# taz.de -- Islam-Debatte beim Zahnarzt: Bohrende Fragen zur Integration | |
> Eine Zahnarztpraxis in Berlin-Neukölln. Mitarbeiter und Patienten - fast | |
> alle sind Einwanderer. Was denken sie über den Integrationsstreit, den | |
> Sarrazin und Wulff entfachten? | |
Bild: Auf den Zahn gefühlt: Wie kommt die Multikulti-Debatte in einer Zahnarzt… | |
Im Wartezimmer liegt die Hürriyet gleich neben der Bild-Zeitung. Über | |
Lautsprecher ertönt türkische Musik. Viele Frauen tragen Kopftuch, aber | |
nicht alle. Eine Gemeinschaftspraxis in Berlin-Neukölln, in der von zehn | |
Angestellten nur eine nichtmigrantisch ist. Eine Zahnarztpraxis, in der | |
über 70 Prozent der Patienten Migranten sind. Eine Zahnarztpraxis, in der | |
Türkisch die Verkehrssprache ist. | |
Seit Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab" im September | |
erschienen ist und Thesen verbreitete wie die, dass Intelligenz vererbbar | |
sei und Migranten keine Arbeitsplätze schafften, lässt die | |
Integrationsdebatte das Land nicht mehr los. | |
Bundespräsident Christian Wulff (CDU) löste in seiner Rede zum Tag der | |
Deutschen Einheit mit dem schlichten Satz "Der Islam gehört inzwischen auch | |
zu Deutschland" eine riesige Welle der Empörung aus - vor allem in den | |
Unionsparteien, aber auch darüber hinaus. CSU-Chef Horst Seehofer denkt | |
öffentlich über einen Zuwanderungsstopp für Türken und Araber nach. Und die | |
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärt Multikulti für gescheitert. | |
Wie kommt diese Debatte in der Neuköllner Zahnarzt-Praxis an? Wie fühlt man | |
sich hier inmitten einer solchen Diskussion? Und wie erleben die | |
Praxis-Mitarbeiter Migration und Integration in ihrem Arbeitsalltag? Vier | |
Antworten. | |
## "Ich fühle mich nicht mehr so wohl hier" | |
sagt Yasemin Sungur, Prophylaxe-Assistentin, 27, kam mit 12 aus der Türkei: | |
Es ist schon traurig, dass Thilo Sarrazin die Menschen so nach ihrer | |
Herkunft, Religion, Hautfarbe oder Haarfarbe beurteilt. Es gibt viele | |
Menschen, die aus solchen Gründen ausgegrenzt werden in Deutschland. Aber | |
ich persönlich kenne niemanden, der solche negativen Erfahrungen schon | |
gemacht hat. | |
Zum Glück habe ich mich bis jetzt in Deutschland nie als Fremde gefühlt. | |
Und hier in der Arbeit spielt es keine Rolle, woher man kommt. Aber es ist | |
wichtig, darüber zu sprechen, dass Menschen unter ihrer Herkunft leiden. | |
Gerade lese ich zum Beispiel das Buch "Halbmondwahrheiten" von Isabella | |
Kroth. Darin geht es um zwölf türkische Männer, die darüber berichten, was | |
sie in Deutschland erlebt haben. Und das sind vor allem negative Sachen. | |
Auch meine persönliche Erfahrung ist, dass man es als Migrantin schwerer | |
hat, eine Karriere zu machen. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich mit | |
zwölf Jahren erst einmal die Sprache lernen musste. | |
Auch wenn ich eine Arbeit habe und mittlerweile Prophylaxe-Assistentin für | |
Zahnästhetik bin - natürlich fühle ich mich direkt in die Sarrazin-Debatte | |
hineingezogen. Zwar hatte ich persönlich nie Probleme, aber es betrifft | |
mich auch, wenn Leute, die man nie kennengelernt hat, mit Vorurteilen | |
überschüttet werden. | |
Ich fühle mich in letzter Zeit nicht mehr so wohl hier. Ich habe schon | |
etwas Angst vor Deutschland bekommen. Weil zu oft darüber gesprochen wird, | |
was Leute wie Sarrazin sagen. Ich frage mich, was in zehn, fünfzehn Jahren | |
mit Deutschland passieren wird. | |
## "Ich sage nicht, dass es keine Probleme gibt" | |
sagt Duran Korkmaz, Zahnarzt, 45, kam mit 8 Jahren aus der Türkei nach | |
Berlin: | |
Es ist sehr weise, was Herr Wulff über den Islam gesagt hat. Ich fühle mich | |
von ihm vertreten, als wäre er auch mein Staatspräsident. Persönlich | |
angegriffen fühle ich mich aber, wenn ein Herr Sarrazin sagt, Menschen | |
unserer Herkunft hätten eine mindere Intelligenz. Ich zahle Steuern, | |
arbeite seit fünfzehn Jahren in dieser Praxis, habe sehr viele Mitarbeiter | |
deutscher Herkunft ausgebildet. Meine Eltern haben hier gearbeitet, sind | |
hier alt geworden. Ich finde es schon sehr traurig, dass so etwas nicht | |
erwähnt wird. Horst Seehofer schlägt momentan in die gleiche Kerbe, um in | |
den Menschen Ängste zu wecken. Das ist Politik - jeder zieht an den | |
Strippen, um Vorteile herauszuschlagen. | |
In unserer Praxis hier haben wir zum Beispiel kein Problem mit Integration. | |
