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# taz.de -- Gentrifizierung in Giesing: Avantgarde und Ausverkauf
> Der südöstlich des Münchner Zentrums gelegene Stadtteil Giesing ist zum
> Zankapfel der Debatte über die Stadterneuerung geworden.
Bild: Ist demnächst die Ausfahrt für die Münchner Bohème geschlossen?
MÜNCHEN taz | Sorgen mache ihr das schon, sagt Franziska Konitzer. Dass das
Wohnhaus gegenüber, wo ihr Bäcker ist, von einem Investor gekauft wurde.
Dass die kleinen Geschäfte verschwinden und da, wo früher Drogerien waren,
heute Architekturbüros betrieben werden. Dass die meisten Mieter gegenüber
ausgezogen sind, weil der Investor die Mieten erhöht hat. Beim Mieterverein
spricht man in solchen Fällen von "Verdrängungsdruck".
Konitzer, wissenschaftliche Mitarbeiterin, wohnt im südöstlich des Münchner
Zentrums gelegenen Stadtteil Giesing, in einem der Häuser, die zwar nicht
verwahrlost aussehen, denen man aber ansieht, dass der Zahn der Zeit an
ihnen nagt. Die Fassade ist merklich dunkler, als sie einmal war, der Ruß
der Abgase setzt sich fest. Mit 800 Euro Miete für knapp 60 Quadratmeter
liegt die Wohnung eher im oberen Bereich dessen, was der Mietspiegel der
Stadt für die Lage angibt. Zwischen 2007 und 2009 ist der
Durchschnittspreis für eine vergleichbare Wohnung kaum gestiegen -
vermutlich wird sich das in der nächsten Ausgabe des Mietspiegels aber
ändern.
"Wenn das Gleiche mit unserem Haus passiert, dann ist Schicht, dann können
wir ausziehen", sagt Konitzer mit Blick auf die Wohnungen gegenüber. Die
Bewohner dieses Hauses sind nicht die Einzigen, denen das Schicksal
widerfahren ist. Ein Stück weiter, in Richtung U-Bahn-Station Candidplatz,
soll das "Hans-Mielich-Carré" entstehen. Auch hier wurden alteingesessene
Bewohner mit Mieterhöhungen zum Auszug gedrängt, um das Gebäude
modernisieren zu können.
In Giesing wiederholt sich, was Hamburg mit dem Schanzenviertel bereits
erlebt hat und Berlin mit Prenzlauer Berg. Auch in München ist das Phänomen
der Gentrifizierung aber kein neues. In den Achtziger Jahren war es
Haidhausen, in den Neunzigern war es das Glockenbachviertel, das vom
In-Viertel zum Ort für Szenetouristen wurde. Die citynahen Stadtteile
Schwabing und Maxvorstadt erfahren schon seit den sechziger Jahren immer
wieder Wellen der "Aufwertung", auch im Moment hängen vielerorts Banner von
Immobilienfirmen, die Luxusapartments in bester Lage versprechen, sobald
das Gerüst hinter dem Banner abgebaut ist. Jetzt also Giesing.
Auch hier ist die Zahl der Architekturbüros deutlich gestiegen und auch die
Szenegastronomie ist schon angekommen. Im "Charlie" bekommt man vegane Kost
aus Vietnam serviert. Nebenan war früher die "Burg Pilgersheim", ein
Wirtshaus mit Biergarten, mit dem man sich im Viertel identifizierte. Jetzt
ist ein Mexikaner eingezogen. "Eigentlich gibt es hier Gaststätten und
keine Szenekneipen", meint Konitzer, "noch passen die nicht hierher."
Noch gelten Cafés wie die "Prasserie" als Geheimtipp, über die man sich
freut, weil sie dem Viertel eine neue, nette Seite hinzufügen. Es ist kein
Wunder, dass Sebastian Weisenburger, Vorsitzender der Giesinger Grünen,
vorschlägt, sich in der "Prasserie" zu treffen. Er hat der Gentrifizierung
den Kampf angesagt und möchte, dass das Viertel eines für Kenner bleibt.
Die "Prasserie" ist ein Café mit Flohmarktcharme. Es gibt Biolimonade und
selbstgebackenen Kuchen. Ein Zeichen der Gentrifizierung? "Nein", sagt
Weisenburger, Mitte zwanzig, Philosophiestudium, Pullover über dem weißen
Hemd und Surferfrisur, "die ,Prasserie' gehört nicht dazu. Die ist zwar
schön, aber nicht teuer."
Weisenburger, ursprünglich aus Karlsruhe, aber seit Längerem überzeugter
Giesinger, hat eine Demonstration in Wintermänteln - gegen die soziale
Kälte - und eine Podiumsdiskussion mit der Leitfrage "Wirds in Giesing
jetzt schick?" organisiert. Er weiß genau, wie es ist, wenn es den
Investoren um schnelles Geld geht: "Die Miete erhöhen, teuer sanieren und
dann noch etwas draufschlagen."
Mit seinem Protest ist er nicht allein, die Podiumsdiskussion in der
Gaststätte "Hans Mielich" ist gut besucht. Der Saal ist gedrängt voll. Es
sind viele Giesinger gekommen, die Stimmung ist erregt, es gibt viele
Zwischenrufe. Eine kleine Manifestation der neuen bürgerlichen
Protestkultur wie sie nach den Stuttgart-21-Demonstrationen debattiert
wird. Man streitet über den Denkmalschutz, die Erhaltungssatzung, die Wege
zwischen den einzelnen Behörden, darüber, ob es Möglichkeiten gibt, von
oben der Gentrifizierung Einhalt zu gebieten. Das Feindbild ist klar: die
Investoren.
