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# taz.de -- EMGR-Rüge zur Sicherungsverwahrung: Nie wieder nachträglich
> Deutschland ist erneut vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
> wegen seiner Praxis bei der Sicherungsverwahrung gerügt worden. Die
> Maßnahme verstoße gegen Menschenrechte.
Bild: Das Gebäude des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EMGR) in…
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat gestern in vier Fällen
Deutschland wegen seiner Gesetze zur Sicherungsverwahrung verurteilt.
Erstmals hat Straßburg dabei die nachträgliche Anordnung der
Sicherungsverwahrung gerügt, während der Gerichtshof in drei anderen Fällen
(siehe Text unten) seine Rechtsprechung zur rückwirkenden Verlängerung der
Sicherungsverwahrung bekräftigt.
Albert H., 76, hat Kinder missbraucht und Mädchen vergewaltigt. 1999 wurde
er wegen der Vergewaltigung einer Zwölfjährigen zu dreieinhalb Jahren Haft
verurteilt, ohne Sicherungsverwahrung. 2002 trat in Bayern jedoch ein
Gesetz in Kraft, das die nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung
erlaubt. Drei Tage vor H.s Entlassung wurde gegen ihn dann noch
Sicherungsverwahrung angeordnet. Das Bundesverfassungsgericht kassierte
2004 zwar das bayerische Gesetz, aber nur, weil der Bund hierfür zuständig
sei. Rot-Grün beschloss dann ein Bundesgesetz über die nachträgliche
Anordnung der Sicherungsverwahrung.
Der Straßburger Gerichtshof entschied nun, dass die nachträgliche Anordnung
von Sicherungsverwahrung gegen die Europäische Menschenrechtskonvention
verstößt. Diese erlaubt eine staatliche Freiheitsentziehung im Wesentlichen
nur nach einer Verurteilung, zur Vermeidung konkreter Straftaten oder bei
psychischer Krankheit. Die nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung
sei davon jeweils nicht gedeckt, vor allem sei sie keine direkte Folge des
Strafurteils mehr, so der Gerichtshof.
Doch H. hat nichts von seinem juristischen Erfolg. Denn 2007 wurde er
erneut strafrechtlich verurteilt, nachdem er zuvor zur Bewährung in ein
Altenheim entlassen wurde, dort aber demente Frauen sexuell belästigte. Das
Landgericht Hof erklärte ihn jetzt für schuldunfähig und steckte ihn in ein
psychiatrisches Krankenhaus für Straftäter, wo er wohl bis an sein
Lebensende bleiben wird. Den Fall hat der engagierte Anwalt betrieben, der
ein Grundsatzurteil erstreiten wollte und für H. auch keinen Schadenersatz
verlangte.
Vom neuen Grundsatzurteil können bundesweit aber rund 20 andere Häftlinge
profitieren, gegen die nachträgliche Sicherungsverwahrung verhängt wurde.
Die Politik hatte ursprünglich zwar mit viel mehr Anwendungsfällen
gerechnet, dem stand aber die restriktive Auslegung des Gesetzes durch den
Bundesgerichtshof entgegen.
Bei der Reform der Sicherungsverwahrung im Dezember erreichte
Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sogar die
Abschaffung der nachträglichen Sicherungsverwahrung - aber nur für
Neufälle. Die Verwahrung hätte also noch einige Jahre lang nachträglich bei
bereits einsitzenden Tätern angeordnet werden können. Auch das hat
Straßburg mit seinem Urteil jetzt verhindert.
13 Jan 2011
## AUTOREN
Christian Rath
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