# taz.de -- Sofia Coppola über ihren neuen Film: "Dialoge interessieren mich n… | |
> Sofia Coppolas neuer Film "Somewhere" handelt von einem Hollywoodstar in | |
> der Krise. Ein Gespräch über Süßigkeiten, Übergangssituationen und Geld | |
> von Berlusconi. | |
Bild: "Wie wenn man zu viele Süßigkeiten isst": Sofia Coppola kennt sie, die … | |
taz: Frau Coppola, Ihre Protagonisten leben meist in einem sicheren, | |
komfortablen Umfeld. In Ihrem Debüt "The Virgin Suicides" war es Suburbia, | |
in "Marie Antoinette" der Hof von Versailles, in "Lost in Translation" ein | |
Fünfsternehotel in Tokio und jetzt, in "Somewhere", das | |
Chateau-Marmont-Hotel in Los Angeles. Könnten Sie sich ein weniger | |
luxuriöses Setting für einen Film vorstellen? | |
Sofia Coppola: Ich habe mich nie bewusst entschieden, es so zu machen. Aber | |
vermutlich ist es mir einfach vertraut. Ich bin ja in einer sehr | |
komfortablen Umgebung groß geworden, also kann ich sie mir auch besser | |
vorstellen. Bei "The Virgin Suicides" war es eigentlich so, dass ich mich | |
in Suburbia nicht unbedingt auskenne. Aber es war eben eine komfortable | |
Welt, zu der ich einen Bezug hatte. Ich hätte mir nicht vorstellen können, | |
einen ersten Film zu drehen, der im Ghetto spielt. | |
Obwohl es so komfortabel ist, führen Ihre Figuren ein leeres Leben. | |
Ich würde es eher so sehen: Sie befinden sich in einer Übergangssituation, | |
sie suchen nach ihrer Identität. Das ist ein allgemeines, menschliches | |
Ringen. Menschen mit Geld bleiben davon nicht verschont. Und nur weil man | |
oberflächlichen Komfort genießt, heißt das ja nicht, dass man erfüllt ist. | |
Gibt es so etwas wie eine Ursache-Wirkung-Beziehung? Wer in Wohlstand lebt, | |
fühlt sich eher leer? | |
Ich glaube nicht, dass sie leer sind. Ich glaube, sie suchen nach Gehalt. | |
Wenn man sich keine Sorgen um Geld machen muss und mehr Zeit hat, denkt man | |
vielleicht eher darüber nach, was einen antreibt. Wenn man ums Überleben | |
kämpfen muss, setzt man sich nicht hin und grübelt darüber, was im Leben | |
wichtig ist. In diesem Sinne kann Wohlstand vielleicht tatsächlich zu einer | |
existenziellen Krise führen, gerade auch weil von dem, der komfortabel | |
lebt, erwartet wird, dass er glücklich ist. | |
Der Protagonist von "Somewhere", der Schauspieler Johnny Marco, wohnt im | |
Chateau-Marmont-Hotel. Was für ein Ort ist das? | |
Ein ikonisches Bauwerk in Los Angeles. Viele Leute aus dem Showbusiness | |
kommen hierher, um sich zu treffen oder weil sie gesehen oder entdeckt | |
werden wollen. Wenn man dort wohnt, hat man es geschafft, aber es ist | |
trotzdem noch ein bisschen Boheme. | |
Warum sind Hotels in Ihren Filmen so wichtig? | |
Weil die Figuren in Übergangssituationen sind und ein Hotel kein | |
beständiger Ort ist. Sie haben eben kein festes Zuhause, sie gleiten. Als | |
ich jünger war, habe ich mit meinem Vater viel Zeit in Hotels verbracht. | |
Ein Hotel ist eine Welt für sich, vom Rest der Welt wie abgeschnitten. | |
Wenn Sie von Übergangssituationen, von Krise sprechen, haben Sie dann eine | |
Vorstellung davon, was Erfüllung für eine Figur wie Johnny Marco wäre? | |
Er ist an einem Punkt, an dem er sich entscheiden muss, in welche Richtung | |
er sich bewegt, ob er eine vollwertige Person sein wird oder nicht, ob er | |
