# taz.de -- Alternativer Nobelpreisträger Erwin Kräutler: "Es geht um ihr Rec… | |
> Bischof Erwin Kräutler bekommt am Montag den Alternativen Nobelpreis. Im | |
> Interview spricht er über Streit mit Brasiliens Präsident Lula, | |
> Polizeischutz und Geld vom Papst. | |
Bild: Indigene in Brasilien - auch sie haben ein Recht auf Leben. | |
taz: Am 6. Dezember wird Ihnen der Right Livelihood Award verliehen. Was | |
machen Sie mit den 50.000 Euro? | |
Erwin Kräutler: In der Begründung heißt es, ich erhielte den Preis für | |
meinen Einsatz für die indigenen Völker, die Mitwelt, also das | |
Amazonasgebiet, und die Menschenrechte. Diese Arbeit werden wir | |
weiterführen. Wir haben ein Haus für Mütter und Kinder und Rechtsbeistand | |
für Menschen, die vertrieben werden sollen. Vor allem diese Ausgaben sind | |
sehr hoch. Die Diözese Xingu ist die größte Diözese in Brasilien, für | |
Projekte und Gehälter haben wir monatliche Ausgaben von 80.000 Euro. Das | |
Geld kommt nicht nur aus Europa, von kirchlichen Einrichtungen und | |
Hilfswerken. Der größte Teil wird von Menschen aufgebracht, die mich kennen | |
und meinen Einsatz unterstützen. In Brasilien gibt es zwar keinen | |
Kirchenbeitrag, aber Selbstbesteuerung. | |
Vom Vatikan gibt es keine Grundfinanzierung für die Pastoralarbeit? | |
Nein. Papst Benedikt stellt seit zwei Jahren für alle rund 60 Diözesen | |
Amazoniens 21.000 Euro jährlich zur Verfügung. Xingu ist mit 365.000 | |
Quadratkilometern, viereinhalb mal so groß wie Österreich, die größte | |
davon. | |
Das ist nicht viel Geld, gemessen an den Aufgaben. | |
Vorher hat es gar nichts gegeben. Auf der Bischofskonferenz haben wir uns | |
sehr dafür eingesetzt, dass die Situation in Amazonien im Ausland bekannt | |
wird. Wir haben ein Komitee Pro Amazonia gegründet, ich bin der | |
Generalsekretär. Es geht nicht nur, aber auch um finanzielle Unterstützung. | |
Worum konkret geht es bei der Rechtshilfe? | |
Erstens: Siedler gegen Großgrundbesitzer. Viele von diesen haben einfach | |
Gebiet in Anspruch genommen und lassen die Siedler vertreiben. Zweitens: | |
die Verteidigung der Indianergebiete. Das Dritte ist die Verletzung von | |
Menschenrechten und Menschenwürde. Da kann ich nicht einfach vors Fernsehen | |
gehen, da muss ich gerichtlich Anklage erheben. Die Anwälte, die wir | |
bezahlen, riskieren oft Kopf und Kragen. | |
Wie viele Prozesse gehen in Ihrem Sinne aus? | |
Wenige. Leider Gottes stimmt es, dass die Justiz oft zur Seite der | |
Großgrundbesitzer tendiert. Aber die Leute, die entlang der Transamazonica | |
leben, wurden vom Staat angesiedelt. Die haben keine andere Möglichkeit. | |
Die Großgrundbesitzer sind später eingedrungen. Wenn der Richter in deren | |
Sinn entscheidet, gehen wir in Berufung. | |
Sie stehen selbst seit vier Jahren unter Polizeischutz. Warum? | |
Da ging es um einen Fall von Misshandlung und sexuellem Missbrauch, in dem | |
ich ausgesagt habe. Mädchen im Alter von 11 bis 13 Jahren wurden vor der | |
Schule abgefangen und zu einem Landgut gebracht. Dort hat man ihnen Drogen | |
und Alkohol eingeflößt und sie missbraucht. Die Opfer sind zur Polizei | |
gegangen, und nichts ist passiert. Dann kamen sie zu mir. Ich habe die | |
Behörden informiert, bin bis zum Justizminister gegangen und zum | |
Sekretariat für Menschenrechte, das direkt dem Präsidenten unterstellt ist. | |
Ich habe vier Stunden lang ausgesagt. | |
