Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ölförderung am Nordpol: Risiko Shell
> Das BP-Desaster im Golf von Mexiko scheint vergessen zu sein. Der
> Ölkonzern Shell drängt in den USA auf eine Bohrgenehmigung in der Arktis.
> Und darf auf einen Erfolg hoffen.
Bild: Weiter in Gefahr: der Lebensraum von Eisbären in der Arktis.
Nach der Explosion der BP-Ölbohrinsel Deepwater Horizon im Golf von Mexiko
im April dieses Jahres stoppte die US-Regierung auch alle Bohraktivitäten
in der Arktis. Schließlich sprudelten aus dem Leck monatelang schwarzbraune
Ölschwaden. Ein ähnliches Desaster sollte sich nicht wiederholen, schon gar
nicht in den eiskalten Gewässern rund um den Nordpol, in denen sich das Öl
noch langsamer abbaut als im Golf.
Fortan gehörte es zum Standardrepertoire der Chefs in der Ölindustrie zu
betonen, das BP-Desaster habe die gesamte Branche verändert. Acht Monate
später gibt es daran Zweifel.
Denn: Der niederländisch-britische Mineralölkonzern Shell macht Druck, er
versucht das arktische Bohrmoratorium so schnell wie möglich zu kippen, und
zwar über politische Lobbykanäle und über die Medien. So leuchtet seit
wenigen Wochen auf vielen US-Medienseiten im Internet der gelb-rote
Shell-Hinweis "Lets go!" Und in ganzseitigen Anzeigen verspricht der
Konzern 35.000 neue Arbeitsplätze. Man habe Lehren gezogen aus dem Unglück
im Golf von Mexiko, man sei "besser vorbereitet als je".
Dabei gibt es genügend Warnungen, auch neue. Die US-Umweltstiftung PEW hat
erst vor Kurzem die bislang umfassendste Untersuchung über das Risiko von
Offshore-Bohrungen in arktischen Gewässern veröffentlicht. Von "ungeklärten
Risiken", "inakzeptablen Konsequenzen" ist da die Rede.
Und das Fazit lautet: Bohrungen in der Arktis sind "völlig
unverantwortlich" - jedenfalls in den kommenden Jahren.
Die Begründung: Komme es zu einem unkontrollierbaren Blow-out, einem Leck,
könnten vor allem extreme Wetterbedingungen zu einem Desaster führen. Winde
in Orkanstärke und zehn Meter hohe Wellen, Dunkelheit und die beschwerliche
Eissituation führten dazu, dass aus einem Leck mehr als sechs Monate lang
Öl in das Meer und unter die Eisschicht verteilt werde - bevor mit einer
Bekämpfung und mit Sanierungsmaßnahmen überhaupt begonnen werden könne.
Habe die Katastrophe im Golf von Mexiko bereits die Konsequenzen
unzureichender Auflagen, mangelhafter Überwachung und ungenügender
Kapazitäten zur Bekämpfung einer Ölflut gezeigt, würden sich diese Faktoren
in arktischen Gewässern potenzieren, schreiben die Autoren des
PEW-Rapports. Schließlich gehörten diese Bohrfelder vor den Küsten Alaskas
und Kanadas mit zu den entlegensten Gebieten der Erde.
Zum Beispiel fehle die Infrastruktur im Bereich der Beaufortsee, in der
Shell bohren will: Nur eine einzige 675 Kilometer lange Straße führe aus
Zentralalaska dorthin. Und vor der Küste der Tschuktschensee, eines
weiteren Gebiets mit Shell-Bohrlizenzen, gebe es gar keine Landverbindung
nach Süden. Der nächste größere Hafen sei über 2.000 Kilometer von diesen
beiden Bohrfeldern entfernt. Es sei schwierig, Helfer und Ausrüstung in
einem Notfall heranzuschaffen.
