# taz.de -- taz-Serie Schillerkiez: Mieterhöhungen: Willkommen in "Prenzlköll… | |
> Altbauwohnungen in dem Neuköllner Viertel sind inzwischen begehrt. | |
> Vermieter nutzen die Nachfrage aus: Sie erhöhen die Mieten kräftig - und | |
> werben mit platten Schlagworten. | |
Bild: Neukölln wird nicht nur teurer, sondern immer idyllischer: Weinernte im … | |
Etwa 50 Menschen schieben sich durch den langen Flur der Altbauwohnung, die | |
einer Baustelle gleicht: Auf dem staubigen Boden liegen Schutt- und | |
Holzstapel, von der Decke hängen Kabel, von den Wänden Tapeten in Fetzen. | |
"Das wird alles noch saniert", erklärt die Mitarbeiterin der | |
Hausverwaltung. Wie zum Beweis dröhnt ein Stockwerk tiefer eine | |
Bohrmaschine, auch dort wird renoviert. "Oh, guck mal, man sieht von hier | |
oben sogar den Fernsehturm", sagt eine Frau auf dem Balkon glücklich. Die | |
Silhouette des Berliner Wahrzeichens erhebt sich weit hinter der Kirche in | |
der Schillerpromenade, in der die freie Wohnung liegt. Die zentrale Straße | |
des Kiezes, nur ein paar Schritte vom ehemaligen Flughafen entfernt, ist | |
die derzeit begehrteste Gegend im Kiez. | |
Die 70 Quadratmeter große Zweizimmerwohnung liegt im vierten Stock, hat | |
einen Balkon, dafür aber nur ein winziges Bad ohne Badewanne. In vier | |
Wochen soll sie bezugsfertig sein und kostet dann 615 Euro warm. Die | |
Kaltmiete ohne Betriebskosten liegt bei 6,50 Euro pro Quadratmeter. Die | |
Vormieter hatten noch 4,30 Euro gezahlt. | |
Das ist derzeitig Trend im Kiez: Ziehen Mieter aus, werden die oftmals | |
baufälligen Altbauwohnungen saniert und die Mieten dann kräftig erhöht. | |
"Diese Wohnung ist noch günstig", erklärt die Mitarbeiterin der | |
Hausverwaltung, die weder ihren noch den Namen ihres Arbeitgebers in der | |
Zeitung lesen möchte. "Meistens liegt die Miete nach der Sanierung um die | |
7,50 Euro." | |
Und damit deutlich über dem Berliner Mietspiegel, der 2009 für eine | |
einfache Wohngegend, als die der Schillerkiez gilt, für eine Wohnung mit | |
Standardausstattung eine ortsübliche Vergleichsmiete von 4,60 Euro netto | |
kalt ausweist. Eine ausgebaute Dachgeschosswohnung kann auch schon mal 8,50 | |
Euro pro Quadratmeter kosten und wird beworben mit Slogans wie | |
"Schillerkiez - die Adresse im hippen Neukölln". Sogar von "Prenzlkölln" | |
ist schon die Rede. | |
Das Internetportal Immobilienscout hat für die taz die Daten der dort | |
angebotenen Wohnungen zusammengestellt: Lag die Nettokaltmiete für die im | |
Portal inserierten Wohnungen vor drei Jahren noch bei durchschnittlich 4,70 | |
Euro pro Quadratmeter, ist sie auf nun 5,75 Euro angestiegen - ein Plus von | |
22 Prozent. | |
Das Handy der jungen Frau von der Hausverwaltung klingelt ständig. "Mir | |
wird hier gerade jeder Quadratmeter aus den Händen gerissen", erklärt sie. | |
Vor allem Studierende und Künstler finden in Friedrichshain und Kreuzberg | |
nichts mehr Bezahlbares und strömen deshalb gen Neukölln. Zunächst war nur | |
das Gebiet direkt an der Grenze zu Kreuzberg attraktiv, jetzt ist auch die | |
Gegend südlich des Hermannplatzes begehrt. Es ist eine rasante Entwicklung: | |
Vor zwei Jahren stand noch ein Zehntel aller Wohnungen im Kiez leer, so die | |
Zahlen des Quartiersmanagements Schillerpromenade. | |
Langsam werden die Veränderungen im Kiez deutlich: In einige der zuvor | |
unvermieteten Parterreläden sind Ateliers und eine Malschule eingezogen, in | |
anderen sieht man junge Leute auf Leitern die Wände streichen. Verstärkt | |
tauchen Baugerüste an Altbauten auf. Beim türkischstämmigen Bäcker an der | |
