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# taz.de -- Debatte Kopten: Ärger mit den Christen
> Nach dem Anschlag von Alexandria ist vielfach von Christenverfolgung die
> Rede. Was auf dem Spiel steht, ist aber die Demokratie, nicht die
> Religion.
Bild: Die Kopten hatten in Kairo wegen der Niederbrennung einer Kirche demonstr…
Wenn Menschen, die in die Kirche zur Neujahrsmesse gehen, dafür sterben
müssen, dann ist das monströs. Wie aber sollen wir darüber reden? Das ist
gar nicht so einfach, wie die letzten Tage gezeigt haben. Denn plötzlich
machte das Wort von der "Christenverfolgung" die Runde. Und das ist weniger
selbstverständlich, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Wurden denn
nicht Christen verfolgt? Doch, natürlich. Und trotzdem.
Der Terminus "Christenverfolgung" ist nicht einfach die Beschreibung der
Tatsache, dass Christen verfolgt werden. Er stimmt vielmehr eine neue
Tonart an. Daniel Bax hat kürzlich an dieser Stelle darauf hingewiesen (taz
vom 4. 1. 11). "Christenverfolgung" - das ist nicht neutral, da klingt
vielmehr ein ganzes, schweres historisches Erbe an. Dieser aufgeladene
Begriff fällt auch nicht auf neutralen Boden. Er platzt vielmehr mitten in
die erregte Islamdebatte.
Wir sind Opfer
Im jüngsten Perlentaucher-Essay zum Thema "Islamophobie", geschrieben vor
dem Attentat in Alexandria, steht: "Der potentiell beleidigte Muslim
schafft politischen Mehrwert. Der real verfolgte Christ nicht." Die
Reaktionen auf den gewaltsamen Tod 21 ägyptischer Kopten zeigen jedoch: Man
kann aus den real verfolgten Christen sehr wohl politischen Mehrwert
gewinnen. Dazu bedarf es einer diskursiven Grundoperation: Man muss sich
mit den Kopten identifizieren. Diese Identifikation lautet natürlich nicht:
wir Ägypter. Auch wenn die Kopten selber sich sehr wohl als solche
verstehen. Sie lautet auch nicht: Wir sind alle Kopten. Sie lautet: Wir
Christen. Und sie bedeutet: Wir Christen werden verfolgt. Kurzum: Wir sind
Opfer. Das soll kein Mehrwert sein? Der Opferbegriff hat einen hohen
politischen Mehrwert. Das ist keineswegs zynisch. Es geht dabei nicht um
die realen Opfer, die Toten. Es geht um den Opferstatus.
Dieser vermag einiges - etwa die Gemeinschaft stärken. Die Zeiten, wo
Siegererzählungen das geleistet haben, sind lange vorbei. Heute gibt es
eine weitverbreitete Skepsis gegenüber Heldengeschichten. Opfergeschichten
hingegen sind - durchaus berechtigt übrigens - viel wirksamer. Sie fördern
das Gemeinschaftsgefühl. Die Juden hatten den Antisemitismus, die Muslime
die Islamophobie. Aber die Christen? Nun haben sie die neue
Christenverfolgung. Nun ist die Trias komplett.
Daniel Bax irrt, wenn er meint, der Terminus "Christenverfolgung" sei
unpassend gewählt, handle es sich doch beim Christentum längst nicht mehr
um eine Sekte - wie es das Wort mit Bezug auf dessen Anfänge anklingen
lässt -, sondern um die weltweit größte Religion mit einer immer noch
mächtigen Kirche. Er verkennt, was der Terminus heute anzeigt: Die Kirche
ist beides. Mächtig und schwach. Stark und verfolgt. Kirche und Sekte.
Durch den Begriff "Christenverfolgung" bespielt sie beide Register.
Gleichzeitig. Ein institutionelles Double Binding.
Muslimhass wird legitim
Aber darin erschöpft sich der Mehrwert von "Wir Opfer" keineswegs. "Wir
christlichen Opfer" erlaubt - auch wenn die realen Opfer andere sind - uns
erlaubt es, Muslime nunmehr "unschuldig" abzulehnen. Denn damit lehnt nicht
mehr ein Mitglied der Mehrheit eine Minderheit ab. Die Ablehnung erfolgt
nun aus der Opferposition. Der gängige Muslimhass lässt sich darüber
rationalisieren und legitimieren. Dieser hässliche Muslimhass, der mit dem
Hautgout des Rassismus versehen war, ist nun gewissermaßen exkulpiert. Er
hat eine reale Begründung und eine sachliche Rechtfertigung bekommen, die
uns alle betrifft: die Christenverfolgung. Hat sich diese doch von einer
wesentlich kommunistischen Angelegenheit in eine vorwiegend muslimische
verwandelt.
Die rabiate Verfolgung von Christen im ehemaligen Ostblock lebt nur noch in
Nordkorea (das ja ohnedies in allem jenseitig ist) und in China weiter. Die
Schauplätze, an den Christen heute vorwiegend diskriminiert werden, haben
sich in den Iran, nach Pakistan und in den Irak verlagert. "Wir
christlichen Opfer" heißt also: "wir christlichen Opfer des Islam". Und
damit lässt sich eine neue Rechnung aufmachen.
Etwa jene der freien Religionsausübung: Wenn sie uns nicht erlauben,
Kirchen zu bauen (wie in der Türkei) oder dies erschweren (wie in Ägypten),
dann ist es ganz legitim, wenn wir ihnen keine Minarette oder Moscheen bei
uns zugestehen. Es geht hier nicht darum, die Diskriminierungen der
Christen in Frage zu stellen. Es geht hier nur um den Mehrwert, den diese
Art, die Tatsachen zu erzählen, in der politischen Auseinandersetzung
hierzulande hat.
Identitäten anders bewohnen
Dies erzeugt eine fatale Spiegelungslogik: Wir machen uns zu den
"christliche Staaten", als die uns die Islamisten sehen. Wie in der
Forderung der Union, Entwicklungshilfe künftig in eine Art Schutzgeld für
verfolgte Christen umzuwandeln. Durch solche Forderungen wird versucht, das
Christentum als wesentliches Identitätsmerkmal der Deutschen zu
reinstallieren. Mit dem Terminus "Christenverfolgung" wird also der
"Kulturkampf" weitergetrieben. Dessen Effekt besteht darin, die
Gesellschaften immer enger und voreingenommener zu machen - die ägyptische
genauso wie die deutsche, die arabischen wie die europäischen. Und er
verbirgt, dass die "eigentliche Kampflinie nicht zwischen den Religionen
verläuft", wie Jörg Lau in der Zeit (5. 1. 11) treffend geschrieben hat.
Sie verläuft nämlich zwischen jenen, die eine plurale Gesellschaft und
jenen, die eine einheitliche Gesellschaft wollen. Sie verläuft zwischen
ethnisch-religiösen "Säuberungen" und Demokratie. Deshalb ist es bei allem
Horror, den dieser Anschlag und ähnliche Attentate bedeuten, so wichtig,
dass Muslime und Christen (aber auch Atheisten - diese sollte man im Eifer
des Gefechts nicht vergessen) gemeinsame Sache machen, etwa demonstrieren.
Nicht weil sie sich so lieben, sondern weil Demokratie die einzige Chance
ist, solchem Wahnsinn Einhalt zu gebieten. Demokratie aber beinhaltet,
neben Rechtsstaat und Menschenrechten, auch die Forderung: Wir müssen
unsere Identitäten - auch und gerade die religiösen - anders bewohnen.
9 Jan 2011
## AUTOREN
Isolde Charim
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