# taz.de -- Sofia Coppolas "Somewhere": Ein Film mit eigentümlichem Nachhall | |
> Hollywood kann so banal sein. Sofia Coppola hat darüber einen wunderbar | |
> atmosphärischen Film gedreht: "Somewhere". Ein Werk, dass einem immer | |
> wieder in den Sinn kommt. | |
Bild: Zärtlicher, komplizenhafter Blick: Coppolas Helden, der Jungstar Johnny … | |
Was für ein schöner, anrührender Moment! Bevor er Sofia Coppola den | |
Goldenen Löwen mit einem Kuss auf die Wange überreichte, begründete Quentin | |
Tarantino mit wenigen klaren Worten die Entscheidung seiner Jury. | |
"Somewhere" sei ein Film, der dem Betrachter noch lange nach dem Verlassen | |
des Kinos immer wieder in den Sinn komme. So sei es auch bei den | |
Diskussionen innerhalb der Jury gewesen. Coppolas Film habe während der | |
gesamten Festivalzeit nie an Präsenz verloren. | |
Und wirklich, in diesem eigentümlichen Nachhall liegt die Qualität nicht | |
nur von "Somewhere", sondern von Sofia Coppolas Kino überhaupt. Warum kann | |
man sich so gut an Scarlett Johanssons melancholische Augen erinnern, wenn | |
sie vom Fensterbrett ihres durchgestyltem Hotelzimmers auf Tokio schaut? | |
Oder an Kirsten Dunsts Marie Antoinette, von der eine unendliche | |
Verlassenheit ausgeht, wenn sie neben ihrem königlichen Gemahl im Bett | |
liegt? | |
Man bringt diese Bilder nicht zwangsläufig mit einem Plot zusammen, denn | |
Sofia Coppola ist alles andere als eine klassische Geschichtenerzählerin. | |
Sie macht auch kein Identifikationskino. Ihre Filme bleiben in Erinnerung, | |
weil sie sich die Zeit nehmen, mit ihren Helden und Heldinnen in eine | |
Situation einzutauchen, in eine Stimmung zu versinken, die manchmal schon | |
im Titel ihrer Filme mitschwingt: "Lost in Translation" oder jetzt eben | |
"Somewhere". | |
Tatsächlich scheint der Held ihres neuen Films den Kontakt zur Außenwelt | |
verloren zu haben. Über mehrere Tage hinweg begleitet Sofia Coppola in | |
"Somewhere" den Alltag eines Jungstars namens Johnny Marco (Stephen Dorff). | |
Oder sollte man besser sagen: die Unmöglichkeit eines Alltags? | |
In Hollywoods Luxushotel Chateau Marmont lebt Johnny von Party zu Party, | |
von One-Night-Stand zu Pressetermin zu Fotosession. Gesteuert wird sein | |
Leben von den Anrufen einer Agentin, die im Business-Tonfall Termine | |
verkündet, aber niemals in Erscheinung tritt. Bleiben diese Anrufe aus, | |
wirkt Johnny wie eine Marionette, deren Fäden sich senken. | |
Dann ist er nicht einmal mehr der Besucher seines eigenen Lebens, sondern | |
einfach ein Mensch, der sich selbst nicht mehr wahrnimmt. Der beim Sex | |
einschläft, dessen letzter Halt die Flasche Bier in seiner Hand und dessen | |
Lebenssound das Motorengeräusch seines Ferraris ist, mit dem er immer | |
wieder ziellos durch Los Angeles fährt. "Somewhere" oder "Irgendwo" wird | |
zum Nirgendwo einer banal realen Hollywoodexistenz. | |
Dennoch ist "Somewhere" weit mehr als ein Kommentar auf die Schattenseiten | |
des Glamours, auf das übersättigte Lebens im Luxus. Sofia Coppola führt mit | |
Johnny ihre Verlorenheits- und Melancholie-Studien weiter, auch indem sie | |
Motive ihrer früheren Filme aufgreift und variiert. Johnny ist ein Bruder | |
im Geiste von Marie Antoinette, die im goldenen Käfig von Versailles in | |
einem ähnlichen Korsett lebt. Oder von Charlotte (Scarlett Johansson) und | |
Bob (Bill Murray), die im Park-Hyatt-Hotel von Tokio eine klimatisierte | |
Jet-Lag-Existenz führen. | |
Auch in "Somewhere" herrscht der leise Humor, der das Entfremdungsszenario | |
mit absurden Situationen verstärkt - und bricht. Etwa eine Pressekonferenz | |
zu Johnnys neuem Film, bei der er gefragt wird, ob er gerne einmal nach | |
China reisen wolle und was das Drehbuch vor dem Hintergrund der | |
postmodernen Globalisierung bedeute. Eine der wenigen Konstanten in Johnnys | |
Leben scheinen zwei Striptease-Tänzerinnen zu sein, die seine Suite in | |
immer neuen Outfits (Krankenschwestern, Tennisspielerinnen) besuchen. In | |
der Sporttasche habe sie zwei zusammenklappbare Metallstangen dabei, um die | |
sie sich bei ihren Musiknummern winden können. | |
Eine andere Konstante sind die Besuche seiner elfjährigen Tochter Cleo | |
(Elle Fanning). Dieses Mal wird sie länger bleiben, weil ihre Mutter "Zeit | |
für sich selbst braucht". Cleo und Johnny werden kaum ein Wort miteinander | |
wechseln, auch gerät sein Leben durch die ungewohnte Vaterrolle nicht | |
weiter in Bewegung. Aber für einen flüchtigen Moment scheint dieses Leben | |
weniger leer zu sein. | |
Sofia Coppola beobachtet diesen Vater und seine Tochter nicht. Eher scheint | |
es, als nehme sie selbst auf den Sofas und in den Loungeecken Platz, als | |
liege sie ebenfalls beim nächtlichen Eisessen mit im Bett. Mit diesem | |
zärtlichen, komplizenhaften Blick lässt sie die beiden einfach miteinander | |
sein. | |
Etwa wenn sie gemeinsam stundenlang Computerspiele vor dem Fernseher | |
spielen. Wenn die Kleine in der Küche der Hotelsuite ein üppiges Frühstück | |
zubereitet, dessen Zutaten sie zuvor beim Zimmerservice geordert hat. Oder | |
wenn Vater und Tochter einträchtig am Pool des Chateau Marmont lümmeln. Da | |
braucht Coppola, diese Meisterin des Stimmungskinos, dann nur zwei | |
Sonnenliegen und vier Füße, die verraten, dass es zwei Menschen miteinander | |
gut geht. | |
11 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Anke Leweke | |
## TAGS | |
Thriller | |
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