Die Umweltschützer von PEW machen auf ein weiteres Problem aufmerksam: Bis
jetzt gebe es keine Technik zur Bekämpfung von Ölteppichen, die ihre
Wirksamkeit unter arktischen Bedingungen erwiesen hätte. Unklar sei, ob
Chemikalien, wie sie bei der Deepwater-Horizon-Katastrophe in großem Umfang
zum Einsatz kamen, in den kalten Arktisgewässern wirksam seien und welche
Auswirkungen sie auf die dortige besonders empfindliche Umwelt hätten.
Die jetzigen Notfallpläne gingen davon aus, dass 90 Prozent der bei einem
Ölaustritt frei werdenden Menge auch wieder eingesammelt werden könnten.
Dies aber sei angesichts der Erfahrungen beim Tankerunglück der "Exxon
Valdez" im Jahr 1989 illusorisch, damals seien weniger als 8 Prozent
eingesammelt worden, im Golf von Mexiko waren es in diesem Jahr weniger als
20 Prozent.
Peter Slaiby ist Vizepräsident von Shell Alaska. Er betont, man teile die
PEW-Einschätzungen, dass die Bedingungen in der Arktis einzigartig seien.
Der Konzern sei aber überzeugt, dort mit der erforderlichen Sicherheit
arbeiten zu können. Bald müsse man wissen, wie es in der Arktis weitergehen
solle, sonst sei die Bohrsaison des nächsten Sommers verloren, sagt Slaiby.
US-Innenminister Ken Salazar kündigte kürzlich an, Anträge auf
Offshore-Bohrungen vor Alaska würden grundsätzlich erst für den Zeitraum
2012 bis 2017 geprüft. Doch schloss er nicht aus, dass Shell in der
Beaufortsee eine Bohrung im Sommer 2011 niederbringen könne. Hierzu müssten
aber noch Anhörungen stattfinden.
Lois Epstein von der US-Naturschutzgesellschaft Wilderness Society forderte
bereits, die Shell-Bohranträge abzulehnen: "Wir können uns da keinen
falschen Beschluss leisten." Und sie fügt hinzu: "Unser Land muss sich
überlegen, ob wir dieses Öl in absehbarer Zeit überhaupt heraufholen
wollen. Schließlich werden ja nicht plötzlich die Räder stillstehen, wenn
wir darauf verzichten."
29 Dec 2010
## AUTOREN
Reinhard Wolff
## ARTIKEL ZUM THEMA
Meeresströmung heizt Arktis auf: Atlantische Fernwärme
Klimaforscher warnen: Das in den Arktischen Ozean strömende Wasser aus dem
Nordatlantik war in den letzten 2.000 Jahren noch nie so warm wie heute.
USA lockern Bohrverbot für Golf von Mexiko: Bohr wieder, Baby!
Für 13 Konzerne geht die Ölsuche im Golf von Mexiko weiter: Die
US-Regierung hat ihnen erlaubt, die Tiefsee-Bohrungen wieder aufzunehmen.
Neue Pläne zum Umweltschutz brauchen sie nicht.
US-Regierung verschärft Auflagen: Keine neuen Ölfelder im Meer
Kehrtwende in der US-amerikanischen Umweltpolitik: Die Regierung will nun
keine neuen Ölfelder mehr genehmigen - bis 2017. Von bereits genehmigten
Feldern darf aber weiter gefördert werden.
Sigguk-Feld: Öl-Kampf vor Grönland
Seit Juli bohrt die schottische Cairn Energy im Sigguk-Feld bei Grönland
nach Öl. Trotz Bedenken hält die Regierung an dem Projekt fest – sie sagt,
Öl sichere Unabhängigkeit.
Umdenken in der Energiepolitik: Das Ende des Ölzeitalters
Im blinden Fleck der Kritik an der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko liegt
die Ölforderung selbst und unsere Abhängigkeit von ihr. Zeit für einen
Paradigmenwechsel.
Glückliche Ölkonzerne: Die Gewinne sprudeln
Shell und Exxon verdienten fast doppelt so viel wie im vergangenen Jahr.
Die Unternehmen profitieren vom steigenden Ölpreis - der aber als zu hoch
gilt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.