Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- taz-Serie "Zurück auf Staat": Sozialismus nicht in Sicht
> Überall wird von Rekommunalisierung geredet, nur nicht beim Wohnungsbau.
> Schließlich zahlt der Staat immer noch für die Folgen des sozialen
> Wohnungsbaus. Aber auch mit subventionierten Grundstücken wäre der Neubau
> zu teuer.
Bild: Das alte Modell des sozialen Wohnungsbaus ist zu teuer für Berlin. Aber …
Erst vor zwei Wochen schlugen die Wohnungsbaugesellschaften Alarm. Der
Leerstand von 22.000 Wohnungen, den die Mitgliedsunternehmen des Verbandes
Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) Ende 2009 erfassten,
werde bereits in fünf Jahren auf 3.000 geschmolzen sein. So lautete eine
Prognose, die der Verband, der vor allem die landeseigenen Gesellschaften
vertritt, beim Hamburger Forschungsinstitut Gewos in Auftrag gegeben hatte.
Für BBU-Vorstandsmitglied Maren Kern war die Sache klar: Berlin stehe vor
einer Verknappung des Wohnungsangebots, deshalb sei Neubau das Gebot der
Stunde. "Günstiges Bauland vom Land", so Kern, "wäre ein Schritt in die
richtige Richtung."
Während in vielen Bereichen der Daseinsvorsorge derzeit über
Rekommunalisierung geredet wird, ist eine Renaissance des sozialen
Wohnungsbaus nicht in Sicht. Wie sehr Berlin noch mit den Folgen des
"alten" sozialen Wohnungsbaus zu kämpfen hat, zeigte sich bei einer
Anhörung des Bauausschusses im Abgeordnetenhaus am Mittwoch. "Wir können
diesen Wohnungsbau nicht mehr für soziale Zwecke nutzen", gab sich Kerns
BBU-Kollege Volker Esche illusionslos.
Der Grund: 2003 beendete der rot-rote Senat die sogenannte
Anschlussförderung für die Eigentümer der in den 70er und 80er Jahren
gebauten Sozialwohnungen. Weil die Differenz zwischen der realen
Kostenmiete und der Sozialmiete nicht mehr von der öffentlichen Hand
übernommen wird, können die Mieten in manchen der 28.000 betroffenen
Wohnungen auf 12 bis 20 Euro pro Quadratmeter steigen. Da der Mietspiegel
für Sozialwohnungen nicht gilt, will sie der Senat nun mit einem
Wohnraumförderungsgesetz in das Vergleichsmietensystem führen. Derzeit
liegt der Entwurf eines solchen Gesetzes zur Stellungnahme beim
Mieterverein und den Eigentümerverbänden.
Anders als noch in den 90er Jahren werden in Berlin derzeit jährlich nur
noch etwa 3.000 bis 4.000 Wohnungen neu gebaut. Doch dieser Neubau ist rein
freifinanziert, so dass die Mieten nach der Fertigstellung der Wohnungen ab
10 Euro pro Quadratmeter nettokalt aufwärts kosten. Für BBU-Vorstand Kern
ist die Forderung nach "günstigem Bauland" deshalb eine Alternative zu den
klassischen Förderprogrammen des sozialen Wohnungsbaus. Der landeseigene
Liegenschaftsfonds würde in diesem Fall den Grund und Boden zur Verfügung
stellen, landeseigene Gesellschaften sich das Geld vom Kapitalmarkt holen
und günstiger als die Konkurrenz bauen können. Bis zu 1,50 pro Quadratmeter
Einsparpotenzial sieht Kern bei diesem Modell. Noch günstiger ist es für
die großen Wohnungsbaugenossenschaften. "Hier gibt es bereits zahlreiche
Neubauvorhaben auf Grundstücken, die schon jetzt den Genossenschaften
gehören", bestätigte der BBU bei der Anhörung im Abgeordnetenhaus.
Doch es gibt auch Skeptiker dieses Fördermodells. "Bei den Baukosten
schlägt der Grundstückspreis nur etwa mit 10 Prozent zu Buche", erinnert
Klaus Mindrup, Chef des SPD-Ortsverbands Prenzlauer Berg und Mitglied im
Aufsichtsrat der Genossenschaft Bremer Höhe. "Nicht die Grundstückskosten
sind deshalb das Problem, sondern die in den ersten zwanzig Jahren fälligen
Zinsen und Tilgungen für die Kredite." Kleine Genossenschaften wie die
Bremer Höhe oder Baugruppen mit geringer Eigenkapitaldeckung hätten es
demnach schwer.
Mindrup bringt daher die Idee eines sogenannten revolvierenden Fonds ins
Spiel. "Das sind zinslose Kredite, die nach der Abschreibung des Gebäudes
wieder zurückgezahlt werden und neuen Projekten zur Verfügung stehen." Eine
ähnliche Idee hatte auch der 2003 verstorbene PDS-Abgeordnete Bernd
Holtfreter. Er wollte in einem "kommunalen Sondervermögen" alle Fördertöpfe
des Landes Berlin versammeln und so die bisherige Förderpolitik umkrempeln.
Doch woher das Geld nehmen? Anders als in Hamburg oder München gibt es in
Berlin keine Fördermittel mehr für sozialen Wohnungsbau. Und mit dem
wenigen Geld, das Berlin vom Bund bekommt, werden die Löcher von damals
gestopft.
So bleibt die Idee der solidarischen Subventionierung auf die kleinen
Genossenschaften beschränkt. Die Genossenschaft Selbstbau etwa senkt die
Mieten nach der Abschreibung eines Hauses nicht auf die Kostenmiete von 2
Euro pro Quadratmeter, sondern bringt die Gewinne in die Finanzierung neuer
Projekte ein. "Doch das sind alles Sanierungen im Bestand", sagt Mindrup.
