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# taz.de -- Berichterstattung über Integration: RTL und "Bild" erklären "Schn…
> Wie "Bild" und RTL einmal gemeinsam eine Lappalie zum Skandal hochkochten
> - weils doch gerade so gut zur allgemeinen Stimmung gegen Muslime passt.
> Ein Lehrstück.
Bild: Das Schwein des Anstoßes: Eine Lehrerin hat Geflügel- und Schweineschni…
Sie muss fast weinen. Wenn man mit Ursula Emde spricht, dann muss man immer
wieder kurz unterbrechen. Die Stimme der 59-Jährigen ist brüchig, sie will
von einem wissen, wie man politisch eingestellt ist, bevor sie antwortet.
Fragt, ob man Muslimin sei, welchen Migrationshintergrund man habe. Urusla
Emde ist vorsichtig, sie sieht sich als Opfer der hiesigen Gesellschaft.
RTL berichtete am Montag, dem 11.10., in "Extra" reißerisch von Ursula Emde
und einem "Schnitzelkrieg", der im rheinland-pfälzischen Betzdorf tobt. Was
allerdings nicht erwähnt wurde, war die Tatsache, dass es überhaupt keinen
Schnitzelkrieg gab - bis RTL kam.
Rückblick: Seit 18 Jahren unterrichtet Ursula Emde an der
Christophorus-Ganztagsschule in Betzdorf. Am 25. Februar hat die Lehrerin
Geflügel- und Schweineschnitzel bei der Essensausgabe in der Schulkantine
verwechselt. Am Tag danach sei sie von einer muslimischen Mutter auf den
Vorfall angesprochen worden und einige Eltern meldeten sich bei dem
Schulleiter Alexander Waschow. Daraufhin stellte der Direktor sie vom
Unterricht frei, um die Wogen zu glätten. Seitdem hat sich Ursula Emde
krankgemeldet, weil sie sich gemobbt fühlt. Sie kann aber jederzeit wieder
anfangen. RTL drehte im Mai einen Beitrag über den Vorfall, sendete diesen
aber nicht. Wohl, weil keine Muslime die Schule anzündeten. "Die Muslime
haben damals besonnen reagiert", sagt Betzdorfs Bürgermeister Bernd Brato.
Die Geschichte ist die einer Verwechslung, die schnell geklärt werden
konnte. Die Geschichte ist aber auch, wie Medien Stimmung gegen Muslime
machen.
Udo Ulfkotte, der mit fragwürdigen Büchern über die Bedrohung durch
muslimische Fundamentalisten von sich reden machte, habe von dem
Schnitzeltausch erfahren und sich an RTL gewandt, die daraufhin im Mai
drehten. Weil es juristische Auseinandersetzungen gab, habe RTL den Beitrag
nicht senden wollen, berichtet Ursula Emde. Im Zuge der Sarrazin-Debatte
habe sie dann einen Anruf von RTL erhalten mit der Ansage: Wir bringen die
Geschichte jetzt. RTL widerspricht Ursula Emdes Aussage: die Geschichte sei
erst jetzt fertiggestellt worden.
Falsche Kopftuchzeugin
Am 11.10. wurde bei RTL "Extra" über den Schnitzelkrieg berichtet. "Hier
ereignet sich gerade eine unglaubliche Geschichte", heißt es in dem
Beitrag, in dem nicht erwähnt wird, dass die Verwechslung im Februar
stattgefunden hat. Um den angeblichen Multi-Kulti-Wahnsinn zu untermauern,
präsentiert man eine junge Mutter mit Kopftuch, die sich über Ursula Emde
beschwert. "Dass die Lehrerin gehen musste, finde ich vollkommen in
Ordnung, das hat sie dann verdient", meckert sie. Was seltsam ist: Zwar
waren früher drei Kinder dieser Frau auf der Christophorus-Schule, ihre
Kinder waren bei der folgenreichen Essensausgabe aber nicht mit dabei. Dass
es wieder Schweinefleisch an der Schule gibt, wird in dem Beitrag nicht
erwähnt. Lieber betont man: "Also vorerst kein Schweinefleisch mehr, auch
für die deutschen Schüler".
Bild griff den Fall auf und stellte die Lehrerin als Opfer dar. "Wenn
Multi-Kulti zum Irrsinn wird. Deutsche Lehrerin von Moslems weggemobbt!"
war letzte Woche online zu lesen. Im Blatt stand dann "Lehrerin gefeuert,
weil sie muslimischen Schülern versehentlich Schweinefleisch gab".
Ganz am Ende klärt Bild seine Leser dann doch noch auf und schreibt: Eine
Kündigung hat nie stattgefunden und Schweinefleisch gibt es wieder in der
Schule. Bis hierhin ist der Leser nach seiner Empörung vielleicht nicht
mehr gekommen.
Die momentane Debatte ist für manche der Vorwand, einmal so richtig
unkorrekt und hetzerisch sein zu dürfen. Das untere Ende des Spektrums
markiert dabei konsequent die Bild. "1. Mietvertrag mit Islam-Klausel",
posaunt der Bild-Titel letzte Woche. "Kein Alkohol! Kein Schweinefleisch!
Keine Zinsgeschäfte!" Auf der Seite 3 dann die ganze Geschichte, gleich
darunter fordert Horst Seehofer seinen "Zuwanderungs-Stopp!".
Die Medien schlagen einen absurden Doppelpass, versuchen ihrer
Aufklärungspflicht nachzukommen und sich gleichzeitig an Empörung zu
übertreffen. So zeigt der Focus auf seinem Titel diese Woche
Bundespräsident Christian Wulff mit dunklem Oberlippenbart und einem weißen
Häkelfez. Ein Focus-Sprecher sagte, dass Cover sei durchaus auch als
Humoreske zu sehen. Was irritiert: Der Focus gibt vor, ein
Nachrichtenmagazin zu sein und ist bisher nicht durch Humor aufgefallen,
sondern eher durch magere Beiträge.
"Özil hui, Ali pfui - welche Zuwanderer brauchen wir?", fragte Frank
Plasberg in seiner Sendung "Hart aber fair". "Schleier und Scharia: Gehört
der Islam zu Deutschland?", wollte Sandra Maischberger von ihren
Talk-Gästen wissen. "Sarrazin weg - Integrationsproblem gelöst?", hieß es
bei Anne Will. "Kreuzzug 2010: Gehört der Islam wirklich zu Deutschland?",
wollte Maybrit Illner wissen. Unausgewogene Suggestivfragen getarnt als
journalistisches Stilmittel sind derzeit gefragt in Deutschland.
"Der Schnitzelkrieg tobt leider weiter", wird bei RTL am Ende betont. Und
Ausnahmsweise stimmt das: Denn wo vorher Frieden herrschte, ist jetzt der
Mob los. Seit der Berichterstattung von RTL und Bild sind hunderte
Zuschriften in der Schule eingegangen. Leiter Waschow wird bedroht. In
manchen Mails reiht sich Schimpfwort an Schimpfwort, und andere strotzen
vor ausländerfeindlichen Äußerungen.
20 Oct 2010
## AUTOREN
Cigdem Akyol
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