Es ist bei Weitem nicht die einzige Veranstaltung in München zu diesem
Thema, und Weisenburger ist auch nicht der Einzige, der sich dagegen
engagiert: Der Berliner Stadtsoziologe Andrej Holm war auch schon da; es
gibt die Bürgerinitiative Untergiesing, die sich für die Rettung
historischer Häuser im Viertel einsetzt, und die Aktionsgruppe
Untergiesing, die die Gentrifizierung im Allgemeinen thematisiert. Denn in
einem ist man sich bei der Podiumsdiskussion einig: Es ist wichtig darüber
aufzuklären, dass man etwas dagegen unternehmen kann.
So auch die stadtweit aktive Gruppe Büf.f.e.l., die mit ironischen
Plakataktionen auf sich aufmerksam machte. "Gegen Kultur. Für eine
Businessparklösung" stand auf einem ihrer Poster. Es trifft die Münchner
besonders, dass jetzt ihr so gern als Arbeiterviertel bezeichnetes Giesing
im Fokus der Stadterneuerung steht.
Und dann eröffnete auch noch das "Puerto Giesing". "Ein Turm der Coolness
und Hipness", nennt es Weisenburger. Das mehrstöckige "Puerto Giesing"
liegt an der Silberhornstraße, vor der Tür hält die Trambahn und eine
U-Bahn-Station ist nicht weit. Von dort sind es bis zum Hauptbahnhof drei
Stationen. Das ist zwar nicht so nah an der Innenstadt wie Haidhausen oder
das Glockenbachviertel, aber doch noch nah genug. Auch das ist einer der
Gründe, die das Viertel so attraktiv machen: In der Innenstadt arbeiten, in
Untergiesing wohnen.
Eigentlich ist das Gebäude des "Puerto Giesing" ein grauer Klotz, in dem
früher eine Hertie-Filiale war. Jetzt verkehren hier vom Hipster bis zum
Kulturschaffenden alle, die Kunst in irgendeiner Art produzieren oder ihre
Nähe suchen. Gerade findet eine Werkschau im Erdgeschoss des Gebäudes
statt. Hier werden Mode, Fotografie, Malerei, Videos der im Haus ansässigen
Künstler gezeigt. Auch die Aktionsgruppe Untergiesing hat eine Stellwand,
an der sie Zeitungsartikel und selbst bedruckte T-Shirts angebracht hat.
Die Rückseite der T-Shirts ziert das Logo der "Burg Pilgersheim".
"Ich sehe hier keine Yuppies rumrennen und glaube auch nicht, dass wegen
uns jetzt die Mieten erhöht werden", sagt Zehra Spindler, Leiterin des
"Puerto Giesing"-Teams.
Tatsächlich kommt eine ältere Frau aus Giesing, die sich die Werkschau
ansieht und dann zur Aufsicht sagt: "Der DJ Hell war auch schon mal hier,
oder? Den hätte ich gerne mal in echt gesehen, wie der so aussieht", sagt
sie. Dann fragt sie nach einem Kaffee. "Wir haben nur kalte Getränke",
antwortet jene entschuldigend und deutet auf die 0,33-Liter-Flaschen
Augustiner-Bier, die neben ihr aufgereiht stehen. Drei Euro kostet die
Flasche.
Auch der Eintritt zu den Clubveranstaltungen, bei denen Größen der
elektronischen Tanzmusik - von Hercules & Love Affair bis Simian Mobile
Disco - auftreten, ist nicht billig. "Wo bleibt da die Subkultur?", fragt
Weisenburger, nimmt aber die Frage gleich wieder zurück: "Ich glaube nicht,
dass sich die bereichern wollen. Sie müssen nur ihre anderen
Veranstaltungen finanzieren." Die anderen Veranstaltungen, das sind
Lesungen, Theaterstücke, kleinere Konzerte, viele sind kostenlos.
Dem "Puerto Giesing" geht es genauso wie den Grünen: Sie stehen beim Thema
Gentrifizierung zwischen den Fronten. Viele Neugiesinger verdienen ihr Geld
in der Kreativwirtschaft und investieren selbiges in den Kauf ökologischer
Produkte: das typische Biobürgertum.
"Natürlich haben wir in den gentrifizierten Vierteln viele Wählerstimmen",
sagt Weisenburger, "aber denen die Schuld zuzuweisen - das wäre zu einfach.
Man muss ein Mittelmaß zwischen goldenen Wasserhähnen und verrotteten
Häusern finden."
Deswegen setzt er sich für eine Neuregelung der Erhaltungssatzung ein, der
Untergiesing in großen Teilen unterliegt und die der Stadt unter bestimmten
Bedingungen ein Vorkaufsrecht einräumt. Außerdem soll der Freistaat Bayern
per Gesetz der Stadt einen Genehmigungsvorbehalt bei der Umwandlung von
Miet- in Eigentumswohnungen ermöglichen. "Aber man kann den Prozess nicht
aufhalten, sondern nur verlangsamen."
Bis auf der politischen Ebene etwas passiert, wird das "Puerto Giesing"
längst wieder verschwunden sein. Es ist ein Zwischennutzungsprojekt. Das
Gebäude wird voraussichtlich Ende des Jahres abgerissen, um neue
Einkaufsmöglichkeiten zu schaffen. Zehra Spindler glaubt dennoch an
Giesing: "Das ist das open-mindetste Viertel in ganz München." Nach kurzem
Nachdenken fügt sie hinzu: "Ich hoffe, wir haben das nicht versaut.
14 Nov 2010
## AUTOREN
Elias Kreuzmair
## TAGS
Ausstellung
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