Erfüllung in seinem persönlichen oder künstlerischen Leben findet. | |
Was heißt das denn: vollwertig? | |
Ich wollte den Kontrast zwischen dem, was authentisch ist, und dem, was | |
oberflächlich ist, zeigen. Es gibt ja durchaus Schauspieler, die sich | |
erwachsener verhalten, die eine Familie gründen oder danach streben, | |
künstlerisch wertvolle Arbeit zu machen. Auf der anderen Seite kann man es | |
sich leicht machen und sich in die entgegengesetzte Richtung bewegen. Und | |
das gilt ja nicht nur für Schauspieler, sondern für jeden. | |
Vollwertig heißt also, Verantwortung zu übernehmen? | |
Ich möchte nicht darüber urteilen, was jemanden zu einer vollwertigen | |
Person macht. Johnny Marco könnte ja einfach immer so weitermachen, sich | |
betrinken und sich Stripperinnen anschauen, oder er könnte ein bewusster | |
Mensch werden, der sich um seine Familie kümmert. | |
Zugleich mag Ihr Film den ganzen Luxus und all die oberflächlichen Reize | |
sehr gerne. Sie schwelgen in dem, was Sie zugleich zu kritisieren scheinen. | |
Es macht ja auch Spaß! Wie wenn man zu viele Süßigkeiten isst. Man kann ja | |
nicht tagein, tagaus Süßigkeiten essen. Und trotzdem macht es Spaß. Die | |
Sachen haben ja nicht nur eine Seite. | |
Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Filme sehr viel miteinander zu tun haben? | |
Oh ja. Sie sind definitiv von derselben Person gemacht, ich habe einfach | |
eine bestimmte Art, die Welt zu sehen, und es gibt bestimmte Themen, an | |
denen ich mich abarbeite. Mir liegt viel daran, die Geschichten über Bilder | |
zu erzählen, Dialoge oder die Narration als Triebfedern interessieren mich | |
nicht so sehr. | |
Sie haben diesmal mit dem Kameramann Harris Savides gearbeitet. Wie kam es | |
dazu? | |
Ich bewundere, was er bisher gemacht hat, besonders die Filme von Gus Van | |
Sant. Wir haben zusammen einen Werbespot gedreht. Anne Ross, die | |
Szenenbildnerin, hatte uns zusammengebracht. Ich liebte es, mit ihm zu | |
drehen, mich mit ihm zu unterhalten - darüber, was wir mögen und was wir | |
nicht mögen am Filmemachen. | |
Zuvor haben Sie mit den Kameramännern Lance Acord und Ed Lachman gedreht. | |
Beide arbeiten wie Savides nicht gerade im Hollywood-Mainstream. Ist Ihnen | |
das wichtig? | |
Was mich mit allen Kameraleuten verbindet, mit denen ich bisher gearbeitet | |
habe, ist ein ähnlicher Geschmack. Wir haben ähnliche Bezugspunkte und | |
Vorlieben. Kommerzielle Filme haben eine glattere, professionellere | |
Anmutung. Das mag ich nicht so gerne, mir ist der persönliche Zugang | |
wichtig. | |
Manche Einstellungen von "Somewhere" erinnern an New Hollywood. Das erste | |
Bild zum Beispiel, der Autorennparcours, hat mich an einen Studentenfilm | |
von George Lucas denken lassen … | |
Oh ja, daran habe ich auch gedacht, das ist lustig. | |
Die Szene arbeitet stark mit dem, was "onscreen" und was "offscreen" | |
passiert. Das Geräusch des Rennwagens ist die ganze Zeit über zu hören, das | |
Auto fährt links aus dem Bild heraus, ist eine Weile nicht zu sehen und | |
fährt dann weiter hinten wieder ins Bild hinein. Wie entsteht so eine | |
Szene? In Ihrem Kopf? Oder in Harris Savides' Kopf? Oder in der | |
Zusammenarbeit? | |
Ich hatte diese Idee, dass es mit im Kreis fahrenden Autos losgehen sollte. | |
Und ich wollte, dass die Szene lang genug dauert, damit man spürt, wie | |
