# taz.de -- DAF-Sänger über Punkgeschichte: "Wir sind die Türken von morgen" | |
> Anfang der 1980er Jahre waren Gabi Delgado-Lopez und die Band Deutsch | |
> Amerikanische Freundschaft (DAF) eine Provokation. Der Sohn spanischer | |
> Flüchtlinge erzählt im taz-Gespräch, warum. | |
Bild: Gabriel "Gabi" Delgado-Lopez bei einem Konzert 2008. | |
taz: Herr Delgado-Lopez, Sie sind ein Gastarbeiterkind. 1958 in Córdoba | |
geboren, in Wuppertal aufgewachsen. | |
Gabi Delgado-Lopez: Richtig, zuerst kam ich nach Remscheid, dann nach | |
Wuppertal. Später habe ich im Bergischen Land und in Dortmund gelebt. Mein | |
Vater musste zu Zeiten Francos aus politischen Gründen aus Spanien weg. Und | |
meine Mutter ist auch mitgekommen. Ich bin bei meiner Großmutter | |
aufgewachsen. Mein Vater ist unter abenteuerlichen Bedingungen in einer | |
Nacht-und-Nebel-Aktion nach Deutschland geflohen. Er war ein gebildeter | |
Mensch, konnte aber kein Wort Deutsch. So hat er als Hilfsarbeiter bei den | |
Kabelwerken Reinshagen in Wuppertal angefangen. | |
Sie haben es selber einmal "asoziale Verhältnisse" genannt, in denen Sie | |
großgeworden sind. | |
Als ich mit acht nach Deutschland geholt wurde, waren das mein Vater, meine | |
Mutter, zwei Kinder - und dann wurde das dritte geboren - in einem Zimmer. | |
Mit Pisspott statt Toilette, also unter inframenschlichen Bedingungen. Wie | |
es heute ja vielen Leuten geht, die eben nicht mehr aus Spanien kommen, | |
sondern aus Algerien oder Tunesien. | |
Ihr Vater war ein Intellektueller, Philosophielehrer. | |
Richtig. | |
Hatten Sie das Gefühl, als "Ausländerkind" kann man es in Deutschland zu | |
was bringen? | |
Nein, als Kind macht man sich darüber keine Gedanken. Ich hab aber gemerkt, | |
dass ich mich durchsetzen muss. Dass ich schnell, stark und frech sein | |
muss. Man muss sagen, zu der Zeit gab es noch weniger Ausländer. Und es war | |
nicht so schwierig, weil es einen gewissen Exotenbonus hatte. In meiner | |
Klasse waren ich und ein Italiener die einzigen Ausländer. Auf der ganzen | |
Schule gabs vielleicht acht. | |
Und das in Deutschlands wichtigster Industrieregion? | |
Ich bin 1966 gekommen. Da hatten die Italiener schon als Gastarbeiter | |
aufgehört, es war die Zeit der Spanier, Portugiesen und Griechen. Die | |
Türken kamen erst später. | |
1979 haben Sie mit den Düsseldorfer Punkbands Charleys Girls und | |
Mittagspause Musik gemacht. | |
Ja, da hab ich Diktafon gespielt. Damit habe ich Sounds aufgenommen oder | |
Leute etwas sagen lassen oder selber was reingesprochen. Das hab ich dann | |
abgespielt. | |
1979 war auch das Jahr, in dem Sie den Text zu [1]["Militürk"] | |
beziehungsweise den "Kebabträumen" geschrieben haben: "Neu-Izmir liegt in | |
der DDR, Atatürk der neue Herr." | |
Damals war es sehr schwierig für eine Punkband, in Deutschland überhaupt zu | |
spielen. Es gab im Prinzip nur den Ratinger Hof in Düsseldorf und das SO 36 | |
in Berlin. Im Rahmen eines Punkfestivals in Berlin sind wir im SO 36 | |
aufgetreten. Bei dieser Fahrt ist der Text entstanden. | |
Sie haben Kreuzberg gesehen und diesen Text dann geschrieben? | |
Richtig. Das war ja eine einzigartige Situation, umgeben von Stacheldraht, | |
inmitten eines kommunistischen Staates diese Türk-Kültür vorzufinden in | |
voller Blüte. | |
Der Text reflektiert die Ängste der Gesellschaft vor den Fremden: "Wir sind | |
die Türken von morgen." | |
Ja richtig, und davon erleben wir jetzt ja auch eine Renaissance. | |
Den Text kapiert nicht jeder, auch dreißig Jahre später nicht, wenn man | |
sich etwa Kommentare dazu auf YouTube ansieht. Die Provokation haben Sie in | |
Kauf genommen? | |
Die haben wir in Kauf genommen. Das gleiche galt ja auch für "Tanz den | |
Mussolini, tanz den Jesus Christus", den Text des DAF-Stücks [2]["Der | |
Mussolini"]. Wir haben uns immer geweigert, unsere Werke zu erklären. Ich | |
denke aber, dass die große Mehrheit das immer richtig verstanden hat. | |
Sie leben seit fünf Jahren wieder in Spanien, in Ihrer Heimatstadt Córdoba. | |
Haben Sie die Debatte um Sarrazins Thesen mitbekommen? | |
Ja, hab ich. Ich habe Satellitenfernsehen und ich interessiere mich noch | |
immer für deutsche Politik und die deutsche Gesellschaft. Das ist aber im | |
Übrigen kein deutsches Phänomen. Es gibt allgemein eine Renaissance des | |
Missbrauchs einer solchen Thematik, um politisch Kasse zu machen. | |
Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab" ist in erster Linie die | |