Was passierte dann? | |
Einer der Täter wurde sofort verhaftet. Es ging wie ein Lauffeuer durch die | |
Stadt: Der Bischof hat angeklagt! Die Schuldigen wurden festgenommen und | |
zum Teil verurteilt, sind aber heute wieder auf freiem Fuß. Seit Juni 2006 | |
stehe ich unter Polizeischutz, rund um die Uhr. Die wohnen in meinem Haus, | |
ich mache keinen Schritt ohne. Das ist schon eigenartig: Die Verbrecher | |
sind frei, und ich bin gefangen im eigenen Haus. | |
Auch mit ihrem Kampf gegen das geplante Wasserkraftwerk in Belo Monte haben | |
Sie sich nicht nur Freunde gemacht. | |
Es gibt Zeitungen, die schreiben: Solange dieser Bischof da ist, wird Belo | |
Monte nicht zustande kommen. Ich habe diesen Einfluss leider nicht. Aber | |
Unternehmer oder Investoren meinen, dass der Bischof der Hemmschuh ist, | |
weil er sich für die Indios, gegen die Brandrodung und die Zerstörung | |
Amazoniens einsetzt. Ich bin bekannt in Brasilien, auch bei den Medien. | |
Also kamen die Drohungen: "Der Bischof muss eliminiert werden." | |
Das Projekt ist ja vorläufig gestoppt. | |
Das kann man so nicht sagen. Im Moment laufen 15 Prozesse wegen | |
Verfassungsbruchs, und ich weiß nicht, wie die ausgehen werden. Die | |
indigenen Völker, die laut Verfassung angehört werden müssen, wurden nicht | |
beachtet. Wenn es um die Ressourcennutzung in Gebieten der Indigenen geht, | |
dann muss eine Sondergesetzgebung verabschiedet werden. Auch das ist nicht | |
passiert. | |
Was ist die Haltung des Präsidenten dazu? | |
Präsident Lula hat grünes Licht für das Kraftwerk gegeben. Aber es ist | |
fraglich, ob er dazu das Recht hat. Die Politik will das auf Biegen oder | |
Brechen durchziehen, obwohl mir Lula zuvor das Gegenteil versprochen hatte. | |
Ich war deswegen zweimal bei ihm. "Bischof Erwin", hat er gesagt, "du | |
kannst damit rechnen, dass dieses Projekt den Leuten nicht in den Schlund | |
gestopft wird." Er sagte mir, dass er das Projekt nur genehmigen werde, | |
wenn es allen Menschen in Amazonien Vorteile bringt. | |
Wird er von der Energielobby unter Druck gesetzt? | |
Bevor er Präsident wurde, war er strikt dagegen. Das Projekt ist von der | |
Militärregierung Ende der 70er Jahre geplant worden. 1989 war die große | |
Demonstration der Indios, und die Weltbank hat damals keine Zusage gegeben, | |
weil Umwelt- und Indigenenklausel nicht berücksichtigt waren. Wir dachten, | |
das Projekt ist weg. Dann kam Lula an die Regierung, und plötzlich war es | |
wieder da. Leute, die vorher dagegen gekämpft hatten, waren plötzlich | |
dafür. Ich glaube, dass Lula einen Moment verpasst hat, an dem man eine | |
Wende hätte einleiten können: alternative Ressourcen fördern. Im Norden von | |
Brasilien haben wir zwölf Stunden Sonne, auch die Windenergie. Ein Dekret | |
kann ich schnell widerrufen. | |
Sie sind Vorsitzender des Indianermissionsrats Cimi. Was muss man sich | |
heute darunter vorstellen? | |
Es geht nicht darum, dass die indigenen Völker Objekt unserer karitativen | |
Tätigkeit sind. Wir wollen ihre Rechte verteidigen, ihre Anliegen | |
vertreten. Wir möchten die umliegende Bevölkerung davon überzeugen, dass | |
die Indianer Verfassungsrechte haben. Das haben wir 1987 in der | |
Verfassunggebenden Versammlung erreicht. Die waren ja vorher Kleinkindern | |
gleichgesetzt, hatten keinen Reisepass und standen unter staatlicher | |
Vormundschaft. | |
Sind die alle katholisch? | |