monoton das Leben der Figur ist. Also sagte ich zu Harris, dass ich das | |
Ganze in einer Einstellung haben wollte. Wir haben dann geschaut, wie es | |
aussieht, wenn sich die Kamera mit dem Auto mitbewegt. Wir kamen zu dem | |
Schluss, dass es stärker ist, wenn das Auto verschwindet und zurückkommt, | |
während der Ton andauert. Ich habe eine recht klare Vorstellung, wie es | |
aussehen soll, aber Harris hilft mir, diese Vorstellung umzusetzen. | |
Sie haben einen ausgeprägten Sinn für Humor - etwa in den Sequenzen, die in | |
Mailand spielen. Ein italienischer TV-Produzent steckt seine Hand in seine | |
Jacke, als wäre er Napoleon. In anderen Filmen haben Sie auch schon mit | |
solchen Bildpointen gearbeitet. Haben Sie manchmal Angst, die Figuren | |
vorzuführen? | |
Sie meinen, dass ich mich zu sehr über sie lustig mache? Na ja, ich | |
versuche vor allem zu zeigen, wie die Sachen wirklich sind. Dieser Typ ist | |
wirklich so, er trägt sogar seine eigene Kleidung. Ich will nicht fies | |
sein. | |
Als "Somewhere" in Venedig lief, haben Sie gesagt, dass Sie das | |
italienische Showbusiness nicht als besonders wahrnehmen, dass es in den | |
USA ganz genauso zugeht. Ist das wirklich so? | |
Wenn Sie sich in Las Vegas umschauen, sehen Sie genau dasselbe: Viel zu | |
braun gebrannte Schauspielerinnen mit großen Brüsten und in glänzenden, | |
knappen Kostümen. Dass ich das in Italien sah, war für mich eine | |
Überraschung, weil Italien für mich eher für klassisches Design und für | |
Hochkultur steht. Das war also ein Kontrast, denn in Amerika kennt man | |
diese Seite von Italien nicht. | |
Die Telegatti Awards werden von Mediaset produziert, einer Gruppe, die | |
Berlusconi gehört. Medusa, ein Unternehmen dieser Gruppe, hat Ihren Film in | |
Italien verliehen und auch koproduziert. War das ein Problem für Sie? | |
Ich wollte den Film unbedingt machen, also waren mir alle Angebote recht. | |
Ich habe keine politische Agenda. Sie haben das Drehbuch gelesen und | |
wussten, dass ich mich über die Telegatti Awards lustig machen würde. Ich | |
kann mir nicht vorstellen, dass sie diese Awards ernst nehmen. | |
Sie haben zwar auch schon in "Lost in Translation" mit einer wichtigen | |
männlichen Figur gearbeitet, aber diesmal ist es zum ersten Mal eine | |
männliche Hauptfigur. War das anders? | |
Ja. Ich wollte die Geschichte aus seiner Perspektive erzählen, das | |
Gefühlsleben aus der Perspektive eines Mannes erfassen. Das war eine | |
Herausforderung. | |
Warum? | |
Weil ich kein Mann bin und trotzdem versucht habe, in ihn hineinzuschlüpfen | |
und ein Gefühl dafür zu entwickeln, was er durchmacht. | |
War es eigentlich schwer, sich das Ende auszudenken? Wenn die Hauptfigur | |
eines Filmes eine Krise durchlebt, ist es ja manchmal so, dass man aus dem | |
Film so wenig einen Ausweg findet wie die Figur aus der Krise. | |
Das Ende war schwierig. Ich hatte eine Vorstellung vom Anfang des Films und | |
wie ich durch die Geschichte kommen würde, aber nicht vom Ende. Und ich | |
wollte so enden, dass man denkt: Das könnte ein Neubeginn für ihn sein, ein | |
Aufbruch. Nicht alles ist aufgelöst, es gibt eine Offenheit und auch eine | |
gewisse Hoffnung. | |
11 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
Cristina Nord | |
## TAGS | |
Münchner Kammerspiele | |
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