# taz.de -- Integrations-Debatte: Seehofer macht den Sarrazin | |
> Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hält Zuwanderer aus der | |
> Türkei und arabischen Ländern für Integrationsverweigerer. Das ist selbst | |
> in der Union umstritten. | |
Bild: Teil der Kultur: Türkische und arabische Zuwanderer. | |
Eine Woche nach den Äußerungen von Bundespräsident Christian Wulff (CDU) | |
zur Integration von Muslimen zeigt sich die Union in dieser Frage weiter | |
gespalten. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warb zusammen mit dem | |
türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan am Wochenende für die | |
Integration von Türken in Deutschland. Dagegen sprach sich der bayerische | |
Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) für einen Zuwanderungsstopp aus der | |
Türkei und den arabischen Ländern aus, da Migranten "aus fremden | |
Kulturkreisen" mehr Schwierigkeiten hätten, sich zu integrieren. | |
Dem Focus sagte Seehofer: "Es ist doch klar, dass sich Zuwanderer aus | |
anderen Kulturkreisen wie aus der Türkei und den arabischen Ländern | |
insgesamt schwerertun." Daher habe er kein Verständnis "für die Forderung | |
nach weitergehender Zuwanderung aus fremden Kulturkreisen", so der | |
bayerische Ministerpräsident. | |
Politiker der Opposition reagierten darauf mit deutlicher Kritik: "Seehofer | |
gaukelt mal wieder vor, man könne mit Stammtischparolen irgendwelche | |
Probleme lösen", sagte die Integrationsbeauftragte der SPD-Fraktion, Aydan | |
Özoguz, der taz. Es gebe außerdem kaum noch Zuwanderung aus den | |
angesprochenen Regionen. Eine "vordergründige Kulturdebatte" würde nichts | |
an den realen Problemen ändern. "Ich kann das nicht mehr hören", so Özoguz. | |
Für den Grünen-Integrationsexperten Memet Kilic genießt Seehofer von nun an | |
Narrenfreiheit: "Ich glaube nicht, dass irgendjemand Horst Seehofer noch | |
ernst nimmt", sagte Kilic der taz. Es sei dennoch bedenklich, dass sich | |
Unionspolitiker "zu häufig an den Umfragewerten anstatt an den eigenen | |
Werten" orientierten. Die Kanzlerin nimmt Kilic davon aus. Merkel sei "eine | |
Perle im Misthaufen". | |
Auch innerhalb der Koalition sorgte Seehofers Forderung für Unmut. Seehofer | |
leiste Deutschland "einen Bärendienst", sagte der FDP-Integrationspolitiker | |
Serkan Tören. "Seine Äußerungen schaden unserem Land ebenso wie die | |
Äußerungen von Thilo Sarrazin zur Genetik", so Tören. Der | |
CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach reagierte ebenfalls irritiert. "Die | |
Frage ist, ob Horst Seehofer hinter geltendes Recht zurückwill", sagte | |
Bosbach der Saarbrücker Zeitung. Er habe Zweifel, "ob das | |
verfassungsrechtlich und völkerrechtlich überhaupt möglich" sei. | |
Bei einem Treffen mit Bundeskanzlerin Merkel räumte der türkische Premier | |
Erdogan "Defizite" bei der Integration türkischer Einwanderer ein. "Ich bin | |
selbstverständlich dafür, dass die Menschen türkischer Abstammung sich hier | |
in Deutschland für ihr eigenes Glück integrieren", so Erdogan. Dazu gehöre | |
auch, dass "Türken, die hier in Deutschland leben, natürlich nicht nur | |
Türkisch, sondern auch Deutsch sprechen können". | |
Erdogan bekräftigte zudem seine umstrittene Haltung zu Assimilation, die | |
"ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit" sei. Die Bundeskanzlerin stellte | |
dazu klar: "Das Thema Assimilation ist für uns kein Thema", so Merkel. "Es | |
geht um Integration." | |
Unterdessen schaltete sich auch Bundesfamilienministerin Kristina Schröder | |
(CDU) in die Debatte um Deutschenfeindlichkeit an Berliner Schulen ein. Der | |
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung sagte Schröder, auch die | |
Diskriminierung von Deutschen sei Rassismus: "Denn hier wird jemand | |
diskriminiert, weil er einer bestimmten Ethnie angehört." | |
10 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Niklas Wirminghaus | |
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