"Kostengünstige Altbausanierung ist möglich, kostengünstiger Neubau ist
schwierig."
Das sieht auch der grüne Baupolitiker Andreas Otto so. "Die Zahl der
170.000 Sozialwohnungen wird sich bis 2020 halbieren", sagt Otto.
"Irgendwann geht sie mit dem Auslaufen der Förderverträge sogar gegen
null." Hinzu komme, dass nur noch für wenige Sozialwohnungen ein
Wohnberechtigungsschein (WBS) verlangt werde. "Das war politisch so
gewollt, weil der Senat wegen der sozialen Mischung auch Gutverdiener in
den Bauten des sozialen Wohnungsbaus haben wollte."
Statt teurer Neubauförderung setzen auch die Grünen deshalb ganz auf die
Sanierung des vorhandenen Wohnungsbestands. Neu dabei ist der Vorschlag,
den Sozialwohnungsbestand durch Zukäufe aufzustocken. "Wenn das Land schon
Abermillionen ausgibt, dann soll es die Häuser auch kaufen." Otto meint
damit jene Gebäude des alten sozialen Wohnungsbaus, deren Eigentümer nach
dem Wegfall der Anschlussförderung in die Insolvenz gehen und die nun
zwangsversteigert werden. "Langfristig ist das für den Senat günstiger",
ist Otto überzeugt.
Beim rot-roten Senat sind solche Ideen bislang wenig populär. Auch auf der
Anhörung im Bauausschuss blieb Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg
Junge-Reyer (SPD) bei ihrer Meinung: "Es gibt in Berlin keine Wohnungsnot,
und es wird auch keine geben." Allenfalls in manchen Szenegebieten führe
eine erhöhte Nachfrage zu Mietsteigerungen. Billige Grundstücke für die
landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften lehnt die Senatorin deshalb ab.
Allerdings hat sie sich einen Antrag der Grünen zu eigen gemacht. Demnächst
sollen sich die Wohnungsbaugesellschaften mit ihren 270.000 Wohnungen auch
bei Neuvermietungen an den Mietspiegel halten.
Der Mär vom entspannten Wohnungsmarkt wollen inzwischen aber nicht einmal
mehr die SPD-Abgeordneten folgen. "Wenn ich höre, dass der Durchschnitt
aller Wohnungen immer noch unter dem Mietspiegel liege, frage ich mich
schon, ob ich in einem Paralleluniversum lebe", ärgerte sich die
Charlottenburger SPD-Abgeordnete Ülker Radziwill. In ihrem Wahlkreis am
Klausenerplatz und am Lietzensee beginne es wegen steigender Mieten bereits
"zu brodeln".
Von einer Verschärfung auf dem Wohnungsmarkt berichtete auch Reiner Wild,
Chef des Berliner Mietervereins. "Seit Jahren nahm in Berlin die Wohnfläche
pro Person auf etwa 40 Quadratmeter zu", sagte Wild im Bauausschuss. "Seit
2009 aber nimmt sie in zwei Dritteln aller Bezirke erstmals wieder ab."
Eine Knappheit, widersprach Wild Senatorin Junge-Reyer, gebe es nicht nur
in Szenegebieten. Er forderte neben einer Begrenzung für Neuvermietungen
deshalb auch die Wiedereinführung des Verbots von Zweckentfremdung und
längere Sperrfristen bei der Umwandlung in Eigentumswohnungen.
Anders als der Senat hält der Mieterverein auch einen verstärkten
Wohnungsneubau für nötig. "Ich glaube allerdings nicht an der
Sickereffekt", sagte Reiner Wild. Vor allem von den privaten
Wohnungsunternehmen wird die Wohnungsbauförderung mit dem Hinweis auf den
sogenannten Sickereffekt abgelehnt. Das Argument: Jeder, der eine
hochwertige und teure Wohnung bezieht, macht eine billigere frei.
Im Gegensatz zum BBU warnt Bernd Strehlow vom Bundesverband freier
Wohnungsunternehmen BFW deshalb vor der Renaissance eines sozialen oder
öffentlichen Wohnungsbaus - und fürchtet um die Rendite seiner
Verbandsunternehmen. "Mehr als 3.000 neue Wohnungen im Jahr nimmt der Markt
nicht auf."
2 Dec 2010
## AUTOREN
Uwe Rada
## TAGS
DDR
## ARTIKEL ZUM THEMA
Geschichten aus dem Prenzlauer Berg: Der Kiezfürst
Bernd Holtfreter sprengte mit seinem Wesen die engen Grenzen der DDR. Er
wehrte sich gegen Gentrifizierungen, als kaum einer wusste, was das ist.
taz-Serie "Zurück auf Staat" (4): Gesundheitsversorgung: Diagnose klar, Therap…
Im Gesundheitssektor ist das Land der entscheidende Player. Private dürfen
munter mitmischen, doch der Senat zieht die Fäden. So soll es weiterhin
bleiben - wünschen sich beide Seiten.
taz-Serie "Zurück auf Staat" (3): Pannenexpress weckt Begehrlichkeiten
Bei der Berliner S-Bahn häufen sich die Pannen, zu viele Züge fallen aus.
Doch ob es das and als Eigentümer letztlich besser machen würde, bezweifeln
viele Experten.
TAZ-SERIE "ZURÜCK AUF STAAT" (1): Das dreifache Stadtwerk
SPD, Grüne und der Wirtschaftssenator warten mit Ideen für ein neues
Stadtwerk in Berlin auf. Dabei verfolgen die einzelnen Parteien
unterschiedliche Ziele. Und nicht alle Vorschläge sind wirklich ausgereift.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.