# taz.de -- Aus der Deutschland-taz: Es lebe das Indernet! | |
> Die deutsche Wirtschaft würde gern mehr ausländische Fachkräfte anwerben. | |
> Doch die xenophobe Stimmung, die derzeit geschürt wird, steht dem | |
> entgegen. | |
Bild: Ein indisches Modell posiert für Aufnahmen mit dem neuen Dell Streak 3G … | |
Als Inder erntete man in Deutschland früher oft mitleidsvolle Blicke. Jedes | |
Gespräch endete irgendwann bei der entsetzlichen Armut in Indien - bei | |
Hunger, bettelnden Kindern oder der sonderbaren Praktik der | |
Witwenverbrennung. Nachfragen gab es aber auch gern zum großen Mahatma | |
Gandhi, zur tollen alten Philosophie, zu den unzähligen Tempeln und den | |
heiligen Kühen. Kurz: Indien war seltsam und weit, weit weg. | |
Dann kam das Internet. Plötzlich war Indien nur noch einen Mausklick von | |
Deutschland entfernt, und Städte wie Bangalore in Südindien stiegen zum | |
Mekka einer verheißungsvollen digitalen Zukunft auf. Um nicht den Anschluss | |
zu verpassen, wurde in Deutschland zu Anfang des neuen Jahrtausends, als | |
die New Economy zum Höhenflug ansetzte, eine deutsche "Green Card" | |
eingeführt, die 2004 durch das neue Zuwanderungsgesetz abgelöst wurde. | |
Seither ist es möglich, gezielt IT-Experten und andere Fachkräfte aus dem | |
Ausland anzuwerben. | |
Weil die Regelungen dafür aber noch immer ziemlich restriktiv sind, klagt | |
die deutsche Wirtschaft heute schon wieder über einen Mangel an | |
qualifiziertem Personal und fordert, mehr Zuwanderung zuzulassen. Doch so, | |
wie einst der CDU-Politiker Jürgen Rüttgers mit dem Slogan "Kinder statt | |
Inder" im Wahlkampf gegen die neue Green Card zu Felde zog, warnt nun sein | |
CSU-Kollege Horst Seehofer vor Einwanderung aus "fremden Kulturkreisen". Da | |
dünstet wieder dieses brennbare Gemisch aus Angst und Arroganz, der offene | |
Ausdruck einer immer noch existenten Xenophobie. Dann wird der Patriot - | |
diese Kreuzung aus Patria und Idiot! - laut und verletzend. | |
Luftzug im deutschen Haus | |
Mit der Green Card wurde ein Spalt geöffnet, der einen kleinen Luftzug ins | |
deutsche Haus ließ. Mancher fürchtete anfangs, draußen stünden Unzählige in | |
freudiger Erwartung Schlange - als wäre Deutschland ein prall gefülltes | |
Kaufhaus, Minuten bevor man im Schlussverkauf die Türen öffnet und die | |
Konsumentenmeute die Wühltische überfällt. Tatsächlich kamen viel weniger | |
als erwartet und von manchen erhofft. Bis zum 30. Juni 2003, so die | |
amtliche Statistik, wurden nur 14.566 deutsche Green Cards vergeben. Auf | |
die fleißigen Computerinder entfielen ganze 3.741 Stück! | |
Streng genommen waren es die veränderten Einwanderungsgesetze der USA, die | |
den Boom der IT-Branche des Subkontinents überhaupt erst auslösten. In | |
Kalifornien wehrte man sich Anfang der Neunzigerjahre gegen das Lohndumping | |
durch die billigen indischen Softwareingenieure, die ins Land kamen und den | |
kalifornischen Kollegen die Jobs wegnahmen. Als dann per Gesetz die Inder | |
das Gleiche verdienen sollten wie die US-Ingenieure, wurden sie für viele | |
Firmen plötzlich uninteressant. | |
Viele von ihnen kehrten in ihre tropische Heimat zurück, arbeiteten dank | |
Kommunikationssatelliten, Überseekabel und ISO 9000 jedoch weiter für ihre | |
Auftraggeber in den USA. Neben Hewlett-Packard und Sun Computers schätzten | |
auch Lufthansa, Siemens und Co den Fleiß, den Einsatz, die Fantasie und die | |
Qualität all der Lakshmanas oder Murtis - und all das für so kleines Geld! | |
Über diese globale Hintertür entstand der Mythos vom IT-Land Indien, der | |
dem Land ein neues Selbstwertgefühl gab. | |
Aber die Green Card hat auch eine andere Seite. Die Angst vieler Inder vor | |
der tiefen sozialen und gesellschaftlichen Spaltung, die in den schicken | |
Wohnvierteln von Bombay und Bangalore ihren Ausdruck findet, ist vermutlich | |
weit begründeter als die Sorge mancher Deutscher vor "Überfremdung". Die | |
Auswanderung rührt an Fundamenten der indischen Gesellschaft. | |
Wer die Heiratsgesuche im Deccan Herald oder in der Times of India liest, | |
der stößt auf Sätze wie: "Schöne hellhäutige Frau aus guter Familie, | |
Brahmanin, sucht Mann zwecks Heirat, Green-Card-Holder bevorzugt". Die | |
grüne Karte öffnet Türen, die früher unerreichbar waren, und hat den Nimbus | |
von Reichtum und Zukunft. Bei solchen Annoncen ist natürlich von der | |
US-amerikanischen Green Card die Rede. Die Aussicht, nach Deutschland | |
überzusiedeln, steht wohl nicht so hoch im Kurs. | |
Remake von "Green Card" | |
Aber vielleicht ändert sich das ja noch mal - und vielleicht traut sich | |
dann sogar Hollywood an ein Remake des Erfolgsfilms "Green Card". Im | |
Original mit Gerard Depardieu und Andie Mac Dowell funkt es am Ende sogar | |
zwischen den beiden Opportunisten, von denen einer die | |
US-Aufenthaltserlaubnis erlangen möchte und der andere dafür etwas Geld | |
verlangt. | |
In "Green Card II" würde ich die Rollen mit Andie Mac Dowell und dem | |
indischen Schauspielstar Sharukh Khan besetzen. Die Story aber wäre | |
bedeutend komplizierter als in "Green Card I", denn die deutschen Nachbarn | |
würden schon bald über die dauernde Unruhe im Haus klagen. | |
Sharukh Khan würde seiner deutschen Frau ein ordentliches "Subjee"-Gericht | |
auftischen, vegetarisch und scharf gewürzt, und täglich kämen Aruns viele | |
Freunde, Cousins und Kollegen vorbei, um Andies Reich zu belagern, in deren | |
Dachgarten die Schattengewächse beim Dauerklang nordindischer Filmmusik | |
zusammenzuckten. Und dann diese Unordnung … | |
Aber am Ende würden beide schließlich mit den Fotos ihrer Hochzeitsreise | |
zum Taj Mahal die deutsche Ausländerbehörde überzeugen, dass ihre Hochzeit | |
legal ist, und zum Beweis sähe man Andie mit Sari und Punkt auf der Stirn. | |
Arun übernimmt einen IT-Job in Frankfurt am Main, und beide leben dort | |
glücklich mit ihren acht Kindern in einer bescheidenen Mietwohnung irgendwo | |
am Stadtrand. Oder vielleicht doch lieber in Neu-Delhi | |
6 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Ranga Yogeshwar | |
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