waren die Farc jahrzehntelang die bestimmende | |
politische und militärische Kraft. Gut 100.000 Menschen leben heute im | |
südlichsten Teil der Tieflandprovinz Meta. Teile davon, vor allem die | |
Kleinstädte, sind jetzt tatsächlich unter der Kontrolle der Militärs. Doch | |
in vielen Weilern sind die Guerilleros immer noch "das Gesetz" – trotz der | |
gut achtjährigen Offensive der Armee, die ihnen schwer zugesetzt hat. Am | |
östlichen Fuß der Anden kam im September bei einem Angriff der Armee Jorge | |
Briceño um, einer der meistgefürchteten Farc-Kommandanten. | |
In der Region selbst ist der "Konsolidierungsplan" umstritten. Gegen | |
Alternativprojekte zum Kokaanbau und zugunsten von Kleinbauern sei nichts | |
einzuwenden, sagt José Figueroa Gómez, der für das Kriegsgebiet zuständige | |
katholische Bischof, doch "bisher funktionieren die einfach nicht". | |
"Der Plan ist sehr militärisch geprägt, und die Organisationen der | |
Bevölkerung werden durch das Vorgehen von Militär und Polizei geschwächt", | |
kritisiert er. Schlechte Voraussetzungen also für ein "partizipatives" | |
Entwicklungsprojekt. Jede "internationale Intervention" müsse die | |
Menschenrechte als Priorität haben, sagt Figueroa und empfiehlt den | |
Deutschen ausdrücklich, den Plan nicht zu unterstützen. | |
Auch die Mitarbeiter kirchlicher deutscher Hilfsorganisationen in Bogotá | |
sind alarmiert. Niebels Projekt sei als Türoffner für eine weitergehendes | |
Engagement gedacht, sagen sie hinter vorgehaltener Hand. "In der Region | |
besteht – auf Grund der bis dato fast inexistenten 'positiven Präsenz' | |
staatlicher Stellen sowie der anhaltenden Kampfhandlungen – ein tiefes | |
Misstrauen", heißt es in einem vertraulichen GTZ-Gutachten, das der taz | |
vorliegt. Zudem bestehe die Gefahr, dass "Partner und Zielgruppen zum Ziel | |
von illegalen Akteuren werden könnten". Aus Sicherheitsgründen soll das | |
Projekt daher von einem Kolumbianer in der fernen Provinzhauptstadt | |
Villavicencio koordiniert werden. "In einem 'spill-over'-Effekt" sei es | |
sogar denkbar, dass die GTZ-Arbeit in ganz Kolumbien kompromittiert werde. | |
Die Linken-Bundesabgeordnete Heike Hänsel, die mit Niebel reist, spricht | |
von einer "skandalösen Entscheidung". Ihr grüner Kollege Thilo Hoppe | |
verurteilt Niebels "Tabubruch". Die Deutschen hätten sich bisher wegen der | |
"desaströsen Menschenrechtsbilanz der kolumbianischen Streitkräfte" zu | |
Recht aus der Aufstandsbekämpfung herausgehalten, sagte er der taz. | |
Jetzt wolle man das ändern, "trotz der massiven Bedenken der dortigen | |
"Zivilgesellschaft". Für Hoppe ist klar: "Der Bundesregierung geht es nicht | |
in erster Linie um die Bedürfnisse der Menschen vor Ort, sondern darum, der | |
kolumbianischen Regierung und ihren politischen Strategien Legitimität zu | |
verleihen". | |
Abteilungsleiter Klein beteuert dagegen: "Es wird keine Vermischung mit dem | |
militärischen Einsatz gegen die Guerilla geben". Und Dirk Niebel | |
bekräftigt: "Wir machen ein Projekt zu Umweltkartierung als Vorstufe für | |
die Vergabe von Landtiteln, und deswegen hat das mit Aufstandsbekämpfung | |
überhaupt nichts zu tun". | |
4 Nov 2010 | |
## LINKS | |
[1] http://justf.org/content/after-plan-colombia | |
## AUTOREN | |
Gerhard Dilger | |
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