# taz.de -- Debatte Deutschenfeindlichkeit: Unter Kartoffeln | |
> Die Deutschenfeindlichkeit nehme zu, heißt es. Schon der Begriff verkehrt | |
> die Machtverhältnisse, um Deutsche per se als Opfer zu stilisieren. | |
"Kartoffel!", "Nazi"oder auch: "Du Opfer!" Solche Sprüche soll man in | |
letzter Zeit vermehrt an manchen Schulen hören, an denen der Anteil von | |
sozial benachteiligten Schülern mit "Migrationshintergrund" besonders hoch | |
ist. Die Klage von Lehrern darüber war denn auch der Aufhänger einer | |
Tagung, die die Berliner GEW am vergangenen Samstag ausgerichtet hatte. An | |
deren Ende waren sich die meisten Teilnehmer einig: Der Begriff | |
"Deutschenfeindlichkeit" taugt nicht zur Analyse der vorhandenen Konflikte. | |
Die Kultur ist schuld | |
Dennoch - am darauffolgenden Montag titelte die Berliner Morgenpost: "Wie | |
Araber und Türken deutsche Schüler mobben". "Schule und Integration. Das | |
Gift der muslimischen Intoleranz" schrieb die FAZ. Wie kann es sein, dass | |
die mediale Rezeption die Tagungsergebnisse so ins Gegenteil verkehrt hat? | |
Zweifellos hat dies etwas mit der Wirkungsweise hegemonialer Diskurse zu | |
tun: Kritische Stimmen, die auf die gesellschaftlichen Ursachen von | |
Selbstethnisierung bei Jugendlichen hinweisen, werden ignoriert. | |
Stattdessen werden vorrangig jene gehört, die eine dominante Perspektive | |
stützen. Und die besagt dem sarrazinschen Zeitgeist entsprechend, dass die | |
bundesdeutsche Bildungsmisere mit der vermeintlich "fremden" Kultur und | |
Religion von Schülern mit "Migrationshintergrund", soll sein dem Islam, zu | |
tun habe. | |
Diese Haltung führt dazu, dass bei der Bewertung des sozialen Verhaltens | |
von Serkan und Sebastian verschiedene Maßstäbe angelegt werden. Ist | |
Sebastian frech gegenüber seiner Lehrerin, so ist er einfach nur schlecht | |
erzogen, die Gründe für sein Handeln liegen im Individuum. Tut Serkan das | |
Gleiche, kommt sofort der Verdacht auf, es läge an seiner "Kultur", sein | |
Handeln speise sich aus dem Kollektivcharakter der Gruppe, der er | |
zugerechnet wird. Während Sebastian also "einer von uns" ist und vielleicht | |
noch lernen muss, sich als Individuum besser zu benehmen, muss Serkan sich | |
erst mal "integrieren" und an "deutsche" oder wahlweise "westliche" Werte | |
herangeführt werden, die Sebastian qua kultureller Zugehörigkeit | |
selbstverständlich verinnerlicht hat. Diese verbreitete Wahrnehmung rahmt | |
die lauter werdende Debatte über "Deutschenfeindlichkeit". | |
Die Berichte der Mehrheit der Lehrer hingegen straften solche | |
kulturalistischen Erklärungsansätze Lügen: Zum einen werden auch | |
Jugendliche mit "Migrationshintergrund" gehänselt, etwa als "Streber". Zum | |
anderen werden Übergriffe und Beleidigungen gegen "weiße" Deutsche nicht | |
aus Schulen gemeldet, die von gutbürgerlichen Schülern mit | |
"Migrationshintergrund" besucht werden. Dies legt nahe, dass es sich um ein | |
schichtspezifisches und damit soziales Phänomen handelt. Welche Dimension | |
das Ganze überhaupt hat, ist unklar, denn es liegen bislang keine | |
gesicherten empirischen Erkenntnisse vor. | |
Die Opferkonkurrenz | |
Wenn Angehörige gesellschaftlich marginalisierter Gruppen durch | |
"deutschenfeindliche" Äußerungen und Taten auffallen, stellt sich zudem die | |
Frage, inwiefern es sich hierbei um die Übernahme ethnisierender | |
Zuschreibungen und die Rückgabe erlebter Diskriminierungen handelt. Die | |
strukturelle Ausgrenzung, die solche Jugendlichen tagtäglich erfahren, | |
tritt nicht zuletzt in der Verweigerung von Zugehörigkeit zutage. Wenn die | |
Betreffenden von der Mehrheitsgesellschaft, deren Zuschreibungsmacht | |
gegenüber Minderheiten nicht zu unterschätzen ist, ständig als "Ausländer", | |
"Muslime" oder "Migranten" bezeichnet werden, ist eine daraus folgende | |
Selbst- und Fremdethnisierung wenig verwunderlich, da ihnen andere | |
Identitätsangebote verweigert werden. Unsere Selbstverortung als Individuum | |
hängt in hohem Maße auch von der Außenperspektive auf uns ab. Mit dem | |
Begriff der "Deutschenfeindlichkeit" wird diese Form der | |
Zugehörigkeitsverweigerung fortgeschrieben - denn er besagt, dass | |
diejenigen, deren Verhalten mit diesem Begriff problematisiert werden soll, | |
keine Deutschen sind und auch nicht sein können. | |
Die leidige Wir-sie-Logik | |
Dies ist im Sinne von rechtspopulistischen Gruppierungen, die den Begriff | |
"Deutschenfeindlichkeit" als Kampfbegriff benutzen, um die "echten" | |
Deutschen als Opfer ihrer Minderheiten darzustellen, von denen angeblich | |
ein "umgekehrter" Rassismus gegen Weiße ausgehe. Bei dem Versuch, | |
"Deutschenfeindlichkeit" mit Rassismus gleichzusetzen, werden die | |
Machtverhältnisse zwischen Mehrheitsbevölkerung und Minorisierten | |
ausgeblendet. Diese sind keineswegs symmetrisch, sondern hierarchisch | |
strukturiert. So können Angehörige des gesellschaftlich hegemonialen | |
Bevölkerungsteils - in Deutschland also "weiße" Deutsche - zwar | |
individuelle Ausgrenzungserfahrungen machen, sie sind aber keinem | |
strukturellen Rassismus ausgesetzt, der etwa auf dem Arbeits- oder | |
Wohnungsmarkt wirksam ist. Rassismus ist also immer an eine Machtposition | |
gekoppelt. Die Frage von gesellschaftlicher Marginalisierung ist deshalb | |
auch keine, die sich allein an der zahlenmäßigen Größe einer Gruppe | |
festmachen ließe. Es kann durchaus sein, dass Schüler mit | |
"Migrationshintergrund" in einigen Schulen inzwischen die quantitative | |
Mehrheit darstellen - auf der Seite der Lehrerschaft spiegelt sich diese | |
Verteilung aber keinesfalls wider. | |
Die Schule ist kein machtfreier Raum, denn es sind nun mal die Lehrer, die | |
ihre Schüler benoten, und nicht umgekehrt. Das Mobbing und die sozialen | |
Konflikte, die unter dem Begriff "Deutschenfeindlichkeit" subsumiert | |
werden, dürfen daher nicht isoliert betrachtet werden. Die Verwendung einer | |
Begrifflichkeit, der eine ausgrenzende Wir-sie-Logik zugrunde liegt, trägt | |
zu einer Überwindung dieser Konflikte und dem Ziel einer | |
diskriminierungsfreien Schule nichts bei. Im Gegenteil. | |
7 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Yasemin Shooman | |
Evelin Lubig-Fohsel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |