# taz.de -- CDU sucht Position zum Islam: Die Verunsicherten | |
> Bei der ersten Regionalkonferenz interessiert sich die CDU-Basis nur für | |
> ein Thema: Islam. Dabei zeigt sich, dass "wir und die" selbst innerhalb | |
> der Partei schwer auseinanderzuhalten sind. | |
Bild: Immerhin noch klar: Am Ende singt die CDU die Nationalhymne. | |
WIESBADEN taz | Es ist ein schöner lauer Herbstabend in Wiesbaden. Knapp | |
2.000 CDU-Funktionäre und Mitglieder sind in die Rhein-Main-Halle gekommen, | |
einen nüchternen Funktionsbau, um die Kanzlerin Angela Merkel zu sehen. Die | |
neue Merkel, die jetzt regiert. Die Kanzlerin sitzt in der Mitte, umringt | |
von den CDU-Landeschefs aus Deutschlands Südwesten, Volker Bouffier, Julia | |
Klöckner und Peter Müller. Roland Koch ist auch da, weil er sowieso | |
dazugehört. | |
Bei dieser Regionalkonferenz sollen Führung und Basis miteinander reden. | |
Die Umfragen sind mies. Und es gibt Aufregung wegen Christian Wulffs Satz, | |
dass der Islam zu Deutschland gehört. Eigentlich sind die Konferenzen | |
Merkels Terrain. Vor zehn Jahren, während Kohls Spendenskandal, halfen sie | |
ihr, der Ostdeutschen ohne Verbündete im Apparat, nach ganz oben zu kommen. | |
Merkel versucht das Wirgefühl der Partei zu beschwören. Sie lobt Kohl, den | |
"Kanzler der Einheit", und schimpft auf die SPD, die in den Achtzigern die | |
deutsche Staatsbürgerschaft aufgeben wollte. Sie lobt blühende Landschaften | |
im Osten und feiert Deutschland als Erfolgsgeschichte, dank CDU natürlich. | |
Es wirkt wie die Beschwörung eines untergegangenen Modells: der CDU als | |
Staatspartei. | |
Merkels Kernthema ist Wirtschaft und Infrastruktur. Deutschland muss auch | |
2050 noch ein Industrieland sein, sagt sie. Das ist ihr roter Faden. | |
Deshalb muss die Laufzeitverlängerung für AKWs her, denn Energie muss | |
bezahlbar bleiben. Deshalb hat Schwarz-Gelb Hartz-IV-Empfängern Alkohol und | |
Zigaretten gestrichen. Damit soll der Druck auf Arbeitslose erhöht, damit | |
sollen Sozialkosten eingedämmt werden. Auch die Gesundheitsreform, die | |
Unternehmen entlastet (und Beschäftigte belastet), soll in dieses Bild | |
passen. | |
Nur Schwarz-Gelb, so Merkel, denkt an das große Ganze. Deshalb setzt man | |
mit Macht infrastrukturelle Großprojekte durch, während Linke und Grüne | |
kleinlichen Partialinteressen das Wort reden. | |
"Wer Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagern will, muss ,Stuttgart | |
21' unterstützen", ruft sie. Es ist eine Rhetorik des Wir und Die. Angela | |
Merkel ist nicht mehr die großkoalitionäre Präsidentin, die über allem | |
schwebt, sondern jetzt, nachdem sich CSU und FDP im internen | |
Koalitionskrieg müde gekämpft haben, die Kanzlerin von Schwarz-Gelb. | |
Und dann sagt sie: "Dafür steht ,Stuttgart 21'." Aber das zündet nicht. Es | |
leuchtet nicht ein, dass ein sehr teurer Bahnhof Symbol für diesen | |
inszenierten Neustart stehen soll. Noch nicht mal hier, vor 2.000 | |
CDU-Funktionären. Obwohl Merkel nicht mehr die Konsenskanzlerin gibt, | |
bleibt die Stimmung unentschieden. Es ist ein kaltes Feuer, das Merkel | |
entfacht. | |
Es funkt nur bei einem anderen Thema. Merkel sagt vorsichtig: "Es gibt | |
Muslime, deren Islam-Ausprägung nicht zu unserer Vorstellung des | |
Grundgesetzes passt." Beifall braust auf. "Bei uns gilt das Grundgesetz, | |
nicht die Scharia", ruft sie angespornt. | |
Das ist eigentlich kein aufregender Satz. Doch der Saal tobt. "Stuttgart | |
21", Gesundheitsreform, gut und schön. Den Pulsschlag aber treibt nur ein | |
Wort nach oben: Islam. Merkel, die Kühle, Rationale, sagt: "Was wir den | |
Muslimen nicht vorwerfen dürfen, ist, dass sie mit leuchtenden Augen über | |
ihren Glauben sprechen, und wir nicht." | |
Vielmehr solle man "mit fröhlichem Herzen sagen: Wir sind | |
Christdemokraten". Das klingt appellativ und unverbindlich bis ins | |
Flüchtige. Aber es ist ein Satz, der das zentrale Thema umkreist: wir und | |
die. | |
Die Aussprache dauert drei Stunden. Auffällig viele Migranten melden sich. | |
Ein Farbiger wünscht sich mehr Patriotismus. Ein türkischstämmiger | |
Christdemokrat erzählt, dass er wegen Wulffs Rede (deretwegen es | |
Parteiaustritte gab) sechs neue Mitglieder geworben hat. | |
Eine sehr blonde Christdemokratin aus dem Westerwald stellt sich als | |
türkischstämmige Muslimin vor und klagt, dass sie als Erzieherin bei | |
kirchlichen Trägern keinen Job bekommt. Sie bekommt höflichen Applaus. Es | |
ist der Beifall der verunsicherten Mehrheit. | |
Julia Klöckner, CDU-Kandidation in Rheinland Pfalz, die als liberal gilt, | |
ruft, dass der Islam "nicht zum Fundament unserer Gesellschaft gehört". | |
Solche Sätze sollen die Unsicherheit kanalisieren. Sie tun es nur | |
notdürftig. | |
Die Zeiten, als der Feind im Osten stand und Regieren für die CDU eine Art | |
Naturzustand war, sind vorbei. Jetzt schafft die CDU die Wehrpflicht ab. | |
Und blonde Musliminnen klagen auf CDU-Veranstaltungen ihr Recht ein. | |
Die Frage, die im Raum stehen bleibt, ist: Wer ist wir? | |
8 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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