# taz.de -- Doku über Sicherungsverwahrung: Im Altersheim der Monster | |
> In der JVA Tegel sitzen 40 Menschen in der Sicherungsverwahrung. Die | |
> Dokumentation "Wegsperren für immer?" (22.15 Uhr, RBB) zeigt ihren Alltag | |
> - und beschönigt nichts. | |
Bild: "Wegsperren für immer?" Sicherungsverwahrung in der JVA Tegel. | |
Manche, nicht nur Journalisten, verwechseln "Sicherungsverwahrung" ständig | |
mit "Sicherheitsverwahrung". Es geht ja auch um die "Sicherheit". Nämlich | |
die Sicherheit der Gesellschaft vor gefährlichen Straftätern. Nur wird | |
nicht die Sicherheit verwahrt, sondern der Mensch, und zwar nach Maßstäben, | |
die auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geißelt. | |
Denn in Sicherungsverwahrung schließt die Gesellschaft Täter auf | |
unbestimmte Dauer weg, die ihre juristische Strafe längst verbüßt haben. Da | |
aber Gefängnisse eine gewisse Intransparenz mit sich bringen, verschwinden | |
die Menschen auch in einem übertragenen Sinn. Zudem macht das dumpf | |
dröhnende Sturmgeschütz der Massenparanoia aus Tätern prinzipiell Monster, | |
Bestien oder bedient sich wahlweise der laienzoologischen Terminologie. | |
Weil das so ist, ist auch die Verwechslung von "Sicherheitsverwahrung" mit | |
"Sicherungsverwahrung" Ausdruck einer Ignoranz, die medial und auch | |
politisch kultiviert wurde. | |
Der Berliner Fernsehreporter Norbert Siegmund hat hinter das Zitat von | |
Bundeskanzler a. D. Gerhard Schröder ein Fragezeichen gesetzt: "Wegsperren | |
für immer?" lautet der Titel seiner Dokumentation über die Menschen hinter | |
den Schlagzeilen. Siegmund, der auch für das Magazin "Kontraste" über | |
Missstände der Sicherungsverwahrung berichtete, führt die Zuschauer in die | |
JVA Tegel, Deutschlands größte Haftanstalt. Rund 1.600 Inhaftierte - nicht | |
3.000, wie im Film berichtet - verwahrt der Knast. Knapp 40 in einer | |
Station nur für Sicherungsverwahrte. | |
Situation entspricht nicht "unserer Definition von Menschenwürde" | |
Ihre Zahl schnellte dank politischer Scharfmacher in den letzten zehn | |
Jahren drastisch nach oben, wie Anstaltsleiter Ralph-Günter Adam erklärt. | |
Allein für 52 ist die Sicherungsverwahrung bereits notiert. Offen kritisch | |
sagt Adam selbst, dass die Situation in seinem Knast nicht "unserer | |
Definition von Menschenwürde" entspricht. Zum gleichen Ergebnis kommt | |
übrigens auch das Europäische Komitee zur Verhütung der Folter. | |
Der Fernsehzuschauer bekommt eine Ahnung davon, wer in Deutschland in | |
Sicherungsverwahrung landen kann. Siegmund lässt den Spielsüchtigen Marwa | |
zu Wort kommen, der Rentner beraubte. Er zeigt, dass selbst | |
Heiratsschwindler im Trakt der "lebenden Toten" ausharren, ebenso aber auch | |
Totschläger oder Vergewaltiger. Und ein aufschlussreicher Dialog zwischen | |
zwei Gefangenen verdeutlicht, dass diese Menschen, die meist über Jahre bis | |
Jahrzehnte nebeneinander hausen, kaum freundschaftliche Beziehungen | |
knüpfen. | |
Die Aufnahmen aus der Station für die gefährlichsten "Monster", die | |
Deutschland zu bieten hat, erinnern eher an Bilder aus dem Altersheim. Da | |
wird dem Gefangenen Klaus A. attestiert, dass er ja auch nach neun Jahren | |
in Sicherungsverwahrung genügend Kraft hätte, ein schwächeres Opfer zu | |
würgen. A. ist 77 Jahre alt und wiegt noch 51 Kilo. Seine Prognose für eine | |
Entlassung ist schon allein deshalb ungünstig, weil bei einem Menschen von | |
fast 80 Jahren kaum noch von einer Resozialisierung gesprochen werden kann. | |
Auch mit dem Trickbetrüger Klaus Witt ([1][den die taz interviewte]) | |
spricht Siegmund in seinem sehr anschaulichen Film. "Ich will draußen | |
sterben", sagt er. Formal juristisch hat er darauf sogar ein Recht. Das | |
Bundesverfassungsgericht schreibt: "Mit der Menschenwürde wäre es | |
unvereinbar, wenn der Staat für sich in Anspruch nähme, den Menschen | |
zwangsweise seiner Freiheit zu entkleiden, ohne dass zumindest die Chance | |
für ihn bestünde, je wieder der Freiheit teilhaftig werden zu können." | |
Weil sich Menschen gerne gruseln und weil Politiker gerne die Bürger | |
erschrecken - das lohnt sich bei Wahlen -, bleibt das Urteil der Richter | |
oft nur ein hohler Satz. Die Stärke von Siegmunds Films besteht darin, dass | |
er nichts beschönigt, auch die Täter nicht - und sie dennoch nicht nur als | |
Monster modelliert. | |
17 Nov 2010 | |
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## AUTOREN | |
Kai Schlieter | |
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