# taz.de -- Aus der Deutschland-taz: "Ich bin ein schwuler Pitbull" | |
> Für seine Familie darf er alles sein, nur nicht schwul; für seine | |
> Castingagentur durfte er nur den Klischeetürken mimen. Aber er konnte es | |
> einfach niemandem recht machen. | |
Bild: Einer der überlebt hat, obwohl er verboten ist. | |
Ich bin verboten. Meine Eltern nehmen es nur hin, dass ihr Sohn in der | |
Ferne ein Leben lebt, das ihnen nicht gefällt. Ich spüre Unbehagen in mir, | |
während ich das hier niederschreibe. Erneut reißen alte Narben auf, die ich | |
für mich längst als geheilt betracht hatte. Sie können nicht heilen, | |
solange meine Eltern noch leben. | |
Ich bin kein Feigling. Ich möchte meine Eltern nur nicht belasten. Mir ist | |
nichts anderes im Miteinander möglich. Aus Gründen des Respekts und der | |
Ehrfurcht. Und aus Angst vor der Verachtung durch die Verwandtschaft in der | |
Türkei. All die Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen, ihre Kinder und | |
Kindeskinder sind mir längst so fremd wie das muslimische Gebet und die | |
Rituale des familiären Miteinanders beim Wiedersehen. | |
Ich liebe meine Eltern, doch mich verbindet herzlich wenig mit dem Land | |
ihrer Herkunft. In die Türkei fuhr ich in den Sommerferien, als ich noch | |
Kind und Teenager war. Es ist schwer, zwischen zwei Sprachen, Religionen | |
und Kulturen zu Hause zu sein. So beschloss ich, kurz bevor ich 18 werden | |
sollte, deutsch zu werden. Ich wurde in meiner Region der erste Deutsche | |
mit türkischem Migrationshintergrund. | |
Das sorgte für Gesprächsstoff. Ein türkischstämmiger Mitschüler schimpfte | |
mich einen "Verräter". Ich lächelte nur müde. Das war ich doch sowieso - | |
ein schwuler Mann kann nicht ein türkischer Mann sein. Mittlerweile bin ich | |
Mitte 30. Meine geliebten Eltern sind verzweifelt, reden sich ein, dass sie | |
alles falsch gemacht und den Teufel zu sich eingeladen haben. Sie sind | |
todtraurig. | |
Früher hatte ich gebrüllt. Weshalb war es so schlimm, schwul zu sein? | |
Weshalb sollte ich mich schämen, ein Arschficker und ein | |
In-den-Arsch-Gefickter zu sein - denn dies ist die türkische Bezeichnung | |
für Homosexuelle. | |
Weil ich immer zwischen zwei Stühlen saß, hatte ich den einen umgeworfen | |
und glaubte nun, dafür fest auf dem anderen, dem deutschen Stuhl, zu | |
sitzen. Traurig, aber wahr: Es schmeckt den Deutschen nicht, spricht man | |
fließend deutsch und hat sich integriert. Ich bin ein Rätsel auf zwei | |
Beinen, weil ich nicht den Vorstellungen von einem Türken entspreche - so | |
geht das Rollenspiel immer weiter. | |
Nicht nur in meiner Familie musste ich eine Rolle spielen, sondern sogar | |
innerhalb meines Berufs als Schauspieler: Die deutsche Film- und | |
Fernsehlandschaft sieht in ihren Drehbüchern noch nicht integrierte | |
Ausländer vor. So wurde mir bei der Besetzung von Rollen seitens deutscher | |
Castingagenturen vermittelt, ich wäre nicht der richtige Typ. Nicht typisch | |
türkisch genug: Kleindealer, Blutrache ausübender Bruder, Gemüsehändler, | |
Zuhälter, Fußballhalbgott und liebevoller Familienvater mit Schlosserberuf. | |
Wagte man es dennoch, mich zu besetzen, so hatte man urplötzlich bei der | |
Arbeit ein Problem mit mir, weil ich generell offensichtlich in kein | |
Klischee richtig zu passen vermochte. So war es für mich nur eine Frage der | |
Zeit, dass mir die einstige Lust und der Spaß an der Schauspielerei | |
abhandenkamen. Ich hatte keine Lust mehr, Vorurteile in deutschen | |
Zuschauerköpfen zu bedienen. | |
So bleibt nur der seltsame Mann übrig, der einen Irrweg eingeschlagen hat | |
und sich auch noch wohlzufühlen scheint in der Rolle des rosafarbigen | |
Pudels. Dabei hatte ich mich niemals entschieden, ein Pudel zu sein. Das | |
ist wieder nur eine Rolle, die einem von der Machoaußenwelt angetragen | |
wird. | |
In Wahrheit bin ich ein Pitbull. Einer, der überlebt hat, obwohl er | |
verboten ist. | |
* Name von der Redaktion geändert | |
6 Dec 2010 | |
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