# taz.de -- Guantánamo-Prozess vor zivilem Strafgericht: 284 Mal unschuldig | |
> Das erste Urteil gegen einen früheren Guantánamo-Insassen spricht diesen | |
> von den meisten Anklagepunkten frei. Verurteilt wird er trotzdem. Zu | |
> wenig, finden Republikaner. | |
Bild: Freigesprochen und verurteilt: Ahmed Khalfan Ghailani, wie ihn der Gerich… | |
WASHINGTON taz | Erstmals hat ein ziviles Gericht in den USA über einen | |
ehemaligen Insassen aus Guantánamo gerichtet: In 284 Anklagepunkten | |
befanden die Geschworenen den Angeklagten für unschuldig. Bloß in einem | |
Punkt erklärten sie ihn schuldig. Bei den Attentaten des Jahres 1998 gegen | |
die US-Botschaften in Tansania und Kenia habe sich der heute 36-Jährige der | |
"Verschwörung gegen US-Eigentum" schuldig gemacht, stellten sie am | |
Mittwochabend in New York fest. | |
Kaum war das Urteil gesprochen, ging ein Sturm der Entrüstung durch die | |
Reihen jener, die grundsätzlich gegen die Auflösung des Lagers und der | |
"Justiz" von Guantánamo sind. "Dies ist ein schlechter Tag für den | |
amerikanischen Krieg gegen den Terrorismus", sagte Ex-Bundesstaatsanwalt | |
Michael Wildes dem Fernsehsender al-Dschasira. Das Urteil zeige, dass die | |
zivile Justiz "ineffizient für den Umgang mit Terroristen" sei und dass | |
eine Verlagerung der Rechtsprechung in ihre Hände dazu führen würde, dass | |
"die Verfahren ewig dauern werden: wie bei dem Krieg gegen Drogen". | |
Der Republikaner Peter King, Mitglied des "Homeland Security Committee", | |
sagte der New York Times: "Dies ist ein tragisches Aufwachen für die | |
Obama-Verwaltung. Es zeigt, dass sie in Guantánamo Terroristen als | |
Kriegsfeinde behandeln und mit Militärkommissionen verurteilen muss, | |
anstatt sie vor Bundesgerichte zu stellen." | |
Die Republikaner, deren Ex-Präsident George W.Bush das Gefangenenlager von | |
Guantánamo eröffnet hatte, sind erklärtermaßen gegen eine Schließung. | |
Präsident Barack Obama hingegen hatte bei seinem Amtsantritt im Januar 2009 | |
versprochen, das Lager noch im selben Jahr aufzulösen und die Verfahren vor | |
zivile Gerichte zu verlagern. | |
Die Umsetzung dieses Versprechens ist seither immer wieder verschoben | |
worden. Nach den Halbzeitwahlen erscheint sie unwahrscheinlicher denn je | |
zuvor. Denn jetzt halten die Republikaner die Mehrheit im | |
Repräsentantenhaus. Das Schwurgerichtsverfahren gegen Ghailani in New York | |
galt auch der Obama-Regierung als Musterprozess. Die Demokraten wollten ein | |
hartes Urteil in New York als Argument benutzen, um die Verlagerung der | |
Gefangenen in die USA zu rechtfertigen. Denn dazu ist die Zustimmung des | |
Kongress nötig. Nach dem Urteil erklärte King ebenso prompt wie | |
kategorisch: "Es ist ausgeschlossen, dass die Republikaner der Verlagerung | |
zustimmen." | |
Nach dem Schuldspruch in einem von 285 Anklagepunkten steht das Strafmaß | |
für den 36-jährigen Ghailani noch aus. Es wird für den 25. Januar erwartet | |
und könnte von 20 Jahren Gefängnis bis zu lebenslänglich reichen. Ghailani | |
war unter anderem wegen Mord und versuchtem Mord in 224 Fällen angeklagt. | |
Bei den den Attentaten des Jahres 1998 kamen auch 12 US-Bürger ums Leben. | |
Der Anwalt des Tansaniers bezeichnete seinen Mandanten nach dem Urteil in | |
New York als unschuldig. "Er ist von Freunden missbraucht worden", sagte | |
der Anwalt. Er überlegt noch, ob er Berufung gegen das Urteil einlegt. | |
Während des Prozesses hat er von Folter gegen seinen Mandanten berichtet. | |
Ghailani war in Pakistan in einem Geheimgefängnis gefangen, bevor er nach | |
Guantánamo transferiert wurde. | |
Bevor der Prozess gegen Ghailani in New York begann, waren die Ankläger von | |
seiner Schuld überzeugt. Sie betrachteten seine Verurteilung als reine | |
Formsache. | |
Doch neun Jahre danach sahen das die Geschworenen in New York anders. Die | |
zivilen Geschworenen bewerteten die Aussagen von - teilweise | |
zwischenzeitlich verstorbenen - Zeugen grundsätzlich anders. Und | |
entschieden - im Zweifel für den Anklagten. Das ist eine neue Entwicklung. | |
Bis zu dem Urteil vom Mittwoch in New York galt die ungeschriebene Regel, | |
dass die zivile Justiz in den USA - unter dem Eindruck der Attentate von | |
2001 - in Terrorismusfällen härter urteilt als die Militärjustiz von | |
Guantánamo. | |
18 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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