Ecke sitzen junge Leute in der herbstlichen Vormittagssonne, in die | |
Fremdsprachen des multikulturellen Kiezes mischen sich jetzt auch Englisch | |
und Spanisch. | |
So wird wie in ganz Neukölln auch im Schillerkiez der angebotene Wohnraum | |
knapp. Bei Immobilienscout wurden in diesem Jahr nur noch halb so viele | |
Wohnungen angeboten wie im gleichen Zeitraum vor drei Jahren. Auch die | |
Immobilienverkäufe sind rückläufig: Wechselten im Jahr der Schließung des | |
Flughafens 2008 noch 250 Wohnungen den Eigentümer, waren es in den ersten | |
sechs Monaten dieses Jahres gerade mal 34. Doch große Immobilienspekulanten | |
haben nicht zugeschlagen. Abgesehen von der Wohnungsbaugesellschaft "Stadt | |
und Land", die im südwestlichen Kiez einen Komplex mit 400 Altbauwohnungen | |
besitzt, gehören die Wohnungen und Häuser laut der Brandenburgischen | |
Stadterneuerungsgesellschaft, Träger des Quartiersmanagements | |
Schillerpromenade, fast ausschließlich Einzeleigentümern. | |
Eine von ihnen ist Beate Hauke. Ihre Eltern haben das Haus in der | |
Okerstraße bereits 1968 gekauft. Lange hat Hauke selbst hier gelebt. Und | |
auch seit sie mit ihrer Familie nach Heiligensee gezogen ist und im Haus | |
nur noch ihre Zweitwohnung hat, kommt man an der Alteingesessenen nicht | |
vorbei: Beate Hauke betreibt einen Neukölln-Blog, sitzt im Quartiersrat und | |
hat den samstäglichen Wochenmarkt in der Schillerpromenade initiiert. "Ich | |
will wissen, was hier passiert, und mitbestimmen, wie sich mein Kiez | |
entwickelt", erklärt die 58-Jährige mit dem dunkelblonden Pagenkopf. | |
Auch den Verein "Pro Schillerkiez" hat sie 2006 gegründet - einen | |
Zusammenschluss von ansässigen Bewohnern und Wohnungs- und Hauseigentümern, | |
die die Wohn- und Lebensqualität im Kiez verbessern wollten. Sie haben | |
Straßenreinigungsaktionen organisiert, Baumscheiben bepflanzt und eine | |
Wohnbörse ins Leben gerufen. "Damals gab es hier jede Menge Leerstand, und | |
wir Eigentümer wollten uns vernetzen, um Mieter zu finden und den Kiez | |
aufzuwerten. Es wollte ja kaum einer her, alle Zeitungen haben die Gegend | |
totgeschrieben", erklärt Hauke ihre Motivation. | |
Die Börse betreibt sie heute noch, zweimal monatlich im Parterrebüro ihres | |
Hauses. Gerade sind drei iranische Flüchtlinge mit einem Übersetzer in | |
ihrem Büro. Hauke sitzt mit ihnen an dem Tisch mit gelber Samttischdecke, | |
und sie schreiben per Hand auf, was sie suchen: Eine Einzimmerwohnung für | |
eine alleinstehende Frau und eine Zwei- bis Dreizimmerwohnung für ein | |
junges Paar. | |
Hauke kann den Wohnungssuchenden allerdings nicht viel Hoffnung machen. Die | |
Wohnbörse bietet kaum noch freie Wohnungen, und waren früher darin 30 | |
Eigentümer vernetzt, hat Hauke heute kaum noch Kontakte, da viele | |
Eigentümer gewechselt haben und die neuen wenig Interesse zeigen. "Wenn die | |
eine Anzeige schalten, stehen mindestens 40 Leute vor der Tür. Da braucht | |
es keine Wohnbörse mehr", sagt Hauke. Sie überlegt deshalb, das | |
ehrenamtliche Projekt einzustellen. | |
Ähnlich mau laufen die Geschäfte bei Immoblienmakler Cemal Düz. Er betreibt | |
sein Büro im südlichen Schillerkiez und arbeitet vor allem für jene, die | |
schlecht Deutsch sprechen oder den Wohnungsmarkt nicht kennen. Düz bringt | |
die Entwicklung krass auf den Punkt: "Hartz IV geht raus aus Neukölln." Er | |
deutet auf eine Riege Ordner, in denen 800 Suchaufträge von | |
Hartz-IV-Empfängern abgeheftet sind. "Ich finde für sie hier keine Wohnung | |
mehr. Die müssen nun nach Marzahn oder in den Wedding", erklärt er. Die | |
