# taz.de -- EMGR zu Sicherungsverwahrung: Dreifache Klatsche aus Straßburg | |
> Rückwirkend im Knast: Wegen dieser Praxis war Deutschland Ende 2009 schon | |
> einmal in Straßburg verurteilt worden. Die Kläger sollen nun | |
> Schadensersatz erhalten. | |
Bild: Justizvollzugsanstalt Luckau-Duben in Brandenburg. | |
FREIBURG taz | Gleich dreifach hat Straßburg jetzt daran erinnert, dass in | |
Deutschland noch Dutzende Personen rechtswidrig in Sicherungsverwahrung | |
sitzen und endlich freigelassen werden müssen. Der Europäische Gerichtshof | |
für Menschenrechte (EGMR) bekräftigte sein Verbot der rückwirkenden | |
Verlängerung der Verwahrung und sprach drei Klägern große Summen | |
Schadensersatz zu. | |
Sicherungsverwahrung heißt, dass ein Täter auch nach Verbüßung seiner | |
Freiheitsstrafe in Haft bleibt - solange er noch als gefährlich gilt. In | |
den drei entschiedenen Fällen waren Gewalt- und Sexualtäter zu mehrjährigen | |
Haftstrafen mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Die | |
Verwahrung war zum Zeitpunkt der Verurteilung allerdings auf zehn Jahre | |
begrenzt. Darauf haben sich die Männer auch eingerichtet. Dann beschloss | |
jedoch die schwarz-gelbe Koalition 1998 ein Gesetz, das die unbefristete | |
Sicherungsverwahrung erlaubte - auch für bereits verurteilte Täter. Alle | |
drei blieben in Haft. | |
Wegen dieser Praxis war Deutschland Ende 2009 schon einmal in Straßburg | |
verurteilt worden. Der Gerichtshof bestätigte seine Position. Wer zu zehn | |
Jahren Sicherungsverwahrung verurteilt wird, muss anschließend auch | |
freikommen. Eine rückwirkende Verlängerung verstößt gegen das Gebot, dass | |
Strafgesetze immer nur für die Zukunft gelten dürfen. Außerdem sei die | |
spätere Verlängerung der Verwahrung keine direkte Folge der Verurteilung | |
mehr, verletze also auch das Freiheitsrecht der Menschenrechtskonvention. | |
Die drei Kläger erhalten nun Schadensersatz in Höhe von 25.000 bis 70.000 | |
Euro, je nach Länge der rechtswidrig fortgeführten Inhaftierung. Sechs | |
ähnliche Klagen sind in Straßburg noch anhängig. Die Betroffenen können mit | |
ähnlichen Summen rechnen. Es geht um einige Jahre Freiheitsentzug. | |
Einer der drei wurde im September 2010 vom Oberlandesgericht (OLG) | |
Karlsruhe in die Freiheit entlassen, mit Verweis auf die Straßburger | |
Rechtsprechung. Er lebt jetzt in Freiburg und wird rund um die Uhr von | |
Polizisten bewacht. Die anderen beiden sitzen noch im Aachener Gefängnis. | |
Das OLG Köln hatte ihre Freilassung verweigert. Vor einer Freilassung müsse | |
der Gesetzgeber das deutsche Recht korrigieren. | |
Mehr als hundert Parallelfälle gibt es derzeit in Deutschland, nur 36 | |
wurden bereits aus der Haft entlassen. In den rund 70 übrigen Fällen | |
streiten sich Politik und Justiz, wer die unpopuläre Entscheidung treffen | |
muss. Eine Klärung durch den Bundesgerichtshof steht noch aus, und im | |
Februar will auch das Verfassungsgericht über die Bindungswirkung von | |
Straßburger Entscheidungen verhandeln. | |
Der EGMR mahnte gestern "insbesondere die Gerichte, ihre Verantwortung | |
wahrzunehmen". Der eine oder andere Entlassene wird aber schon bald wieder | |
hinter Gittern landen - wenn er nach dem seit Jahresbeginn geltenden Gesetz | |
zur Therapie-Unterbringung als zugleich gefährlich und psychisch gestört | |
begutachtet wird. Az.: 17792/07 u. a. | |
13 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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