Ausschlachtung des Themas für politische Zwecke? | |
So was passiert natürlich vor allem in Krisenzeiten. Wenn es der Wirtschaft | |
gut geht, ist es völlig klar, dass man ausländische Arbeitskräfte braucht. | |
Und wer zahlt überhaupt für die Sozialsysteme? Wie viele Kinder haben die | |
Deutschen, und wie viele Kinder haben die Türken, Tunesier, oder Algerier? | |
Deutschland ist wie kein anderes Land in Europa, außer vielleicht Holland | |
und England, auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen. Nicht nur brauchen | |
entwickelte westliche Staaten billige Arbeitskräfte für ganz unten, es | |
werden heute überwiegend hochqualifizierte Mitarbeiter im Ausland gesucht. | |
Viele der Millionen, die Sarrazins Buch gekauft haben, haben das womöglich | |
wegen des Titels "Deutschland schafft sich ab" getan. Er erinnert mich an | |
Ihre Zeile "Deutschland, Deutschland, alles ist vorbei". | |
Deutschland, Deutschland, alles ist vorbei! | |
Damals war es ein satirischer Popslogan, heute kann man mit so einem Slogan | |
ganz ernsthaft Millionen Bücher verkaufen. | |
Ich würde sagen: mit einem ähnlichen Slogan. Denn wenn man sich die Nuancen | |
ansieht, dann gibt es eine aktive Komponente bei Sarrazin: Deutschland | |
schafft sich selber ab. Während in unserem Slogan Deutschland eine passive | |
Rolle spielt, etwas mit Deutschland passiert. Da sehe ich den großen | |
Unterschied, dass Sarrazin der deutschen Politik und Gesellschaft | |
unterstellt, zu liberal zu sein. | |
Ist Deutschland zu liberal? | |
Alle westlichen Länder haben eine historische Schuld gegenüber der Dritten | |
Welt. Unser ganzer Reichtum basiert auf dem Elend der Dritten Welt. Ich bin | |
ein ganz großer Gegner der Abschiebepraxis. Das sind arme Menschen, die | |
verhungern in ihren Ländern, die politisch verfolgt werden oder einfach nur | |
Wirtschaftsflüchtlinge sind. Wir schulden diesen Leuten so viel, dass sie | |
alle aufgenommen werden müssen. | |
Fritz Teufel und Gabi Delgado-Lopez, 1968 und Punk, haben was gemeinsam. | |
Und das ist der Einsatz von Provokation im Sinne der Aufklärung. Geht | |
Provokation heute nur noch von rechts? | |
Weiß ich nicht. Es gibt immer noch viele Tabus, und deswegen ist es immer | |
noch leicht, zu provozieren, wenn man will. Nicht nur mit rechten Themen. | |
Was fällt Ihnen als gelungene, aufklärerische Provokation von links in | |
jüngerer Zeit ein? | |
Ich finde, dass Christoph Schlingensief ganz tolle Sache gemacht hat. Zum | |
Beispiel den Asylantencontainer in Wien. | |
Ihr Stück funktioniert auch nach dreißig Jahren noch. Aber es gibt auch | |
große Unterschiede zwischen Deutschland 1979 und Deutschland 2010. Welche | |
sind das? | |
Erstens: der Zerfall des Ostblocks, Türk-Kültür findet nicht mehr hinter | |
Stacheldraht statt. Zweitens: die Abschaffung des Konzepts der sozialen | |
Marktwirtschaft, was für die ganze Welt gilt. Dass sich ein radikaler | |
Kapitalismus durchgesetzt hat. Der große Unterschied zwischen damals und | |
heute ist das, was man eine globalisierte Welt nennt. Davor haben viele | |
Leute Angst. Da herrschen viele Missverständnisse, und es wird auch gar | |
nichts getan, die aufzuklären. 99 Prozent der Deutschen denken: Warum | |
sollen wir den Griechen Geld geben? Dabei ist überhaupt kein Geld | |
geflossen, eine Bürgschaft wurde geleistet. Der große Profiteur des Euro | |
ist die Bundesrepublik. Gäbe es die D-Mark noch, wäre das für den | |
"Exportweltmeister Deutschland" eine Katastrophe. Das wird falsch | |
dargestellt, und es gibt auch keinen, der deutlich sagt, dass das Geld, das | |
nach Griechenland fließt, zu 50 Prozent sowieso zurückfließt, weil auch in | |
Griechenland deutsche Autos gefahren, deutsche Waschmaschinen benutzt | |
werden. | |
Wenn Sie "Kebabträume" heute live singen, dann lassen Sie meist zwei Zeilen | |
aus: ",Milliyet' für die Sowjetunion. In jeder Imbissstube ein Spion". | |
Manchmal verzichte ich darauf, ja. Geschichte ändert sich. Wir haben immer | |
darauf geachtet, nie Tagespolitik zu betreiben. Sondern immer Sachen zu | |
machen, die wirklich lange, lange Zeit gelten. Es interessiert mich, die | |
Tagespolitik zu beobachten, aber ich würde nie in einem Text darauf | |
reagieren. Mich interessieren nur größere Zusammenhänge. | |
3 Dec 2010 | |
## LINKS | |
[1] http://www.youtube.com/watch?v=gsOHO_eeFYc | |
[2] http://www.youtube.com/watch?v=15ScQivK5DY | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
Ulrich Gutmair | |
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