Miet- und Schuldnerberatungen des Schillerkiezes bestätigen den Trend: | |
Hartz-IV-Empfänger hätten kaum noch eine Chance, Wohnungen zu finden. | |
Viele Bewohner des Kiezes sehen die Mietpreisentwicklungen mit Besorgnis, | |
Schlagworte wie "Verdrängung" und "Gentrifizierung" sind schnell bei der | |
Hand. Vor dem linken Stadtteilladen Lunte hängt ein Plakat, auf dem | |
ausländische Künstler und Studenten aufgefordert werden, keine überzogenen | |
Preise für Wohnraum zu zahlen und sich zu engagieren: "Be creative and | |
active against gentrification". | |
Für Horst Evertz, Prozesssteuerer bei der Brandenburgischen | |
Stadterneuerungsgesellschaft, ist die Gentrifizerungsdebatte indes eine | |
"Scheindebatte". "Künstler und Studenten lösen noch keine Gentrifizierung | |
aus. Großinvestoren haben bisher kein Interesse an der Gegend, weil | |
Neukölln immer noch ein sozialer Brennpunkt ist und Familien spätestens | |
wegziehen, wenn ihre Kinder schulpflichtig werden", erklärt Everts. Das | |
sieht der Soziologe Sigmar Gude ähnlich: "Es gibt eine verstärkte Nachfrage | |
in Neukölln und Mietsteigerungen. Aber es gibt zu wenig Gentrifier, also zu | |
wenig Haushalte mit hohem Einkommen, um derzeit von einer wirklichen | |
Gentrifizierung zu sprechen." Eher würden die weniger Armen mit den ganz | |
Armen um Wohnraum streiten, erklärt Gude. | |
Auch für Hauseigentümerin Beate Hauke ist die Diskussion ein reines | |
Angstgebilde. "Ich will hier keine Prenzlauer-Berg-Verhältnisse. Aber so | |
bleiben konnte es auch nicht. Ich freue mich, dass die Gegend sauberer und | |
sicherer wird", sagt sie. Sie werde auch angegriffen von Leuten, die nicht | |
wollen, dass die Gegend aufgewertet wird. "Die Mieten steigen doch nicht | |
wegen engagierter Leute im Kiez, die wie ich Hundekottüten aufhängen und | |
Aufräumaktionen starten. Sondern weil die Flughafenschließung die Gegend | |
attraktiver gemacht hat", sagt Hauke. Die Hauseigentümerin hat ihre 30 | |
Wohnungen schon vor Jahren sanieren lassen und derzeit nicht vor, ihre | |
Nettokaltmiete von 4,30 Euro pro Quadratmeter zu erhöhen. | |
Bei der Wohnungsbesichtigung ist auch ein junges schwules Paar. Nach einem | |
Auslandsjahr in China suchen die beiden eine neue Bleibe in der Gegend. Sie | |
sind geschockt angesichts des Neukölln-Booms und des Andrangs bei der | |
Besichtigung. Vor einem Jahr haben sie ihre Wohnung am Herrmannplatz | |
aufgegeben, inzwischen hätten sich die Mieten für Wohnungen in dieser Ecke | |
oftmals verdoppelt. "Das hat sich so schnell verändert. Vor einigen Jahren | |
wollten mich meine Freunde nachts nicht besuchen, weil ich in Neukölln | |
wohne", sagt einer der beiden. "Wir wollen nicht hierher, weil es hipp ist, | |
sondern weil wir vorher hier schon gewohnt haben und die Gegend mögen", so | |
sein Freund. | |
Da ist sich ein älterer Wohnungsinteressent nicht so sicher. "Das ist ja | |
architektonisch und mit dem Park alles ganz schön hier. Aber ich weiß | |
nicht, mit den Leuten, ist ja schon ne krasse Gegend", sagt der | |
Schriftsteller und blickt vom Balkon aus skeptisch auf die | |
Schillerpromenade. "Was wohnen denn hier für Leute? Falle ich hier im | |
Treppenhaus ständig über jemanden, der sich gerade ins Jenseits | |
befördert?", fragt er die Frau von der Hausverwaltung. "Wir legen Wert auf | |
eine gute Mieterstruktur, die meisten neuen Mieter sind Studenten", erklärt | |
sie ruhig. | |
Am Ende füllen fast alle der 50 Interessenten die Bewerbungsbögen aus. | |
17 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Kathleen Fietz | |
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