Die meisten nicht. Sie haben ihre Naturreligion. | |
Das ist also kein Kriterium für die Pastoralarbeit? | |
Es geht um ihr Recht auf Leben, auf ihr angestammtes Gebiet. Ich frage | |
nicht zuerst, ob jemand katholisch ist: Es geht in ersten Linie um ihre | |
Mitwelt. Ich werde niemandem verweigern, katholisch zu werden, aber ich | |
verlange nicht, dass sie Christen sind. | |
Und der Vatikan sieht das auch so? | |
Da bin ich jetzt überfragt. Ich kann einem Toten kein Evangelium verkünden. | |
Das weiß ich. Im Vatikanum II gibt es eine wunderbare Stelle im Dekret über | |
die Missionstätigkeit der Kirche: Die Kirche hat den Auftrag, die Liebe | |
Gottes allen Menschen und Völkern zu verkünden und mitzuteilen. Wir haben | |
heute nicht mehr die Einstellung, dass die Indios keine Religion haben. Sie | |
haben eine Religion und Gottesvorstellung. Die Mission geht von ihrer | |
Kultur aus. Es geht nicht darum, ihnen das Christentum im abendländischen | |
Gewand überzustülpen, sondern von dem auszugehen, was sie selbst glauben. | |
Jede Naturreligion ist offen für neue Impulse. | |
Sie sind jetzt seit 45 Jahren in der Diözese Xingu, die Sie gewissermaßen | |
von Ihrem Onkel Erich Kräutler geerbt haben. | |
Na ja, er hat mich nicht vorgeschlagen. Er hat unter den Priestern und | |
Laien am Xingu eine Umfrage gemacht. Jeder konnte in einem geschlossenen | |
Kuvert einen Namen nennen, wen er sich als Nachfolger für ihn wünscht. Ob | |
das mit dem Kirchenrecht vereinbar war, weiß ich nicht. Jedenfalls wurde | |
ich gewählt. Ich war schon 15 Jahre als Priester dort. An dem Tag, an dem | |
ich zum Priester geweiht wurde, ist er zum Vizegeneral der Kongregation in | |
Rom ernannt worden. Wir waren also nicht lange miteinander dort. | |
Was hat sich in diesen 45 Jahren in Ihrer Arbeit verändert? | |
Die Zerstörung des tropischen Regenwaldes ist schlimmer geworden, früher | |
lebten dort Kleinbauern. Es gab keine Transamazonica, die den Urwald quer | |
durchschneidet. Die Migration innerhalb Brasiliens hat es in diesem Ausmaß | |
nicht gegeben. Altamira hatte 4.000 Einwohner, heute sind es 110.000. Die | |
Probleme der indigenen Völker waren nicht so zugespitzt. Man hat sie, ich | |
möchte nicht sagen, in Ruhe gelassen, aber nicht in dem Maße wie heute | |
bedrängt. Gummizapfer waren da. Aber dass man ihnen das Gebiet geraubt oder | |
sie schikaniert hätte, ist damals so nicht passiert. Mit dem Bau der | |
Transamazonica hat man sie abgeschoben. "Indianer hemmen den Fortschritt", | |
das hat sogar Lula gesagt. | |
Im Oktober hat Ihre Heimatgemeinde Koblach im österreichischen Vorarlberg | |
Ihnen die Ehrenbürgerschaft verliehen. Ist das noch schöner als der | |
Alternativnobelpreis? | |
Man kann das schwer vergleichen. Koblach geht zu Herzen. Meine Vorfahren | |
sind alle von dort. Der Alternative Nobelpreis ist die internationale | |
Anerkennung von einer Organisation, die weltweit einen guten Namen hat. Das | |
ist sehr wichtig, und das habe ich auch in Brasilien gespürt. | |
Das hilft? | |
Für mich war das eine Rückendeckung. Meine Anliegen sind zwar in Brasilien | |
bekannt, aber jetzt auch international honoriert. Lula hat das sicher | |
gleich erfahren. | |
6 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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Alternativer Nobelpreis | |
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