Deutsche und nichtdeutsche Mitarbeiter arbeiten sehr gut zusammen. Es gibt | |
aber leider kaum Deutsche, die hier arbeiten wollen. Und nur wenige lassen | |
sich hier behandeln. | |
Natürlich sage ich nicht, dass es gar keine Probleme gibt. Wenn Menschen | |
hier 30 Jahre oder länger leben und die Sprache nicht beherrschen, ist das | |
sehr bedauerlich. Und auch der Islam ist meiner Meinung nach | |
reformbedürftig, es gibt Strömungen, die ich auch nicht unterstützen würde. | |
Aber der Islam schreibt nicht vor, dass man seine Frauen verhüllen soll. | |
Und für mich ist es zum Beispiel das Normalste von der Welt, zuerst einmal | |
die Sprache zu lernen, wenn ich in ein anderes Land gehe. | |
Wenn man aber alle Menschen pauschal abstempelt, wird einer ganzen | |
Bevölkerungsgruppe Unrecht getan. | |
## "Ich fand Sarrazins Anstöße nicht verkehrt" | |
sagt Rebecca Most, Zahnarzthelferin-Azubi, 17 Jahre, geboren in | |
Delmenhorst: | |
Ich bin die einzige nichtmigrantische Angestellte hier in der Praxis. Als | |
ich mich beworben habe, war mir das aber egal. Die Praxis liegt nah an | |
meiner Wohnung, das war mir am wichtigsten. Am Anfang war es natürlich | |
schwierig, weil ich kein Türkisch spreche. Es gab schon Fälle, wo Patienten | |
mit mir kein Deutsch sprechen wollten und am Telefon um eine türkische | |
Kollegin gebeten haben … Das muss ja auch nicht sein. | |
Wenn die Bereitschaft zur Integration fehlt, gibt es geschlossene | |
Gesellschaften, und das finde ich nicht gut. Zwar bin ich auch nicht | |
einverstanden damit, dass Thilo Sarrazin gesagt hat, Intelligenz sei | |
vererbbar oder Migranten würden nur kopftuchtragende Mädchen produzieren. | |
Aber die Anstöße, die Sarrazin generell mit seinem Buch gegeben hat, fand | |
ich nicht verkehrt. | |
Darüber habe ich auch mit meinem Chef gesprochen. Er ist zwar anderer | |
Meinung als ich, aber das ist gar kein Problem. Es ist ja ganz normal, dass | |
man nicht immer einer Meinung ist. Wir kommen trotzdem gut miteinander | |
klar. | |
Dass in unserer Praxis nur Migranten arbeiten, spielt für mich keine Rolle. | |
Hier sind Zahnärzte, die qualitative Leistungen erbringen. Und da denke ich | |
mir: Es kommt wirklich nicht darauf an, wo man herkommt, sondern darauf, | |
was man daraus macht, wenn man nach Deutschland kommt. | |
Trotzdem stimme ich der Aussage von Bundespräsident Christian Wulff, der | |
Islam gehöre zu Deutschland, nicht zu. Wir sind zwar ein soziales Land, | |
aber ich finde, wir sollten den islamischen Glauben nicht miteinbeziehen. | |
## "Guckt euch mal selber an" | |
sagt Cimendag Eyup, Praktikant, 17, kam mit 12 Jahren aus der Türkei nach | |
Berlin: | |
Sarrazin - wer ist das? Ich kenne Sarrazin gar nicht. Aber es ist | |
Schwachsinn zu sagen, dass Muslime weniger intelligent sind als Deutsche. | |
Muslime sind genauso wie Christen oder Juden. Manche arbeiten vielleicht | |
besser als andere - aber das ist auch schon alles. | |
Dass Migranten keine Arbeitsplätze schaffen, stimmt nicht. Ich kenne viele | |
Migranten, die Arbeit haben, auch gute. | |
Es macht mich schon wütend, wenn Menschen solche Vorurteile haben. Aber ich | |
habe gelernt, meine Wut zu beherrschen: Ich höre einfach nicht zu. Das | |
mache ich immer so. | |
Aber die Arbeit hier in der Praxis macht mir richtig Spaß, alle sind nett | |
zu mir und ich bin nett zu ihnen. Es spielt überhaupt keine Rolle, woher | |
die Leute kommen. Hier gibt es Deutsche, Kurden, Türken - und alle | |
verstehen sich sehr gut. | |
Es ist schon scheiße, dass Leute so viele Vorurteile haben in Deutschland. | |
Aber hier in der Praxis bekomme ich das nicht mit. | |
In der Schule ist das aber, wenn ich ehrlich bin, ganz normaler Alltag. An | |
meiner Schule gibt es zum Beispiel Polizisten, die Wachdienste machen - und | |
das ist notwendig. | |
Wenn ich an meine Zukunft denke, freut sich der eine Teil. Und der andere | |
Teil … Es ist schwer. Wegen der Schulnoten. Ich habe mit der Schule kein | |
Problem. Mit ein paar Lehrern komme ich nicht klar, aber ansonsten | |
verbessern sich meine Noten. | |
Generell fühle ich mich schon in Deutschland willkommen. | |
Aber Politikern, die behaupten, dass Migranten nicht arbeiten würden - | |
denen würde ich sagen: Guckt euch mal selber an. | |
20 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Diana Aust | |
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